„Na, du willst es aber wissen!“ Mein Sitznachbar beim Grillfest schaut mich ehrlich schockiert an, und ich bin irritiert. Was meint er? „Naja, in deinem Zustand, zu Fuß rauf in den zweiten Stock…“, fängt er stockend an. „Du willst doch nicht, dass dein Baby noch hier und heute auf die Welt kommt, oder?“ Ein Baby, das zu früh geboren wird, weil die Mutter mal pieseln musste und deshalb zwei Treppen nach oben marschiert ist? „Stimmt schon, hast recht“, beantwortet er meinen fragenden Blick gleich selbst, „so einfach geht das nicht. Es ist ja deine erste Geburt; bei meiner Frau war das 30 Stunden Metzgerei.“ Na, schönen Dank auch. So genau wollte ich es zwei Wochen vor der Geburt eigentlich tatsächlich nicht wissen. Und wenn schon, dann bitte nicht so blutig. Denn raus muss das Kind ja doch irgendwann.
Seit ich eine Endzeitkugel vor mir hertrage, bin ich Expertin für Geburtstraumata geworden, mein Bauch fungiert als Katalysator für die „Stories from Hell“, wie ich sie nenne. Ich kenne die Geschichten jetzt alle: Die von der 30-Stunden-Geburt, die dann doch in einem Kaiserschnitt endete. Die von der Geburt im Krankenwagen. Die von der Gebärenden, die ohnmächtig wurde, nachdem sich der Oberarzt kräftig auf ihren Bauch geworfen hatte (der sogenannte Kristeller-Handgriff soll eine ins Stocken geratene Geburt voranbringen). Und die von den Kindern, die viel größer sind, als die Ärzte vorher berechnet hatten, und dann im Becken steckenbleiben und weder vor noch zurück können. Welche Schäden Mutter und Kind danach davontragen, könnte man sich mit etwas Phantasie ausmalen, aber das ist gar nicht nötig. Ich bekomme detailgenau alles erzählt – mit dem Nachsatz: „Aber mach dir jetzt keine Sorgen, bei dir geht sicher alles gut.“
Dabei hatte ich eigentlich gar keine Zweifel, dass meine Geburt ganz gut verlaufen würde. Doch die Geschichten haben mich dann doch verunsichert. Tatsächlich kam mein Sohn in wenigen Stunden mit durchschnittlichem Gewicht und durchschnittlicher Größe durch mein durchschnittliches Becken gerutscht. Es tat weh, natürlich, aber auch das eher durchschnittlich. Die Geschichte meiner Geburt ist eher langweilig – und gerade deshalb erzähle ich sie so häufig. Denn ich will den Horrorgeschichten über Gewalt in der Geburtshilfe etwas entgegensetzen, zeigen, dass man vor einer Geburt eigentlich keine Angst zu haben braucht, weil sie etwas Natürliches ist, das Milliarden Menschen bereits geschafft haben. Und tatsächlich weiß der Körper im Moment der Geburt so absolut unbeirrbar, was zu tun ist, dass es fast beängstigend ist. So war es zumindest bei mir.
Nicht falsch verstehen, bitte. Ich finde die Diskussion um unterbesetzte Geburtsstationen, gestresstes Personal, unnötige Eingriffe und Traumata durch psychische Grobheiten oder physische Handlungen enorm wichtig und nehme sie sehr ernst. Nur habe ich den Fehler gemacht, kurz vor der Geburt in das neue Buch „Gewalt unter der Geburt“ hineinzublättern, und habe dann große Angst bekommen. Würde mich jemand anbinden während der Geburt? Mich alleine in einem Zimmer liegenlassen, obwohl ich vor Schmerzen schreie? Mich verletzen, ohne dass ich vorher um mein Einverständnis gefragt wurde? Solche Fälle beschreibt das Buch – und sie sind so beängstigend, weil sie wahr sind. Doch sind sie die Regel?
Geholfen hat mir letztlich der Rat meiner Hebamme: „Geben Sie sich nicht an der Tür zum Kreißsaal ab, es ist Ihre Geburt, und Sie gestalten sie mit.“ Das habe ich getan. Als alle schon auf das Baby warten, genehmige ich mir noch einen letzten etwas unvermittelten Positionswechsel. Die Ärztin fällt daraufhin fast über die Kabel des CTG. Doch in meinem Kreißsaal ist alles erlaubt. Keine Minute bin ich allein und zwei Wehen später halte ich mein Kind zum ersten Mal.
Ich erzähle meine Geschichte, weil ich nicht will, dass Frauen den Eindruck haben, eine „normale“ Geburt sei ohnehin kaum noch möglich und eigentlich auch nicht erstrebenswert. Sätze wie „nach all dem, was ich bisher von Geburten gehört habe, bin ich froh, dass das Kind per Kaiserschnitt geholt wird“ machen mich traurig, und ich möchte den Frauen zurufen: „Nein! Sei nicht froh! Sei glücklich, dass wir die Medizin haben, die Kaiserschnitte ermöglicht, aber fürchte dich nicht so sehr, dass du einer natürlichen Geburt von vornherein keine Chance gibst“. Die Horrorgeschichten über Geburten sind so infam, weil sie das Vertrauen in den eigenen Körper und dessen Hochleistung während der Geburt schmälern. Viel treffender als „30 Stunden Metzgerei“ würde ich eine Geburt als „das härteste Workout meines Lebens“ beschreiben – ich hatte ungelogen tagelang Muskelkater. Und den trägt man ja irgendwie auch mit Stolz.