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Keymers Meisterstück

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Am Ende liefen auf den neun Brettern auf der Bühne der Karlsruher Schwarzwaldhalle nur noch zwei Partien: Die von Magnus Carlsen und die von Vincent Keymer. Dass der Weltmeister gegen Matthias Blübaum nicht mehr über ein Remis hinauskommen würde, war offensichtlich. Währenddessen setzte der 13jährige Schüler aus Saulheim bei Mainz gegen Richard Rapport, der mit 2715 Elo zur erweiterten Weltspitze zählt, einen Kraftzug nach dem anderen. Zwischen ihnen ging es um den Sieg im größten Open Europas. Als der Ungar sich seinem jungen Gegner geschlagen gab, brandete Beifall auf. Vincent Keymer hatte allen die Show gestohlen.

Vincent Keymer (Foto: Eric van Reem)

Dabei hätte es ihm, als er morgens aufstand, eigentlich schon gereicht, wenn er am letzten Tag in einer der verbleibenden beiden Partien ein Remis geholt hätte. Das hätte für seine erste Großmeisternorm genügt und einen Meilenstein in seiner jungen Karriere gesetzt. Stattdessen brachte der Tag zwei Siege gegen zwei starke Großmeister: Das bedeutet den unangefochtenen ersten Platz im Open (Endstand), 15 000 Euro Preisgeld und dass sein Name in den nächsten Stunden und Tagen durch viele Medien geht.

Vor der Vormittagspartie gegen Gabor Papp bekam er Tipps von Peter Leko. Der WM-Finalist von 2004, der als Livekommentator des Grenke Classic dabei ist, hat im Februar begonnen, ihn zu trainieren. Papp wollte zu viel von seiner Stellung und wurde von Keymer fein überspielt. Die eigentlich Großtat gelang dann mit Schwarz gegen Rapport, obwohl zur Vorbereitung nahezu keine Zeit blieb. In folgender Stellung schätzte er völlig richtig ein, dass nach seinem folgenden Zug

18. … h5 nicht mehr als ein Dauerschach für Rapport drin war, was dem einen halben Punkt hinter ihm liegenden Ungarn aber nicht reichen würde. Rapport opferte mit 19. Sh2 g5 20. Dxh5 (20. Lg3? h4) eine Figur. Wenige Züge glaubte Keymer, dass er falsch gelegen hatte, bevor er sah, dass er hier mit

23. … Ke7 24. Dg7+ Ke6! 25. Tfe1 Te7 seinen König Richtung Damenflügel evakuieren konnte. Bald stand der sicher auf a8, während die schwarzen Figuren den weißen König ins Visier nahmen. Als es Zeit war, die Ernte seines guten Spiels einzufahren, war Keymer taktisch voll auf der Höhe:

43. … Lxh3! 44. Kg1 (44. gxh3 Txh3+ 45. Th2 Tg3! und die Drohung 46. … Tfxf3 nebst 47. … Tg1 matt entscheidet) 44. … Tg7 45. Sh4 Txf2 46. Kxf2 Txg2+ 47. Sxg2 Dxg2+ 48. Ke1 Df1+ 49. Kd2 Lg4 und Weiß war verloren (ganze Partie zum Nachspielen).

Als Open-Sieger steht ihm auch die Teilnahme im nächsten Grenke Classic zu. Doch aus heutiger Sicht mit einer Elozahl von gerade mal knapp über 2400 scheint ihm das deutlich zu hoch. Vielleicht werde er auf den Platz verzichten meinte der bescheidene Junge, der schon länger als größes deutsches Talent gilt.

Parallel zur letzten Runde des Opens stand im Grenke Classic Runde drei an. Die Partie des Tages spielte Fabiano Caruana. Der Kandidatenturniersieger machte gegen Georg Meier einige Eröffnungszüge, die man vor wenigen Wochen noch als durchgeknallt angesehen hätte. Inzwischen sind wir gegen Vorstöße des g-Bauern aus heiterem Himmel etwas abgestumpft.

10. … g5 11. Sf3 Tg8 12. h4 Dg6! 13. hxg5 Sg4, und Caruanas Angriff am Königsflügel stellte seinem deutschen Gegner dauerhaft Probleme (ganze Partie nachspielen).

Grenke Classic nach drei von neun Runden: 1.-2. Vachier-Lagrave, Witjugow je 2,5; 3.-5. Aronjan, Caruana, Carlsen je 2, 6.-8. Anand, Blübaum, Naiditsch je 1; 9.-10. Meier, Hou Yifan je 0,5. Nächste Runden ab Mittwoch bis 9. April täglich ab 15 Uhr im LA 8 Baden-Baden, live bei Chess24.

 

 

 

 

 


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