Berührt, geführt

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Ich will deinen Bauern nicht – nimm meinen!

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Nach zwei ruhigeren Spielen brannte endlich das Brett. Schon im sechsten Zug bot Caruana ein Bauernopfer an, das sehr nach Kaffeehausschach aussah. Doch die Bombe blieb ohne Überraschungseffekt. Alexander Grischtschuk nannte es auf Chess24 naiv von Caruana zu glauben, dass Carlsen von 6. b4 überrascht werden könnte. Tatsächlich kannte Carlsen das Bauernopfer. Er gab den Bauern nicht nur wieder zurück sondern opferte gleich darauf selbst einen. Um die Initiative des Titelverteidigers zu bremsen, gab Caruana später zwei Bauern. Einen bekam er zurück, und nach Herstellen des Gleichgewichts wurde rasch Frieden geschlossen. Würden die Brexit-Verhandlungen so großzügig geführt, wie Carlsen und Caruana ihre fünfte WM-Partie anlegten, gäbe es längst einen Deal. Zum munteren Verlauf trug neben mehreren Wechseln des Materialverhältnisses ein Marsch des schwarzen Königs bis nach d3 und anschließend f5 bei. Falls der Konzeptkünstler Daniel Weil auch diese Partie vertont, sollte es etwas weniger eintönig klingen als die zweite Partie.

Carlsens Lieblingsspieler? Natürlich er selbst – mit 23 (Foto: Nadja Pantelejewa/WorldChess)

Wieder gab es einen Rossolimo-Sizilianer (hier kann man die Züge nachspielen). Dieses Mal tauschte Caruana aber nicht gleich seinen weißfeldrigen Läufer gegen den schwarzen Springer. Sondern er hatte ein Gambit vorbereitet:

Mit 6. b4 begann ein munterer Schlagabtausch: 6. … Sxb4 7. Lb2 a6 8. a3 axb5 9. axb4 Txa1 10. Lxa1 d6 11. bxc5 Se7 12. De2 b4 13. Dc4

Hier erwarteten viele 13. … Dc7, doch Carlsen kannte diese Stellung anscheinend noch aus seiner Vorbereitung und zog 13. … Da5! 14. cxd6 und nun nicht 14. … Sc6? wegen dem starken Figurenopfer 15. d4! Dxa1 16. d5 Sa7 17. Dxb4 sondern 14. … Le6 15. Dc7 Dxc7 16. dxc7 Sc6 17. c3

Es kam auch in Frage, die schwarze Entwicklung mit 17. c8D+ etwas zurückzuwerfen. Nach 17. c3 Kd7 18. cxb4 nahm Carlsen nicht den c-Bauern sondern machte mit 18. … Ta8 ein echtes Bauernopfer draus.

Schwarz hat den aktiveren Turm, den aktiveren König, sein Springer c6 ist aktiver als seine weißen Pendants, und dem Läufer e6 steht keine ebenbürdige Figur gegenüber. Wäre der Damenspringer im Spiel wäre, hätte Weiß nichts zu befürchten. Um den Springer ins Spiel zu bringen, muss er allerdings die schöne gedeckte Position seines d-Bauern aufgeben. Caruana entschied sich für 20. d3 Kb6 21. Ld2 und nach 21. … Td8 ergab sich eine forcierte Folge:

22. Le3+ Kb5 23. Sc3+ Kxb4 24. Sd5+ Lxd5 25. exd5 Txd5 26. Tb1+ Kc3 27. Txb7 Sd8 28. Tc7+ Kxd3 29. Kf1

Weiß ist seinen Sorgenspringer los und mit seinem Turm auf die siebte Reihe eingedrungen. Als nächstes könnte er mit dem tückischen 30. g4 die Drohung 31. Se1+ Ke4 32. Tc4+ (oder mitunter sogar Ke2 und f3 matt) aufstellen. Schwarz kam ihm mit 29. … h5 30. h3 zuvor. Und bevor sein König in die Bredouille kam, gab Carlsen den Bauern mit 30. … Ke4 zurück: 31. Sg5+ Kf5 32. Sxf7 Sxf7 33. Txf7+ Lf6 34. g4+

Hier wurde remis vereinbart. In der sechsten Partie am Freitag ab 16 Uhr deutscher Zeit hat Carlsen Weiß. Wie übrigens auch in der siebten Partie. Seit Statistiker herausfanden, dass es ein Vorteil ist, in allen ungeraden Partien Weiß zu haben, weil es, ähnlich wie beim Elfmeterschießen im Fußball, die Chance erhöht, in Führung zu gehen, wurden die Farbwechsel zur Mitte des Matches umgedreht. Zweimal Weiß in Folge war aber noch nicht der letzte Grund, warum Carlsen nach der fünften Partie gut gelaunt war. Er freute sich auch an seiner eigenen Schlagfertigkeit. Auf die zweitlangweiligste Frage des Abends, nämlich nach dem jeweiligen Lieblingsspieler, gab Carlsen die beste Antwort des Abends: er selbst, als er drei oder vier Jahre jünger war.


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