Auch die zehnte WM-Partie endete remis, aber welch eine Kampfpartie! Beide Spieler nahmen große Risiken auf sich. Zwischenzeitlich gab es viele mögliche Abspiele, in denen Caruana entweder entscheidenden Materialvorteil bekommt oder aber von Carlsen mattgesetzt wird. Die Kommentatoren und das Publikum hatten ihren Spaß mit spektakulären Tricks, auf die freilich weder Caruana noch Carlsen hereinfiel. Auch Zeitnot war im Spiel. Und am Ende wieder mal ein Turmendspiel. Carlsen meinte hinterher, beide hätten jede Menge bessere Züge verpasst. Laut den Computeranalysen ließ aber keiner je einen klaren Vorteil aus.

Anscheinend hat Carlsens Team den in der achten Partie (zur Analyse von Robert Hübner) angeschlagenen Sizilianer repariert. Doch es war nicht Carlsen, der als erster abwich, sondern Caruana. Statt 12. Ld2 zu wiederholen, kam er einer vorbereiteten Verbesserung des schwarzen Spiels mit 12. b4 zuvor (Partie zum Nachspielen):
Carlsen verbrauchte prompt zwölf Minuten, bevor er mit 12. … a6 13. Sa3 a5 14. bxa5 Txa5 zwar das Feld c5 freikämpfte, aber in der Folge gar nicht mit seinem Springer besetzte. Die schwarzen Figuren strebten vielmehr Richtung Königsflügel.
Die schwarze Dame zieht es offenbar nach g6. Es lag nahe, dies mit 19. Lh5 g6 20. Lg4 zu verhindern. Caruana dagegen spielte hier 19. Ta3!?, um seinen Königsflügel von der Seite zu verteidigen, gefolgt von 20. Lc7 und 21. Kh1.
Zwei Züge später brachte Carlsen ein verblüffendes Bauernopfer mit 21. … b5!? Weil dieser Bauer über ein Feld gezogen ist, auf dem ihn der weiße a-Bauer hätte schlagen können, greift hier die seltene En-Passent-Regel. Weiß kann den b-Bauern im Vorbeigehen schlagen. Doch 22. axb6 e.p.Txa3 23. Sxa3 f3 24. gxf3 Se5! 25. Tg1 Dh6 war Caruana zu gefährlich, und er zog stattdessen 22. Sb6, worauf 22. … Sxb6 23. Lxb6 Dg5 folgte.
Hier schreckte Caruana davor zurück, mit 24. Lxb5 den Bauern zu schlagen, weil er den schwarzen Mattangriff gegen h2, angefangen mit 24. … Tf6, fürchtete. Stattdessen zog er mit 24. g3 überraschend einen der Bauern vor seinem König. Über h3 und f1 tauschten sich in der Folge die weißfeldrigen Läufer über d8 und b6 die schwarzfeldrigen, so dass nur noch Schwerfiguren und Bauern verblieben.
Mit 35. … De2 hat Carlsen eine listige Falle gestellt. Nach 36. Db3+ Kh8 37. c4 wäre die weiße Dame gefangen, aber dann gewinnt Schwarz mit 37. … Txb6! 38. Txe2 fxe2 39. Dc2 Tb2! Auch nach 36. Dd4 e3! 37. c4 wäre die schwarze Dame gefangen aber Schwarz mit 37. … exf2! obenauf. Caruana zog 36. Te1, und die Damen wurden getauscht. Beide hatten nun kaum mehr als die vor jedem Zug dazu kommende halbe Minute bis zur Zeitkontrolle nach vierzig Zügen.
Hier zog Caruana 48. c4, denn 48. … d4? 49. c5 kommt für Schwarz nicht in Frage. Es folgte 48. … dxc4 49. Txc4 Tdxb6 50. Txe4+ mit baldigem Remisschluss.
Carlsen wirkte hinterher müder. „Ich kann nicht annähernd behaupten, dass ich heute meine Coolness bewahrt hätte“, gestand er und auf die Frage, ob die Spieler jetzt nervös geworden sind, sagte er: „Ich bin seit vielen Tagen nervös.“ Caruana meinte, „wenn man in einem WM-Kampf nicht nervös ist, dann…“, und Pressechef Daniel King vervollständigte „stimmt etwas nicht mit einem.“ (korrigiert nach Durchsicht der Aufnahme von der Pressekonferenz).
Eine ausführliche Betrachtung dieser Partie von Robert Hübner folgt am Freitag. Alle Texte zur Schach-WM finden Sie auf der Überblicksseite. Weiter geht es am Samstag um 16 Uhr deutscher Zeit mit der elften Partie und Carlsen mit Weiß, am Montag in der letzten regulären Partie beginnt Caruana.