Berührt, geführt

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Groggy aber nicht geschlagen

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Das Grenke Classic, das am Samstag in der Karlsruher Schwarzwaldhalle begonnen hat, setzt genau da an, wo das Kandidatenturnier aufgehört hatte: Mit großem Kampfgeist, originellen Stellungsbildern, einem frechen g-Bauer im Früheinsatz und der folgerichtigen Begegnung zwischen Weltmeister Magnus Carlsen und seinem frisch gekürten, aber sonst nach 14 kräftezehrenden Partien in Berlin wohl gar nicht so frischen Herausforderer. Obwohl Fabiano Caruana die weißen Steine zugelost bekam, stand er schnell unter Druck und zwischenzeitlich sogar verloren. Er fühlte es, sah den schwer zu findenden Gewinn für Carlsen aber auch nicht, und nannte es „fast ein Wunder“, dass er ein schwieriges Turmendspiel remis hielt.

Carlsen und Caruana vor über tausend Open-Teilnehmern und Zuschauern in Karlsruhe (Foto: Georgios Souleidis)

Sonst eher ein 1. e4-Spieler, eröffnete Caruana mit dem Damenbauern und wiederholte die seit kurzem in Mode gekommene Anti-Grünfeld-Zugfolge, die er in Berlin gegen Alexander Grischtschuk gespielt hatte: 1. d4 Sf6 2. c4 g6 3. Sf3 Lg7 4. e3 (Sb1-c3 wird aufgeschoben, bis Schwarz seinen c- oder d-Bauern bewegt hat) 4. … 0-0 5. Le2. Während Grischtschuk mit 5. … c5 6. d5 e6 eine aus schwarzer Sicht günstigere Version des „Modernen Benoni“ ansteuerte, reagierte Carlsen „Königsindisch“ mit 5. … d6 6. Sc3 Sc6

und fuhr damit exzellent. Die Königsindisch-Hauptvariante mit einem Zug weniger (7. 0-0 e5 8. d5 Se7 9. e4) wollte sich Caruana nicht antun, doch sein 7. d5 Sb4 8. a3 Sa6 9. Sd4 e5 10. dxe6 e.p. fxe6 11. 0-0 e5 gab Schwarz bereits gutes Spiel. Er habe die Eröffnung sehr lasch behandelt, gestand Caruana hinterher ein: „Ich dachte, ich hätte einen kleinen Vorteil, aber dann stand ich von Zug zu Zug schlechter.“ Früh war klar, dass es dieses Mal kein leichtes Remis wie 2017 geben würde. Nach 15. … Sd4 war er bereits ziemlich unter Druck:

Weder 16. Sxd4 exd4 17. Dxd4 Sg4! 18. Dd3 Db6+ 19. Kh1 Sf2+ 20. Txf2 Dxf2 noch 16. g4 Db6 17. Sxd4 exd4! (17. … Dxd4+ 18. Kg2) 18. Sa4 Dc7 19. g5 Sxe4 20. f6 Sxf6 21. gxf6 Txf6 dürfte Caruana gefallen haben. Er versuchte stattdessen 16. Le3, denn nach 16. … gxf5 17. Sxd4 exd4 18. Lxd4 fxe4 19. Dc2 erhielte er den Bauern mit gutem Spiel zurück.Carlsen sicherte sich allerdings einfach das Läuferpaar und das Zentrum: 16. … Sxe2 17. Dxe2 gxf5 18. exf5 d5. Bald stand es so:

Während die Kommentatoren anfingen zu überlegen, ob der Springer Schaden anrichten kann (ja, es droht 32. Sg5 nebst 33. f7), griff Carlsen, ohne zu zögern zu: 31. … Lxe4 32. Txe4 c4. Mit diesem Doppelturmendspiel hatte er sich offenbar schon vorher befasst und es zurecht als für sich gewinnträchtig eingeschätzt.

Schwarz droht Te7-b7-b1 nebst Turmtausch. Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, ist mit Schach einzuziehen: 46. h5! (und falls 46. … Tb7 47. h6 Tb1 48. h7 Txe1 49. h8D+). Also 46. … Te7 (droht 47. … Te2+ 48. Kc1 Kc3 und Matt) 47. Tf4+ Kd5 48. Tf1 Kc4. Carlsen holte sich den a-Bauern, dafür bekam Caruana seinen Turm auf die c-Linie:

Carlsen glaubte, dass er den Gewinn bereits vergeben hatte. Doch mit 54. … Th7, was die Bauern stoppt, war er immer noch drin. Er dachte, dass Weiß dann 55. Tb8+ Ka2 56. Tc8 spielt, doch dann hätte Schwarz 56. … a5 und falls 57. Kxd3 Kb1! mit der Pointe 58. Tb8+ Kc1 59. Tc8 Kd1 60. Txc2 Td7+, was beiden Spielern entgangen war. Carlsen zog stattdessen 54. … a5 und nach 55. h6! Te2+ 56. Kxd3 Th2 57. g5 Th3+ 58. Kd2 Th2+ 59. Kd3 wurde remis vereinbart. Hier können Sie die ganze Partie nachspielen.

