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Wo bleiben die Daumenschrauben?

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Dritte Partie, drittes Remis. Wird der WM-Kampf Magnus Carlsen etwa schon langweilig? Der Titelverteidiger fand die Frage daneben: „Quatsch, fragt mich wieder, wenn wir neun Remis haben.“ Das erste Mal in diesem Match kam Weiß am Montag besser aus der Eröffnung. In diesem Fall Fabiano Caruana. Carlsen stellte sich gedanklich bereits auf eine langwierige Verteidigung ein. Doch mit einem schlappen Läuferzug warf sein Herausforderer allen Vorteil weg. In der Folge tauschte Carlsen die gegnerischen Figuren, die ihm gefährlich werden konnten, nämlich Türme und Damen, ab. Unmerklich erarbeitete er sich das etwas angenehmere Endspiel. Nun erwartete Caruana, dass Carlsen das macht, was er weltmeisterlich kann, nämlich langsam die Daumenschrauben anzuziehen. Doch an diesem Londoner Abend war Carlsen nicht der gefürchtete Foltermeister.

Caruana grübelte als erster. (Foto: Nadja Pantelejewa/Worldchess)

Sie wiederholten die Rossolimo-Variante der Sizilianischen Eröffnung aus der Auftaktpartie. Caruana wich als erster ab. In der ersten Partie hatte er 6. h3 gezogen, was zwar Schwarz die Möglichkeit Lc8-g4 nimmt, ihm aber einen Aufrollpunkt verschaffte, den Carlsen auch später mit g6-g5 anging. Dieses Mal (hier kann man die Partie nachspielen) rochierte er, und Carlsen antwortete postwendend mit einem bisher nur auf Amateurniveau gespielten Damenzug: 6. … Dc7

Sein Lohn waren gut zehn Minuten, die sein Herausforderer nachdachte, bevor er 7. Te1 zog. Als nächstes verzichtete er darauf, mit 8.Le3 durch Angriff auf den Bauern c5 vermeintlich ein Tempo zu gewinnen, und zog direkt 8. a3 und 9. b4, wonach sein Läufer meist besser auf einer anderen Diagonale steht. Carlsen war darauf anscheinend vorbereitet, ließ er doch mit 9. … 0-0 seinen c-Bauern einfach stehen.

Wieder war Caruana gefordert. Sollte er sich auf 10. bxc5 Sd7 11. Le3 f5 einlassen? Vom Schlagen auf c5 in einer sehr ähnlichen Stellung gegen Carlsen hatte er sich schon einmal zuviel versprochen, und war 2015 in Wijk aan Zee ziemlich vorgeführt worden. Er zog lieber 10. Sbd2, worauf Carlsen 10. … Lg4 erwiderte. Wieder konnte Caruana einen Bauern nehmen. Doch auch an 11. bxc5 Sd7 12. Sb3 f5 fand er – zu Recht – keinen Gefallen.

Caruana hatte soweit richtig reagiert, Carlsen war nicht zufrieden mit dem Resultat der Eröffnung. Hier war er darauf gefasst, dass er sich lange verteidigen musste. Weiß hatte die kompaktere Bauernstruktur, den aktiveren Läufer, und nun sollte er auch noch die a-Linie bekommen.

Die Folge 15. Txa5 Dxa5 16. Ld2 Dc7 17. Da1 lag auf der Hand. Doch Caruana zog 15. Ld2. Wahrscheinlich hatte er nur 15. … Txa1 16. Dxa1 auf der Rechnung, wonach die gleiche Stellung einen Zug schneller entsteht. Doch nun brauchte Schwarz die a-Linie gar nicht preiszugeben. Nach 15. … Taa8! war Carlsens Welt wieder in Ordnung. Er erkannte, dass seine Damenflügelbauern nach Abtausch der Türme und der Dame nicht nur nicht mehr anfällig waren sondern sogar eine Stärke bedeuteten, nämlich dank des Potenzials, später einen Freibauern (also einen Bauern, auf dessen Weg zur gegnerischen Grundreihe kein gegnerischer Bauer im Weg steht) zu bilden.

Hier hätte Caruana wohl gerne die Damen auf dem Brett behalten. Doch der Angriff 23. De7 Dxc2 24. Sg5 wird durch 24. … Dc1+! 25. Kh2 Df4+ 26. Kg1 Sf8 leicht entkräftet. Also lieber schweren Herzens 23. Db2 und Damentausch.

Caruana erwartete hier, dass Carlsen langsam weiterspielt, angefangen mit 37. … Kc6. Doch der stellte Caruana lieber vor eine konkrete Entscheidung, solange der nur noch drei Minuten auf der Uhr hatte und bevor er nach vierzig Zügen zusätzliche fünfzig Minuten Bedenkzeit bekam. Carlsen zog 37. … fxe4 38. dxe4 c4 39. Sd2 Sc5. Konnte Weiß es sich wirklich leisten, seinen Läufer aufzugeben und Schwarz einen Läufer jener Farbe zu überlassen, auf der fast alle weißen Bauern stehen? Allemal lieber als den Springer nach d3 oder a4 reinzulassen! Caruana griff erleichtert zu, denn er hatte schon gesehen, dass er nichts mehr zu befürchten hat.

Mit 48. Sxc4 beseitigte Caruana hier den letzten schwarzen Gewinnbauern, gefolgt von 48. … Kxc4 49.exf5. Schwarz kann zwar beide weißen Bauern erobern, doch der weiße König braucht nur in die Ecke h1 zu laufen, und eine bekannte Remisfestung ist auf dem Brett. Weil der Läufer das Eckfeld nicht kontrolliert, kann Schwarz den Randbauern nie durchbringen und auch kein Matt sondern allenfalls ein Patt erzwingen. Carlsen bot sofort remis an. Es steht nun 1,5:1,5. Die vierte Partie beginnt an diesem Dienstag ab 16 Uhr deutscher Zeit.


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