Berührt, geführt

Vom Kreml an die Schachspitze?

Russland will in der FIDE das Sagen behalten. Darum schickt der Kreml ein politisches Schwergewicht vor. Arkadi Dworkowitsch hat seine Kandidatur für die Wahl während der Schacholympiade im georgischen Batumi am 3. Oktober bekanntgegeben. Zehn Jahre war er die rechte Hand des früheren Präsidenten und heutigen Ministerpräsidenten Russlands Dimitri Medwedew. Bis Mai war Dworkowitsch selbst einer von dessen Stellvertretern. Derzeit steht der 45 Jahre alte Wirtschaftsexperte dem Organisationskomitee der Fußball-WM und Russlands IT-Schmiede Skolkowo-Stiftung vor. Aber es geht Russland sicher um mehr, als einem verdienten Staatsmann ein weiteres Amt zu verschaffen. Dworkowitsch soll wohl auch beitragen, das durch Staatsdoping ramponierte Image der Sportnation Russland aufzubessern.

Arkadi Dworkowitsch – jetzt OK-Vorsitzender der Fußball-WM, ab Oktober FIDE-Präsident? (Foto: Kreml)

Auch der bisherige Schachpräsident kommt aus Russland. Kirsan Iljumschinow wurde 1995 als nahezu Unbekannter an die Spitze der FIDE gehievt, weil sich sein Vorgänger Florencio Campomanes und dessen linke Hand Georgios Makropoulos in wirtschaftlich schwierigen Zeiten an der Kasse vergriffen hatten. Obwohl Iljumschinow nichts Besseres zu tun wusste, als die beiden binnen kurzer Zeit zu rehabilitieren, Saddam Hussein die FIDE-WM anzutragen und in Interviews von Treffen mit Außerirdischen, die seiner Meinung nach Schach erfunden haben, zu schwadronieren, wurde er nicht rasch wieder davon gejagt.

Im Gegenteil labte sich eine Generation an Funktionären an kalmückischem Kaviar und an Geld, das Iljumschinows Landsleuten in einem der ärmsten Landstriche Russlands bitter vermissten. Larissa Judina, eine Aufdeckungsjournalistin, wurde von Iljumschinows Schergen ermordet, seine Verwicklung allerdings nicht bewiesen. Er scheffelte Millionen mit Steuersparmodellen für russische Firmen, die sich in Kalmückien registrierten, bis Moskau das Geschäft abdrehte. Die Korruption blühte im Weltschach nie wieder so schön wie Ende der Neunzigerjahre. Die Verbundenheit vieler FIDE-Delegierter blieb ihm.

Kritik lächelte Iljumschinow weg. So lange er die Schachfamilie teilhaben ließ und niemand persönlich angriff, glaubte er, sich alles erlauben zu können. Erst dass er zwischen dem syrischen Diktator Bashar al-Assad und der Terrororganisation Islamischer Staat Ölgeschäfte abgewickelt haben soll und in der Folge auf eine Sanktionsliste des Amerikanischen Schatzamts geriet, läutete sein Ende ein. Als Folge kündigte die UBS im Februar an, die Bankkonten der FIDE zu schließen, und im April machte die Schweizer Bank ernst. Derzeit wickelt die Schachföderation ihre Finanzen über Treuhänder ab.

Offiziell kandidiert Iljumschinow weiter für eine siebte Amtszeit. Laut einem Sprecher wird er sich erklären, nachdem am Wochenende die FIDE-Ethikkommission und kommenden Dienstag der Russische Schachverband getagt haben. Nach seinem absehbaren Rückzug verlieren die zwei weiteren Kandidaten ihr zentrales Motiv, den unhaltbaren Iljumschinow abzulösen.

Der stellvertretende Präsident Georgios Makropoulos, der seit 1986 zum engsten Führungskreis zählt und seit Iljumschinow auf der Sanktionsliste steht ohnehin die Geschäfte führt, hat mehreren reichen Männern angeboten hat, sich in die FIDE-Präsidentschaft einzukaufen, bevor er selbst in den Ring stieg. Nun wird der Grieche wohl das Gespräch mit Dworkowitsch suchen.

Auch Nigel Short kandidiert. Der englische Schachprofi und Vizeweltmeister 1993 hat allerdings zu wenige Verbände hinter sich, um im Machtpoker ernsthaft eine Rolle zu spielen. Das kann eher sein Landsmann Malcolm Pein, der mit einem Übergangspräsidenten Makropoulos als dessen Stellvertreter und designierter Nachfolger kandidieren wollte (Offenlegung: Pein leitet die englische Charity Chess in Schools and Communities, für die ich seit Jahren das Programm der London Chess Conference gestalte).

Dworkowitsch, der in dem kanadischen Schachblogger Kevin Spraggett offenbar einen großen Fan hat, vermittelte dem russischen Schachverband, der FIDE und ihrer Veranstaltungsfirma Agon zahlreiche Geldgeber. 2009 bis 2013, also vor Andrei Filatow, war er der mächtigste Mann im Russischen Schachverband. Als Anatoli Karpow 2010 die Unterstützung seines Verbands für seine damalige Kandidatur als FIDE-Präsident reklamierte, griff Dworkowitsch ein. Hinter seinem Rücken hatte der damalige Geschäftsführer Alexander Bach, ein langjähriger Vertrauter Karpows eine Parallelsitzung des Aufsichtsrats organisiert. Dworkowitsch sorgte für Bachs Rücktritt und ließ die Sitzung ungültig erklären. Der Russische Verband stellte sich dann hinter Iljumschinow.

Karpows damals gescheiterte Finte dürfte der Grund sein, warum der lange für eine Kandidatur gehandelte und offenbar Ende Mai dazu bereite Exweltmeister dem Kreml nicht als zuverlässig genug gilt, um an die Schachspitze gehievt zu werden, so dass Dworkowitsch nun selbst kandidiert. Im Unterschied zu Karpow ist er unter den Delegierten kaum bekannt und wird wohl einseitig als Interessenvertreter Russlands wahrgenommen.

Dworkowitsch ist nicht die einzige Verbindung zwischen dem Kreml und dem Schach. Alexander Schukow, der Vorsitzende der Russischen Duma, war bis 2009 Präsident des Russischen Schachverbands und bis Mai Präsident des Russischen Olympischen Komitees. Putins Pressesekretär Dimitri Peskow steht dem Aufsichtsrat des Russischen Schachverbands vor.

Dworkowitsch verdankt seinen Einstieg in die Putin-Nomenklatur kurioserweise ein Stück weit einem der größten Putin-Kritiker. Sein Vater Wladimir leitete Anfang der Neunzigerjahre Garri Kasparows Team und war ein enger Vertrauter. Später verfasste Kasparow Empfehlungsschreiben, die Dworkowitsch zu einem Master-Studium an der renommierten Duke University verhalfen. Zu Weggefährten hat es die beiden allerdings nicht gemacht.

Sich geschmeidig von Freunden zu lösen, gelang Dworkowitsch anscheinend auch in jüngerer Zeit. Sein enger Freund seit dem gemeinsamen Wirtschaftsstudium Sijawudin Mahomedow wurde Ende März verhaftet wegen Verdacht auf Bereicherung an einem staatlichen Bauauftrag am WM-Stadion in Kaliningrad. Wenige Tage später übernahm Dworkowitsch den Vorsitz im WM-Organisationskomitee.

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