Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Reden wir über Geld – und zwar mit Kindern

© Picture AllianceWarum muss ich mein Geld abgeben? Das haben wir uns doch alle schon mal gefragt.

In den nächsten Tagen ist es soweit: Unsere jüngste Tochter wird den überlieferten Initiationsritus durchlaufen, den schon ihre älteren Geschwister vor einigen Jahren absolviert haben. Ich weiß: Manche Familien verzichten inzwischen darauf oder sie halten dieses Ritual für überholt. Aber da bin ich Traditionalist – der Glaube braucht Rituale. Und deshalb werde ich unsere Jüngste in den nächsten Tagen zur örtlichen Sparkassenfiliale schleppen. Wenn wir Glück haben, wird dort ein armer Sparkassen-Azubi in einem Maskottchen-Ganzkörperkostüm auf uns warten und Luftballons und Plastikspielzeug verteilen. Wenn wir Pech haben, drückt uns ein gelangweilter Kundenbetreuer ein Zählbrett in die Hand, auf das wir den Inhalt unseres Familiensparschweins sortieren sollen. Es ist ja auch nur eine zweitrangige Frage, wer am Weltspartag beziehungsweise in den sogenannten Sparwochen mehr leidet: Die Eltern, die zusammen mit ihrem Nachwuchs 1-, 2- und 5-Cent-Münzen zählen. Oder doch eher die Kundenbetreuer, die sich aus kalendarischen Gründen eine unsichtbare Clownsnase aufziehen müssen, sobald das Filialpublikum mal nicht das Rollator-Alter erreicht.

Trotzdem will ich, dass auch unsere Jüngste das mindestens einmal mitmacht – und ich werde sie voll und ganz dabei unterstützen. So wie die älteren Geschwister. Zuvörderst natürlich wegen der Naturalprämien. Also wegen der Malstifte, Taschen, Spielfiguren, Hörspiele, Handtücher, Kugelschreiber, Schlüsselanhänger und so weiter, die sie für die Einzahlung von 3,11 Euro oder ähnlichen Beträgen überreicht bekommen. In einem Jahr brachten die Kinder sogar Kinofreikarten mit von ihrem Ausflug in die Sparkassenfiliale – damit wurde die Rendite ihrer Sparguthaben in schwindelerregende Höhen katapultiert, völlig unabhängig von irgendwelchen Niedrigzinsphasen. En passant haben die Kinder so die erste Lektion Finanzwissen gelernt: Es zählt, was unterm Strich rauskommt. (Die zweite Lektion schiebe ich dann meist hinterher: Es gibt nichts umsonst im Leben – there is no free lunch, not even at Weltspartag. Die Sparkasse oder Bank will euch nur als künftige erwachsene Kunden ködern…)

Wenn sie das verinnerlichen, haben sie mehr Finanzwissen als die meisten Erwachsenen. Dann werden sie später irgendwann getrost auch die eindrucksvollen Bezeichnungen für die vielen Spar-, Investment- und Vorsorgeprodukte ignorieren, mit denen sich Erwachsene kirre machen lassen, die Schaubilder, die bunten Broschüren mit den Versprechungen, den Slang der Berater und Experten und Versicherungsvertreter. Im Mathematikunterricht können sie noch lernen, die gewonnene Erkenntnis zu formalisieren – Rendite gleich Ertrag durch Aufwand minus eins, super! – und dann können sie ihr Leben lang vergleichen so viel sie wollen: Riesterverträge und Kombi-Index-Select-Alpha-Anlagen und Sparguthaben. Hauptsache, sie kapieren dabei, dass das eine Technik fürs Finanzielle ist und nicht fürs Liebes-, Freundschafts- oder Familienleben oder all die anderen nicht-finanziellen Bereiche des Lebens. Das Paradoxe ist ja, dass Erwachsene inzwischen fast in jedem Lebensbereich vergleichen, ihr persönliches Engagement als Investment sehen, Aufwand- und Ertragsrechnungen für alles Mögliche anstellen und nach dem Return on Investment fragen – nur nicht im Finanziellen. Da lassen sie sich gnadenlos über den Tisch ziehen und murmeln dabei kleinklaut: „Ach, ich versteh‘ ja dieses Wirtschaftszeug nicht.“

Der Weltspartag ist deshalb auch für Eltern, Großeltern und andere Erwachsene mit Sparschweinen eine gute Gelegenheit, das eigene Finanzwissen zu erweitern. Überhaupt ist er ja ursprünglich mit einer pädagogischen Zielsetzung ins Leben gerufen worden. Nur darf man die finanzielle Aufklärungsarbeit nicht von den Geldinstituten erwarten. (Ich informiere mich ja auch nicht bei Winzern oder in der Bierbrauerei über die gesundheitlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums.)

