Neulich hatte ich einen dieser angeblich typischen Schwangeren-Träume: intensiv, hyperrealistisch, quasi in HD. Ich war in der Klinik zum Babykriegen, aber ich hatte keine Wehen, sondern bin allein von Untersuchungszimmer zu Untersuchungszimmer getigert. Und in jedem dieser leeren, trostlosen Räume brach ich in Tränen aus, weil ich nirgends meinen großen Sohn Ben finden konnte. Die Verzweiflung fühlte sich so real an, dass ich heulend aufgewacht bin. Vermutlich die Hormone.
Der Traum war aber auch auf eine Art symptomatisch. Ich befinde mich im Endspurt meiner Schwangerschaft – wobei „Spurt“ etwas in die Irre führt, wenn man gute 15 Kilo zugenommen hat und auf elefantösen Beinen voller Wasser- und ganz vielleicht auch Fetteinlagerungen eine Kugel vor sich herträgt, in die das Baby vermutlich auch im Kindersitz reinpassen würde. Es sind damit auch die letzten Wochen allein mit unserem großen Sohn. Und während wir uns alle sehr auf den Zuwachs freuen, schleichen sich immer wieder auch Momente der Wehmut ein. Denn es ist toll mit Ben, auch inklusive der obligatorischen Negativ-Ausreißer im Familienalltag.
Ich hatte schon einmal dieses beklemmende Gefühl, dass ein Kapitel meines Lebens endet und ich noch gar nicht so weit bin: ein paar Stunden nach Bens Geburt, als er im Krankenhaus im Beistellbett schlief, mein Mann ebenfalls eingeschlafen und zum ersten Mal alles ruhig war. „Warum muss alles anders werden? Es war doch schön, so wie es war!“, dachte ich und schniefte in die Kissen. Bitte nicht falsch verstehen: Ben ist ein absolutes Wunschkind. Es war wohl der klassische Baby Blues: der Hormonabfall nach der Geburt, verbunden mit der Erschöpfung und dem Gefühl der Überforderung angesichts dieses hilflosen Bündels.
Nach dieser Heulattacke sollte das bisher wunderbarste neue Kapitel meines Lebens beginnen. Aber Veränderung macht eben nicht immer nur Freude, oder zumindest nicht bei mir, oder zumindest nicht sofort. Vermutlich wird es diesmal ähnlich sein. Der große Unterschied ist, dass diesmal kein sorgenfreies Pärchendasein endet, sondern noch ein weiterer kleiner, ziemlich wichtiger Mensch von der Veränderung betroffen ist. Dabei mache ich mir eine Sorge ganz sicher nicht: dass mir die Liebe ausgeht. Sie kennen vermutlich den Spruch: „Die Liebe ist das Einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt.“ Ich finde ihn schrecklich ausgelutscht und kitschig und wahr. Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass ich mein zweites Kind genauso lieben kann wie das erste, und dass das erste kein bisschen Liebe dafür abgeben muss.
Nur: Die Zeit und die Kraft, die man zur Verfügung hat, verdoppeln sich leider nicht. Und selbst das mit der verdoppelten Liebe ist einem fast Vierjährigen nicht so einfach zu vermitteln. Deshalb gehen mir immer wieder dieselben Fragen durch den Kopf – wie vermutlich tausenden anderen Eltern vor der Geburt ihres zweiten Kindes: Wie kommt der große Sohn damit klar, dass er bald nicht mehr die alleinige Nummer eins zu Hause ist, dass er gelegentlich zurückstecken muss, weil das Geschwisterchen gerade verarztet wird? Fühlt er sich womöglich weniger geliebt? Wie sorgen wir dafür, dass die Eifersucht nicht zu groß wird und der eine dem anderen in einem unbeobachteten Moment nicht die Augen auskratzt? Wie werden wir den unterschiedlichen Bedürfnissen zweier Kinder, die altersmäßig doch recht weit auseinander sind, gleichermaßen gerecht? Was macht all das mit unserem Alltag und, ach so, unserer Ehe?
