Berührt, geführt

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Ein Schachfest in Berlin aber keine Party

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Vor zehn Jahren fanden binnen sechs Wochen in Bonn die Schach-WM und in Dresden die Schacholympiade statt. Damals erwarteten viele, dass die beiden Spitzenveranstaltungen den Schachvereinen mehr Leben einhauchen. Mancher erhoffte sich einen Schachboom in Deutschland. Doch mehr als einige Wochen verstärkter medialer Aufmerksamkeit war nicht. Die Stagnation in den Verbänden und den meisten Vereinen ging weiter. Was nicht nur an der unprofessionellen Öffentlichkeitsarbeit lag sondern auch daran, dass die beiden Events nebeneinander herliefen, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Das ist 2018 anders als 2008. Nach dem Kandidatenturnier im März und dem Grenke Classic und Open in der Osterwoche trifft sich die deutsche Schachszene über das um den 1. Mai verlängerte Wochenende in Berlin schon wieder. Anlass ist die zentrale Endrunde der Schachbundesliga. Um diese herum finden offene Turniere, Vorträge, Verbandstreffen und eine Konferenz statt. Man redet miteinander, arbeitet zusammen. Das stimmt optimistisch, dass dieser Schachfrühling kein Strohfeuer bleiben wird.

Schon seit die Schachbundesliga 1980 eine bundesweite Gruppe mit 16 Teams einführte, werden Wettkämpfe nicht einzeln ausgetragen. Im Normalfall treffen sich vier Teams an einem Wochenende, wobei je zwei Reisepartner gegen die jeweils anderen Teams aber nicht gegeneinander antreten. In dieser Form waren die ersten zwölf Runden dieser Saison über sechs Wochenenden mit jeweils vier Spielorten verteilt. Die letzten drei Runden finden nun zentral im Berliner Maritim-Hotel statt und zwar Sonntag und Montag ab 14 Uhr und Dienstag ab 10 Uhr. Solche zentralen Wochenenden gab es in den letzten Spielzeiten schon einige, und sie scheinen von Mal zu Mal besser zu laufen.

Dieses Mal sind die meisten sportlichen Entscheidungen noch offen. (Update:) Weil Schwäbisch-Hall seinen Rückzug angekündigt hat und Nickelhütte Aue, der Sieger der Zweiten Liga Ost, auf den Aufstieg verzichten will, steigen wahrscheinlich nur zwei Teams ab. Der SK Norderstedt steht als Absteiger fest. Der andere Absteiger entscheidet sich wahrscheinlich am Montag im direkten Aufeinandertreffen zwischen MSA Zugzwang München und Bayern München. Über den Klassenerhalt entscheiden bei gleichen Mannschaftspunkten die Brettpunkte.

Die beiden jüngsten Bundesligaspieler Luis Engel (15, Hamburger SK) und Vincent Keymer (13, SF Deizisau, Foto: Theo Heinze)

Der zehnmalige Deutsche Meister OSG Baden-Baden unterlag im Februar seinem wichtigsten Konkurrenten SG Solingen mit 3,5:4,5. Weil Solingen in der Märzrunde seinerseits gegen den Drittplatzierten Hockenheim 3:5 verlor, sind die beiden Teams nun punktgleich vorn. Die Meisterschaft könnte davon abhängen, wie sich Baden-Baden am Sonntag selbst gegen Hockenheim schlägt, wobei Solingen mit Schwäbisch Hall und in der Schlussrunde Deizisau insgesamt eher das schwierigere Restprogramm hat. Gibt es am Ende Mannschaftspunktgleichheit an der Spitze, entscheiden nicht die Brettpunkte sondern ein Stichkampf.

Bei der Bundesligaendrunde 2017 gewann Caruana, für Baden-Baden spielend (rechts), sehenswert gegen Solingens Rapport (Foto: Theo Heinze).

Fände das mit 10 000 Euro dotierte Blitzturnier (ausgebucht) – nach der Blitzschach-WM 2015 übrigens das zweitstärkste je in Deutschland ausgetragene Blitzturnier – nicht am Samstag nachmittag sondern am Dienstag statt, könnte ein möglicher Stichkampf gleich im Rahmen des Events steigen. Am Montagabend könnte gefeiert und falls der Meister feststeht dieser auch geehrt werden. Leider bleibt dieses Schachfest in Berlin ohne Party, (Update:) aber das Szenario der Runden von Samstag bis Montag scheiterte von vornherein daran, dass es im Hotel für die Nacht auf Samstag keine Zimmerkapazität gab und viele Vereine vorher anreisen wollen. Soziale Anlässe genießen freilich keinen besonderen Stellenwert im Schach. Und die meisten Spieler und Zuschauer werden wahrscheinlich am Dienstag schon auf dem Heimweg sein, wenn die letzte Entscheidung gefallen und das letzte Spiel beendet ist.

Für höchstens neun Euro Eintritt pro Spieltag sind bei der zentralen Endrunde an die achtzig Großmeister im Einsatz zu erleben. Die interessantesten Partien kommentieren Robert Rabiega und Sebastian Siebrecht, der dann gerade eine Schachwoche in einem Höhenschönhausener Einkaufscenter hinter sich hat. Im Anschluss wird Jan Sprenger für diesen Blog hoffentlich wieder wie voriges Jahr Höhepunkte beleuchten.

Parallel tagen der Hauptausschuss des Deutschen Schachbunds und die zweite bundesweite Vereinskonferenz, zu der man sich noch kostenlos anmelden kann. Wie Vereine besser an das wachsende Schulschach andocken und wie sie in der Ära des schnellen, jederzeit möglichen Onlinespiels Mitglieder binden oder wiedergewinnen, sind zentrale Fragestellungen. Ein Thema ist auch Fairplay, womit hoffentlich auch gemeint ist, dass die bei Turnieren üblichen Auslosungsverfahren unnötig viele unfaire Paarungen nach sich ziehen, dass die unnötige Bevorzugung ungerader Rundenzahlen eine faire Verteilung von Weiß- und Schwarzpartien verhindert und dass zunehmend strengere Turnierbestimmungen jene benachteiligen, die neben dem Schach ein normales Leben führen.

Samstag, Sonntag und Montag abend gibt es jeweils ab 19.30 Uhr ebenfalls im Maritim-Hotel Vorträge über den einzigen deutschen Schachweltmeister Emanuel Lasker – darauf werde ich an dieser Stelle zurückkommen.

Schachbundesliga live am Sonntag 29 April und Montag 30 April je ab 14, am Dienstag 1. Mai ab 10 Uhr


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