Berührt, geführt

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Das Schachblog von FAZ.NET

Verschwende deine Jugend

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1959 wurde in Hamburg der erste Jugendschachbund gegründet. Dem Schach ebnete er den Weg in den Hamburger Sportbund und damit zu Subventionen. 1970 folgte die Gründung der Deutschen Schachjugend (DSJ), die seitdem mit kargen, großteils selbst eingeworbenen Mitteln viel bewegt. Anstatt ihre bald fünfzigjährige Erfolgsgeschichte zu würdigen, will der Deutsche Schachbund (DSB) seine Kreativabteilung nun loswerden. Ein sportpolitisch einzigartiger Vorgang. Abgesehen vom Imageschaden wird das, angefangen mit dem Rauswurf des DSJ-Geschäftsführers, auch richtig teuer.

Mitte November schlug die DSJ Alarm. Jörg Schulz, der seit 1990 ihre Geschäfte führt, stehe unmittelbar vor dem Rauswurf durch den DSB. Fast 1500 Unterstützer beteiligten sich an einer digitalen Petition. Am folgenden Wochenende trafen sich die wichtigsten deutschen Schachfunktionäre in Hamburg im so genannten Hauptausschuss. Dort wurden die Wogen geglättet mit der Entscheidung, die DSJ bis Mitte 2020 aus dem DSB herauszulösen. Dann könne die voll eigenständige DSJ ihren Geschäftsführer selbst einstellen. Vorerst sollte Schulz an seinem gewohnten Arbeitsplatz in der Berliner Geschäftsstelle bleiben. Doch wenige Wochen später, am 5. Dezember, wurde er endgültig vor die Tür gesetzt. Nun kümmert er sich ehrenamtlich um die zum 50jährigen DSJ-Jubiläum geplanten Veranstaltungen und Veröffentlichungen.

Seine Stelle wird von der Deutschen Sportjugend bezahlt. Aber nur, wenn Schulz dafür auch die im Fördervertrag vereinbarten Tätigkeiten leistet. Seine Freistellung bedeutet also, dass seine Bezüge bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist Ende Juni vom DSB aufgebracht werden müssen. Thomas Strobl, der gewählte DSB-Rechtsberater, wollte mir auf Anfrage nicht sagen, ob er vor dem Rauswurf von Schulz zu Rat gezogen wurde. Das könnte noch eine Rolle spielen, falls die Frage aufkommt, ob das Präsidium den finanziellen Schaden fahrlässig verursacht hat.

Das nächste Problem ist die geplante Herauslösung der DSJ, denn dabei handelt es sich um einen einzigartigen Vorgang. Keine einzige in der Deutschen Sportjugend aktive Sportjugendorganisation ist ein eigener Verein. Nur unter den zehn Organisationen mit besonderer Aufgabenstellung findet sich eine, die fkk-jugend, die aus historischen Gründen voll eigenständig ist. Erwünscht ist im deutschen Sport gemeinhin, dass die Jugend ihre eigenen Vertreter wählt, eigene Budgets bekommt und diese auch selbst verwaltet. Als nicht erwünscht gilt, dass diejenigen, die sich im Sport in jungen Jahren engagieren (also abgesehen von leitenden Funktionen unter 26 Jahre alt sind), persönlich haften. 

Eine außerordentliche Haftung von Jugendfunktionären gibt es im deutschen Schach auch ohne volle Eigenständigkeit bereits. Zwischen DSB und DSJ kam es schon lange zu Kabbeleien wegen der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaften, die alljährlich ein Budget von gut 500 000 Euro aufweisen. Nach einem Gutachten des früheren DSB-Rechtsberaters Andreas Jagodzinsky waren Schulz und der DSJ-Vorsitzende Malte Ibs genötigt, persönlich die Haftung zu übernehmen, um die erfolgreiche Veranstaltung fortsetzen zu können. Ohne dass sie für ihr Risiko einen müden Cent herauskriegen.

(Ergänzung am 20. Januar) Mittlerweile sieht die DSJ selbst die Eigenständigkeit unter den gegebenen Umständen als besten Ausweg, wie ihren Antworten in einer Onlinefrageaktion zu entnehmen ist. 

Schulz hat in der Vergangenheit oft auch beim DSB den Laden geschupft, wenn dessen frühere Geschäftsführer Horst Metzing und Uwe Bönsch erkrankt oder länger verreist waren. Mit seiner informellen Art und seiner Skepsis gegenüber der Versportlichung des Schachs hat er sich über die Jahre Feinde gemacht. Buchhaltung ist nicht seine Stärke, zumal er ohnehin schon weit länger arbeitet als sein Vertrag vorsieht, hätte er administrative Verstärkung nötig, die der DSB der DSJ aber seit Jahren verweigert. Eine Abmahnung fing sich Schulz damit ein, dass er anderen Mitarbeitern der Geschäftsstelle über ein Gespräch mit dem DSB-Präsidenten Ullrich Krause berichtete und dabei Vorgesetzten widersprochen haben soll.

Als Grund für seinen Rauswurf nennt das DSB-Präsidium ein „völlig zerrüttetes Vertrauensverhältnis“. Klar ist, dass Schulz unterstellt wurde, den voriges Jahr als Veranstalter der Deutschen Schachamateurmeisterschaft geschassten Dirk Jordan über bevorstehende Schritte des DSB gewarnt zu haben. Schließlich liefert man sich mittlerweile einen Rechtsstreit mit dem Dresdner Schachunternehmer, der auch die Zeitschrift Jugendschach verlegt, deren Redakteur wiederum Jörg Schulz heißt.

Krause trat 2017 als DSB-Präsident als Moderator und mit der Prämisse an, die Kluft zwischen DSB und DSJ zu überbrücken, was ihm half, die Wahl gegen den damaligen Präsidenten Herbert Bastian zu gewinnen. Damals verstand Krause sich exzellent mit dem ebenfalls aus Schleswig-Holstein stammenden Malte Ibs und kam gern zu Veranstaltungen und Sitzungen der DSJ. Dieses Jahr hat sich das Verhältnis völlig ins Gegenteil verkehrt. Frühere Weggefährten erkennen Krause kaum wieder. Ohne seine Schachjugend wird der ganze DSB bald nicht mehr wiederzuerkennen sein.


1 Lesermeinung

  1. GeraldFix sagt:

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    Zunächst erlaube ich mir an dieser Stelle, Ihnen meinen Dank für die immer wieder sehr interessanten Berichte auszusprechen.

    Die Herauslösung der DSJ wird aber von beiden Seiten betrieben, wie ich der Homepage der DSJ entnehme. Ist das Flucht oder verspricht man sich auch von seiten der DSJ Verbesserungen?

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