Nichts hilft dagegen besser bei der finanziellen Fortbildung von Erwachsenen als die realistischen Fragen der eigenen Kinder, zum Beispiel wenn man sie zum Weltspartag schleppt: „Warum muss ich das Geld hergeben, Papa?“ Das ist so eine Frage, deren Beantwortung einen ganzen Regalmeter in einer wirtschaftswissenschaftlichen Bibliothek füllen könnte. Hilfsweise habe ich diese Frage bisher so beantwortet: „Das gehört immer noch dir. Die Bank passt nur drauf auf. Und du bekommst noch was dafür.“ Meistens reicht das als Antwort für die Kinder – der fortbildungswillige Erwachsene könnte nun weiterrecherchieren und erstaunt feststellen, dass die Bank unsere Spargroschen gar nicht braucht, um Geld verleihen zu können. (Eine Erkenntnis, die ein seit der eigenen Kindheit mühsam errichtetes Glaubensgebäude erschüttern könnte.) Meistens kommt es aber nicht so weit. Leider. Die Kinder sind ja zufrieden mit der Antwort und die Erwachsenen haben ihre Ruhe. Jetzt nur nicht zu viel hinterfragen.

Überhaupt ist es das größte Unglück, dass wir Erwachsenen die Fragen der Kinder in der Regel nicht bis zu ihren letzten Konsequenzen durchdenken. Also sie nicht wirklich ernst nehmen. „Wo kommt unser Geld her?“, „Sind wir reich oder arm?“ Oder, mein all time favourite: „Warum gibt es eigentlich Zinsen, Papa?“ Ja, ja, ein weites Feld.

Wenn wir ehrlich sind, wollen wir Kinder nicht wirklich über das Finanzielle aufklären, sondern sie bekehren. Ihnen die Basis-Spielregeln beibringen, ohne selbst zu verstehen, wie das Spiel wirklich funktioniert. Mit unserem Halbwissen tricksen wir die Kinder aus, bis sie das Spiel nicht mehr hinterfragen. Wir kaufen uns Zeit, so viel, bis die realistischen und herausfordernden Kinderfragen von den harmlosen verbildeten Fragen abgelöst werden. Irgendwann fragen sie dann nicht mehr, warum es Zinsen gibt oder warum die Bank ihnen etwas schenken will, sondern nur noch, wann sie ihr Taschengeld bekommen oder ob es die Gratis-Hör-CD der Sparkasse auch als Download fürs Handy gibt.

Zugegeben: Man muss nicht aus jeder Kinderfrage eine Initialzündung für die Weltrevolution machen. Aber ein bisschen ernster darf man die finanziellen Anliegen und Fragen des Nachwuchses schon nehmen. Und sei es nur der Bildung des Kinder wegen. Selbst auf die – für unsere gegenwärtige Lebenssituation – völlig unrealistische Frage meiner jüngsten Tochter „Wann bekomme ich endlich mein eigenes Pferd?“ gibt es eine pädagogisch sinnvolle Antwort – und zwar ganz im Sinne des Weltspartags. „So ein Pferd ist richtig teuer. Und dann brauchen wir ja auch noch einen Stall und Futter und einen Sattel.“ Dieser Teil der Antwort würde das Kind erschüttern, mindestens eine Stunde lang. Aber dann kommt der pädagogische Kniff – und alles wird gut: „Also, Du kriegst jetzt jede Woche zehn Cent – und dann kannst du dir irgendwann mal dein eigenes Pferd kaufen, wenn du genügend gespart hast. Mit Stall und allem Drum und Dran.“

Unsere Jüngste hat jetzt schon 30 Cent zusammen. Bis zum Pferd wird es also noch so etwa 2000 Jahre dauern, selbst wenn die Zinsen wieder ansteigen. Aber das macht nichts. Auf jeden Fall hat sie irgendwann eine weitere Lektion Finanzwissen verinnerlicht: Der Zeithorizont spielt beim Finanziellen immer eine wichtige Rolle. Eine sehr wichtige.