Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Sei doch einfach unperfekt! Ein Plädoyer für mehr Spaß

© Picture AlliancePerfektion wird überschätzt – und die Wand kann man wieder streichen.

„Frühstücken gehen um 10 Uhr morgens?“ – Entgeistert schaut mich meine Nebensitzerin im Rückbildungskurs von ihrer Yogamatte aus an. „Vollkommen ausgeschlossen, da bin ich froh, wenn ich meine Zähne geputzt habe.“ Auch bei den anderen Kursteilnehmerinnen versandet meine Idee. „Wir sind noch nicht so weit, vielleicht in vier Wochen“, sagt die eine. „Lio ist zu unruhig im Moment“, die andere. Oder: „Greta schläft nicht im Kinderwagen, nur im Auto, deshalb kann ich nicht mit den Öffentlichen kommen. Und das Auto hat mein Mann.“

Mädels, was ist los mit euch, frage ich mich? Unsere Babys sind doch jetzt schon einige Wochen alt und ein Treffen müsste doch möglich sein. Da könnten wir die unruhigen Kinder zusammen bespaßen, über unsere Spuckflecken auf den Pullis lachen oder einander einfach mal kurz das Baby in die Hand drücken. Entspannt euch doch ein bisschen; wir haben doch alle die gleichen Herausforderungen. Für mich ist es auch nicht immer einfach, morgens loszukommen: Bei uns ist es auch hektisch, manchmal gibt es Tränen oder Max spuckt zuerst über seinen und dann über meinen Pulli, wenn wir eigentlich gerade los wollen. Manchmal komme ich zu spät, manchmal vergesse ich seine Mütze und muss ihn dann in dicke Tücher wickeln.

Manchmal vergesse ich meine Handschuhe und friere mir beim Kinderwagenschieben die Finger ab, und ich bin auch schon ohne Geld aus dem Haus gegangen. Neulich habe ich mich ausgeschlossen, zum zweiten Mal. Wenn ich zurückkomme, erschrecke ich oft über das Chaos, das wir hinterlassen haben, als wir aus der Wohnung geeilt sind, weil gerade ein guter Moment war – satt, frisch gewickelt und nicht vollgespuckt. Doch seit Max auf der Welt ist, habe ich eines begriffen: Perfekt gibt es nicht. Nicht mehr. Oder noch nicht wieder. Ende: nicht absehbar.

Schlimmer kann es bei euch doch nicht sein, oder? Ist es sicherlich auch nicht. Weil ihr es nicht möchtet. Ihr wartet den perfekten Moment ab, um loszugehen (der kommt nie), die perfekte Tageszeit (die ändert sich jeden Tag), das perfekte Outfit des Babys (das es dann kurz vor dem Aufbruch besudelt, ich schwöre es euch!). Raus kommt ihr damit meist gar nicht mehr, vielleicht mal eine Stunde allein spazieren im Park, aber sicher kein Treffen mit fester Uhrzeit und anderen Menschen.

Das Chaos und ich hingegen haben uns arrangiert. Ich habe mich an die Hektik beim Aufbruch gewöhnt und die Tatsache, dass Max zwar frisch gewickelt ist, ich es aber nicht mehr auf die Toilette geschafft habe. Dass meine Zähne vielleicht morgens um 10 auch noch nicht geputzt sind, wir aber dafür schon unterwegs in unserem Viertel oder auf unserem nächsten großen Abenteuer, weil Max gerade gute Laune hatte. Dass ich von meiner Familie liebevoll als „die Flodders“ spreche, weil bei uns immer irgendwas nicht perfekt sitzt, wir spät dran sind oder halt mal wieder improvisieren.

Denn was ich im Gegenzug dafür bekomme, wiegt all das locker auf: „Es braucht ein Dorf, um ein Kind aufzuziehen“, sagt doch dieses weise afrikanische Sprichwort. Das ist wahr, ich versichere es euch – und es funktioniert auch in einer Großstadt. Warum nicht einfach mal in diese Hängematte fallen lassen? Max und ich unternehmen viel. Wir gehen ins Museum und ins Café, in die Bibliothek und auf den Markt. Wir fahren mit der Bahn und sind auch schon geflogen. Und wie viele Arme haben ihn freundlich und ohne zu zögern aufgenommen! Der Wirt, der das Kind schaukelt, damit mein Mann und ich in Ruhe essen können, die Nebensitzerin im Flugzeug, die ihn sofort auf den Schoß nimmt, damit ich mein Gepäck verstauen kann. Der Mann in der Bahn, der erst seinen Platz für mich räumt und dann meinen schlafenden Sohn bewacht, weil ich ihn im Kinderwagen nicht in die Toilette bugsiert bekomme. Vieles ist in der Gemeinschaft einfacher als zu Hause, wo wir zwei alleine miteinander zugegebenermaßen manchmal ein bisschen frustriert sind, weil unsere Bedürfnisse gegeneinander prallen. Max, weil er sich langweilt, wenn ich mich weiter als einen Meter entferne, ich, weil ich doch zu nichts komme, die Waschmaschine nicht befüllen kann, die Spülmaschine nicht ausräumen, den Tisch decken. Sind wir unterwegs, hat er meine volle Aufmerksamkeit – und ich seine. Ich zeige ihm Hunde auf den Straßen und andere Babys, imitiere Vogelstimmen und setze mich in der Spielecke im Café zu ihm auf den Boden. Er erkundet von meinem Schoß aus die Welt oder lächelt mit Nachdruck andere Leute an und zaubert ihnen ein Lächeln auf ihre Lippen.

Klar, manchmal ist es sehr anstrengend, auch mit Kind aktiv zu sein, und manchmal bin auch ich unzufrieden. Hätte gerne mal ein perfekt angezogenes Kind statt einem Flodder-Baby, oder einen ruhigen Moment für mich auf dem Sofa, während er am Boden spielt. Auch bin ich manchmal müde, immer wieder andere Menschen ansprechen zu müssen, mir mit dem Kinderwagen beim Aussteigen aus der Bahn oder beim Reinkommen in ein Café zu helfen. Doch wenn ich dann wieder etwas geschafft habe, bin ich stolz auf uns beide, und das gibt mir Selbstvertrauen. Deshalb werden wir auch weiterhin jeden Tag etwas unternehmen, uns mit Freunden treffen oder Bekannte besuchen. Ich habe übrigens auch doch noch einige Mütter kennengelernt, die genauso unperfekt mit sich und ihren Kindern umgehen wie ich. Einmal in der Woche treffen wir uns, und ich muss sagen: Wir haben richtig Spaß!