Berührt, geführt

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Es muss nicht immer Zweikampf sein – diesmal schon

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Magnus Carlsen ist kein großer Fan langer Zweikämpfe. Ginge es nach dem Weltmeister, würde der wichtigste Titel im Schach nicht nach zwölf Partien zwischen nur zwei Kontrahenten sondern in einem K.o.-Turnier mit vielen Teilnehmern vergeben. Mir erscheint der K.o.-Modus zu erratisch, und das geht wohl den meisten so. Bei den Frauen wird der Titel gerade letztmals in einem K.o.-Turnier mit 64 Teilnehmerinnen ausgespielt. In Zukunft, so hat der neue FIDE-Präsident Arkadi Dworkowitsch angekündigt, findet wie bei den Männern ein Kandidatenturnier statt, für das sich die Halbfinalistinnen dieser K.o.-WM qualifizieren. Aus meiner Sicht als Berichterstatter liegt die Wahrheit dazwischen. Ich habe das Glück, den fünften WM-Kampf Kasparow – Karpow noch erlebt zu haben. Es dauerte elf Wochen, aber die Partien und die Atmosphäre waren großartig. Es war DAS Schachereignis 1990. Danach folgten einige einseitige Matche (Kasparow gegen Short und Anand) um kam vor, dass der offensichtlich beste Spieler nicht mit von der Partie war (Kramnik – Leko 2004, Anand – Gelfand 2012).

Selbst WM-Kämpfe mit einem klaren Favoriten können am Ende spannend sein wie Anand – Gelfand 2012 oder Carlsen – Karjakin 2016, aber vom Hocker hauen können sie nicht. Zweikämpfe sind großartig, wenn zwei ebenbürdige Gegner aufeinandertreffen, die zumindest unter den drei aktuell besten Spielern sind. 2000 in London gelang Kramnik, damals knapp hinter Anand die Nummer drei, ein strategisch überzeugender Außenseitersieg gegen Kasparow. Wenn wie 2008 in Bonn die aktuelle Nummer fünf und die Nummer sechs, also Anand und Kramnik (Carlsen war übrigens damals mit 17 Jahren nominell schon die Nummer vier), den Weltmeister ermitteln, überzeugt das Zweikampfformat nicht. Weil damals auch noch Topalow in das zwei Jahre später folgende WM-Duell bereits gesetzt war, mussten andere Anwärter damals fast vier Jahre warten, bevor sie überhaupt wieder eine Chance hatten, sich zu qualifizieren.

Weil die Schach-WM und ihre Protagonisten so viel mehr Beachtung bekommen als andere Wettbewerbe, muss der Modus fair und aussagekräftig sein. Die Zeiten, in denen sich Weltmeister wie Lasker vornehmlich nicht den stärksten, sondern finanzkräftigsten Herausforderer aussuchte, wünscht man sich nicht zurück. Auch seit die FIDE die Weltmeisterschaften kontrolliert, genossen Titelverteidiger noch lange übertriebene Privilegien wie das Recht auf einen Rückkampf im Fall einer Niederlage oder dass ihnen ein Unentschieden genügte. Wenn es mindestens vier gleichwertige Anwärter auf den WM-Titel gibt, ist der Zweikampf an sich nicht geeignet und ein Turnier fairer und aussagekräftiger.

Nach Kasparows Rücktritt wurde der Weltmeister 2005 und 2007 jeweils in einem doppelrundigen Achterturnier ermittelt. Anand gewann 2007, Topalow 2005, weil der Bulgare aber keinen Zweikampfsieg folgen ließ (und vielleicht auch wegen seiner Rolle beim Toilettenskandalmatch gegen Kramnik) wird er in der kanonisierten Weltmeisterliste nicht geführt). Grandios hat dieser Turniermodus seit 2013 zur Ermittlung des WM-Herausforderers funktioniert. Das Berliner Kandidatenturnier im März war der höchstklassige und inhaltsreichste Wettbewerb, den ich je erlebt habe. Wahrscheinlich das Schachereignis, das von 2018 in Erinnerung bleiben wird. Ich verstehe eigentlich nicht, warum Wien unbedingt den WM-Kampf 2020 ausrichten will und nicht für ungleich weniger Geld das inhaltsreichere und ebenfalls im Jubiläumsjahr des Österreichischen Schachbunds liegende Kandidatenturnier.

Dass der Sieger von Berlin Fabiano Caruana zuletzt fantastisch spielte, steht ebenso außer Diskussion wie, dass Magnus Carlsen der Mann ist, den man schlagen muss, um sich mit Fug und Recht Weltmeister nennen zu dürfen. Schon diese Besetzung versöhnt mich mit der Zweikampfform. Carlsen hat erstmals einen WM-Gegner auf Augenhöhe. Warum soll der Norweger nicht daran wachsen? Grundsätze prallen aufeinander – die konkrete, auf Berechnung beruhende Spielanlage Caruanas gegen Carlsens Intuition. Beide Spieler sind für ihren Kampfgeist bekannt. Beide verstehen es, ihren Gegnern in jeder Partiephase Probleme zu stellen. Wenn die am Freitag beginnende Begegnung langweilt, wird man den WM-Modus überdenken müssen. Wird es das großartige Match, das wir uns erhoffen, ist die Zweikampfform gerettet.


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