Neulich war sie wieder bei uns. Das nette grünhaarige Nerd Girl, das meine Tochter bereits im Alter von zwölf Jahren im Internet kennen gelernt hatte. Die beiden verkrochen sich stundenlang in ihre Zimmerhöhle, sahen Filme, hörten Musik, ernährten sich still bescheiden von Rührei am Morgen und Pizza am Abend, und gingen sogar ab und zu an die frische Luft, um sich etwas Sonne auf die Nerdnäschen scheinen zu lassen.
Die beiden treffen sich seit einem Jahr in jeder Ferienzeit, mal bei uns, mal bei der anderen Familie. Und wenn sie nicht zusammen in einem Raum sind, verbindet sie ihr Messenger zu jeder Tageszeit.
Man könnte das ja schräg nennen, dieses Kennenlernen übers Internet. Sollte man nicht eher Freunde in der Schule oder der Freizeit suchen, vor der Haustür, in der gleichen Stadt? Und ist das nicht ein Zeichen sozialer Kompatibilität, dass man lernt, sich mit dem Menschenpool in greifbarer Nähe auseinander zu setzen und sich einige davon zu Freunden zu machen?
Ja, das hab ich auch mal gedacht.
Aber dann erzählte meine Tochter von ihrer neuen Freundin, mit der sie Dinge online bespricht. Ich wollte nicht allzu skeptisch wirken, aber die wirkliche drängende Frage, woher sie denn wisse, dass dieses Wesen kein 35 jahre alter Mann sei, kam ganz ohne mein Zutun über meine Lippen.
Tochter: „Na, wir haben doch schon geskyped, ich weiß, wie sie aussieht!“
Mutter: „Du hast einen Skype-Account???“
(Einer dieser Momente, in denen man sich über die Umsicht der eigenen Brut freuen sollte, man aber trotzdem gerade in eine andere Ohnmacht fällt.)
Kennengelernt hatten sie sich auf einer Webseite für Fanfiction, dort wo das ewige Trauern junger Menschen über ein unglückliches Ende ihrer Lieblingsserien durch eigene Ergüsse mit dem glücklichem Finale gestillt wird. Oder genau umgekehrt. Das erfordert Fachwissen in sehr speziellen Serienwelten und verwandte Seelen, die für die gleichen abwegigen Themen brennen.
Natürlich stellte ich noch mehr unnötige (Tochter) und notwendige (Mutter) Fragen, aber am Ende erfuhr ich doch so viel, dass ich neugierig wurde. Da man ja in Zeiten von Tinder und Parship als Erwachsener gelernt hat, dass auch der sympathischste Online-Kontakt im wahren Leben Mundgeruch und schlechte Manieren haben kann, kam mir die Idee mit einem Besuch. Ein Reality-Check für befreundete Teenager.
Dazu mussten die fremden Eltern ins Boot geholt werden – und der erste Anruf war dabei die größte Hürde. Wie würden sie auf mein Kind blicken? Würden sie denken, ich hätte einen Nerd groß gezogen, der keine Freunde im wahren Leben hat? Würde ich unterdrücken könne, dass ich genau so über sie dachte?
Aber sie waren erstaunlich cool. Tasteten sich so vorsichtig wie ich durch das Gespräch, offenbarten ihre Überraschung, ihr Staunen über die Selbstständigkeit ihrer Tochter.
Ein paar Wochen später brachen wir nach Bremen auf. Ich nahm mir für ein paar Tage ein Hotel und ließ meine Tochter nach einem gemeinsamen Kaffeekränzchen bei der fremden Familie. Im Ernstfall hätte sie zu mir ins Hotel „flüchten“ können, aber ich hatte drei Tage erholsamen Urlaub in einer neuen Stadt. Wir sahen uns nochmal zum Familien-Abendessen und spätestens, als wir Eltern nach zwei Gläsern Rotwein unser gemeinsames Faible für Science Fiction im Allgemeinen und Star Trek im Besonderen entdeckt hatten, war Friede in meinem Herzen. Sie leben in einem gemütlichen Häuschen auf dem Land, züchten wuschelige Rassekatzen und sehen sich gemeinsam beim Abendessen alte, aber nicht zu alte Folgen von Dr. Who an. Wie soll man so eine Familie nicht mögen?
Wir Eltern sind zwar keine besten Freunde geworden, aber wir sind uns sympathisch und dankbar, dass unsere Kinder jemand gefunden haben, der ihnen etwas gibt, was eben in deren Klassen so nicht vorhanden war. Ein besonderes Verstanden-werden, ein Gesehen-Werden. Also letztlich das, was ich mir von Freunden für mein Kind wünsche. Egal wo diese Freunde sind.
Demnächst fahren wir nach Berlin, da lerne ich eine andere Freundin und deren Eltern kennen. Ich freue mich schon richtig drauf.