Klar sei er erleichtert, dass er diese psychologisch wichtige Partie nicht verloren habe, sagte Caruana. Er sei zwar groggy, aber froh, die Einladung angenommen zu haben und in den nächsten Tagen Schach zu spielen.

Genau wie voriges Jahr traf Arkadi Naiditsch gleich in Runde eins auf Maxime Vachier-Lagrave. Voriges Jahr hatte der ehemalige deutsche Nationalspieler den Weltklassespieler aus Paris mit einer brillianten Verteidigung, eingeleitet mit den mysteriösen Zügen Ta8-a7 und Sb6-a8, besiegt. Dieses Mal war Naiditsch wieder nahe dran.

Vermeintlich hat „MVL“ eine Falle gestellt. Auf 14. Sxd5 folgt natürlich nicht 14. … Dxd5? 15. Lc4 sondern 14. … Te8+. Falls 15. Le2 Dxd5 kann der nun selbst gefesselte Läufer nicht die schwarze Dame fesseln, und nach 15. Se3 f4 geht der gefesselte Springer verloren. Doch Naiditsch entdeckte hier nach 16. Lc4+ gute Angriffschancen für sich. Auf 16. … Kh8? ginge bereits 17. Txh6+ Lxh6 18. Dh5 Kg7 19. Df7+ Kh8 20. 0-0-0 mit der Idee 21. Th1. Anstatt das angebotene Figurenopfer zu nehmen, opferte Vachier-Lagrave lieber selbst. Doch dessen Angriff wäre zu stoppen gewesen, wenn Naiditsch trotz Zeitnot hier

30. Kg2 Sf6 31. Sg4! Sxg4 (nach 31 . … Dg5 32. Dc1 Dg6 33. Txh6+ Lxh6 34. Dxh6+ Dxh6 35. Sxh6 landet Schwarz in einem verlorenen Endspiel) 32. Txh5 Se3+ 33. Kf2 Sxc2 34. Tc1 gefunden hätte. Naiditsch zog 30. Dg2 und musste später Dauerschach geben (nachspielen).

Vishy Anand versuchte gegen Hou Yifan eine steile Variante, die ihm selbst im Dezember in London von Jan Nepomnjaschtschi vorgesetzt worden war.

Schon wieder dieser g-Bauer. Die Pointe ist natürlich 7. … Sxg4 8. Tg1, was für Anand mit Schwarz schlecht ausging. Hou Yifan reagierte energischer mit einem Gegengambit: 7. … d4! 8. exd4 cxd4 9. Sxd4 e5 10. Sf5 Lxf5 11. gxf5 Sc6 12. Lg2 Sb4!

Hier wusste sich der Exweltmeister nicht mehr anders zu helfen als mit einem Qualitätsopfer unter Aufgabe der Rochade 13. De2 Sc2+ 14. Kd1 Sxa1 15. Lxa1. Dank des starken weißfeldrigen Läufers kam Anand allerdings noch zu einem Remis (nachspielen).

Lewon Aronjan, der das Grenke Classic voriges Jahr überlegen gewann, hatte Schwarz gegen Georg Meier, der ihm in der relativ langweiligsten Partie der Runde ein Remis abzuklammern verstand. Den einzigen Sieg (nachspielen) holte Nikita Witjugow. Mit Schwarz brachte er den anderen deutschen Teilnehmer Matthias Blübaum mit einer sehenswerten Kombination zu Fall:

25. … Se4+ Hier zog Blübaum 26. Kg1 und gab sich nach 26. … Ta3! geschlagen, weil 27. … Dd4+ nicht mehr gut zu verhindern ist. Etwas schwieriger wäre die schwarze Gewinnführung gewesen, wenn Blübaum den Springer geschlagen hätte: 26. Lxe4 Tc7! 27. Da8 (27. Db6 verhindert zwar 27. … Df6+ und 27. … Dd4+ gleichermaßen, läuft aber in den Abzugsangriff 27. … Tc2+ 28. Lxc2 Dxb6+)  27. … Tc8 28. Da6 Dd4+ 29. Kg3 Tc3+ 30. Lf3 g5! (droht 31. … Dh4 matt) 31. h3 De5+ 32. Kf2 Tc2+.

Grenke Classic, bis 2. April in der Schwarzwaldhalle in Karlsruhe, von 4. bis 9. April im LA8 in Baden-Baden bei jeweils freiem Eintritt. Täglich außer Dienstag live ab 15 Uhr.


1 Lesermeinung

  1. Put-Instinkt sagt:

    Ein Lob der FAZ
    für diese ausführliche und spannende Berichterstattung.

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