Eine Schacholympiade ist ein einziger gewaltiger Irrtum. An den Spitzenbrettern des Mannschaftswettbewerbs spielen die stärksten Großmeister und Großmeisterinnen der Welt die Hackordnung zwischen den Nationen aus. An den Tischen mit den höchsten Nummern stößt man auf Hobbyspielerinnen, die noch nie in einem Schachverein waren und mitunter nicht einmal mit dem Schäfermatt vertraut sind. Dazwischen wimmelt es von Mannschaftskapitänen, Schiedsrichtern, Delegationsleitern und freiwilligen Helfern. Unbeteiligte Zuschauer dürfen nur auf die Tribüne, von wo sie praktisch gar nichts mitbekommen. Aber ergeht es den anderen viel besser?
Sie sind um den halben Globus gereist, haben aber von Georgien außer dem Flughafen und den unwirklichen Fassaden Batumis, das einen im Kaukasus beispiellosen, von russischem Geld getriebenen Bauboom hinter sich hat, nichts gesehen. Vor und nach den Runden bleiben die Spieler in ihren Hotels. Einige beklagen sich über das Essen, scheuen aber doch den Weg in eines der vielen Restaurants, wo sie für eine Handvoll Lari exzellent versorgt würden. Ins Schwarze Meer schaffen es auch nicht viele, obwohl ihr Hotel am Strand liegt. Am Internet ziehen sie sich rein, was an den anderen Tischen los war. Oder sie lassen sich vom Computer zeigen, was sie am eigenen Brett alles nicht gesehen haben. Auf die Idee, die Partie mit dem Gegner nachzubesprechen, kommt niemand mehr.
Sie begegnen einander beim für die Schacholympiaden typischen Schlangestehen vor den Metallscannern vor jeder Runde. Oder bei der Bermudaparty in der Nacht vor dem einzigen spielfreien Tag. Dort wummern elektronische Beats gegen jede sinnhaltige Kommunikation an. Dabei würden so viele gerne anbandeln. Bei keinem anderen Schachwettbewerb sind auch nur annähernd so viele Frauen da.
Wie wäre es mal mit Speed Chess Dating? Oder mit einer allabendlichen Comedyshow? Irgendwer müsste die schachlichen Reinfälle des Tages doch aufgreifen und das, was sich gerade in der FIDE abspielt. Wo ein Vertreter des Kremls mit quasi unlimitiertem Budget die Macht erkauft. Die FIDE wirkt wie eine Parellelwelt, deren Bewohner in Raumschiffen namens Sheraton und Hilton auf sicherem Abstand zum Schachvolk bleiben.
Der mittlere Schacholympiadespieler ist in den Zwanzigern, der mittlere Delegierte beim FIDE-Kongress geht auf die sechzig zu. Spieler haben in der FIDE nichts zu melden. Ausgerechnet der neue Mann aus dem Kreml hat versprochen, das zu ändern. Aber er hat noch viel versprochen. Vor allem fünf Millionen Dollar jährlich, die er, das ist also seine Vorstellung von Korruptionsbekämpfung, direkt an die nationalen Verbände verteilen will. Das könnte noch Ärger geben mit den Mittelsmännern, die weiterhin mitschneiden wollen.
Eine Mogelpackung ist schon der Name Schacholympiade. Er genießt Bestandschutz, weil die Veranstaltung bis 1924 zurückgeht, als der damals überfällige Weltverband während der Olympischen Spiele in Paris gegründet wurde. Anders als der Begriff Olympiade nahelegt, finden Schacholympiaden nicht alle vier Jahre statt sondern alle zwei. Und Schach wird, anders als ein endlich abgesetzter FIDE-Präsident neben vielen anderen Lügen behauptet hat, natürlich nie olympisch werden.
Eine Schacholympiade ist viel teurer und komplexer als ein Weltmeisterschaftskampf, bringt aber weniger Publizität. Dass sich überhaupt alle zwei Jahre ein Ausrichter findet, der rund 2000 Spieler und Funktionäre zwei Wochen lang freihält, ist die vielleicht größte Errungenschaft dieses oft unterschätzten Weltverbands. In Batumi klappte es, weil der lange Zeit beste Spieler Georgiens in der Politik Karriere macht und der wichtigste Energieversorger des Landes, der bereits die vorige Schacholympiade in Baku sponserte, wieder dabei ist. In zwei Jahren findet sie – zum zweiten Mal – im sibirischen Chanti-Mansisk statt, in vier Jahren dann im weißrussischen Minsk. Andere Bewerber gab es einstweilen nicht. Das letzte Mal in einer westlichen Demokratie, 2014 im norwegischen Tromsö, ging es zwischen den Organisatoren und der FIDE gründlich schief. Ein Professor für Sportmanagement hat eine Fallstudie darüber verfasst.