Wir haben versucht, in den vergangenen Wochen und Monaten ein paar Grundsteine dafür zu legen, dass der Start ins Leben zu viert gelingt. Wir haben viel mit Ben über die Ankunft seines Bruders gesprochen – wobei er, bei entsprechender Tagesform, mit großer Begeisterung aufzählte, was er dem Kleinen alles beibringen wird. Wir haben den Babybauch gemeinsam gestreichelt, bequatscht und beobachtet, wie er sich in alle möglichen Richtungen ausbeult (ein alieneskes Gefühl, das ich definitiv nicht vermissen werde). Wir haben Erklärbücher angeschaut, in denen man den moderaten Bauch einer stets wohlfrisierten, strahlenden Mama lustig auf- und zuklappen kann, um darin mal kurz nach dem Rechten zu sehen (alles sehr kindgerecht und sehr absurd). Nicht gelungen ist uns leider, eine zufriedenstellende Antwort auf Bens Frage zu finden, wo Babys sind, bevor sie geboren werden („War ich vorher in der Schublade?“ – „Nein, du warst nicht auf der Welt.“ – „War ich im Himmel?“ – „Nein. Du warst einfach nicht da.“ – „Aber wo WAR ICH?!“). Falls Sie hier einen Rat haben, gerne her damit!
Wir werden ihm in den nächsten Tagen noch eine Babypuppe kaufen, die er schon mal umsorgen kann – ja, auch Jungs dürfen Babypuppen haben. Ein kleines Geschenk für Bens ersten Besuch im Krankenhaus wird es ebenfalls geben; wir werden allerdings explizit nicht behaupten, es sei vom Baby, um in dessen Namen schon mal gute Stimmung beim großen Bruder zu machen. Wenn man ständig betont, dass das Neugeborene außer Heulen, Pupsen und Trinken anfangs noch nicht viel kann, ist es vermutlich für den großen Bruder nur bedingt glaubwürdig, dass es kurz nach der Abnabelung noch schnell im Spielzeugladen um die Ecke shoppen war.
Ob all diese Vorbereitungen etwas nützen? Ich weiß es nicht. Vielleicht läuft er trotzdem Amok, wenn er merkt, dass der Kleine WIRKLICH nach Hause mitkommt und WIRKLICH da bleibt. Im Moment können wir uns nicht vorstellen, dass es Probleme gibt. Erst gestern küsste er morgens unvermittelt meinen Bauch und sagte: „Tschüss, Baby! Dein großer Bruder geht jetzt in die Kita!“, und ich wäre fast wieder mal in Tränen ausgebrochen. Die Hormone.
Mamas dicke Trommel ist bisher jedenfalls „nur“ ein Kuriosum und der Inhalt noch keine Gefahr. Doch schon sehr bald nach der Geburt wird die neue Familienkonstellation auf eine erste harte Probe gestellt: Fünf Tage nach dem geplanten Kaiserschnitt wird der große Bruder vier Jahre alt, und er freut sich seit Monaten auf seine erste richtige Geburtstagssause. Die wird am Tag des Geburtstags selbst nicht klappen, das weiß er schon, aber immerhin sind dann die Großeltern da und werden ihn schon mal ein bisschen verwöhnen. Aber natürlich wollen wir auch, dass er möglichst bald darauf auch mit ein paar Freunden auf die Pauke hauen kann. Wenn das aufgrund des Babys nicht klappt, würde er uns und ihm das übelnehmen. Einen zweiten Kindergeburtstag zu planen, ist allerdings schwer, solange man nicht weiß, ob beim ersten alles gutgeht, wann ich aus dem Krankenhaus nach Hause komme und was dann noch vorzubereiten ist.
Bei all diesen Unwägbarkeiten gibt es einen ganz großen Fels in der Brandung: meinen Mann. Er weiß, dass er als Vater eine genauso bedeutende Rolle in der ganzen Sache spielt wie ich, und dass es auch von ihm abhängen wird, wie das Leben zu viert funktioniert. Das überrascht mich selbst nicht wirklich; wäre er nicht so, wäre ich wohl kaum (noch) mit ihm verheiratet. Aber leider ist es wohl bis heute nicht ganz selbstverständlich. Weil er von Anfang an genauso für unseren großen Sohn da war wie ich (nicht in Stunden vielleicht, aber in Zuwendung und Geduld und allem anderen) und Ben genauso „Papakind“ wie „Mamakind“ ist, mussten wir ihn nicht erst darauf vorbereiten, dass er in den nächsten Wochen zeitweise ein bisschen mehr mit seinem Vater zusammen sein wird als mit mir. Im Gegenteil, es werden schon eifrig Pläne für coole Vater-Sohn-Ausflüge geschmiedet. Insgeheim bin ich vielleicht diejenige, die hier ein klein wenig eifersüchtig werden könnte. Aber das sind bestimmt nur… Sie wissen schon.