„Gib Max doch einfach ein bisschen gematschte Banane, das mochtet ihr auch immer“, sagt meine Mutter, als Max am Nachmittag quengelt, aber nicht gestillt werden möchte. Gematschte Banane? Mama, ernsthaft? Im 21. Jahrhundert, wo doch grammgenau nachzulesen ist, wie die optimale Ernährung für Babys auszusehen hat? Wo nach einem strengen Beikost-Plan die Mission Brei angegangen werden muss, in dem sowohl die Tageszeit (mittags Gemüse-Füllstoff-Fleisch, morgens und abends Getreidebrei) als auch die genaue Reihenfolge der einzuführenden Lebensmittel vorgegeben ist. Und in dem Banane böse ist, weil sie zuviel Zucker enthält und zudem stopft.
Ich weiß, Spaß am Essen sieht anders aus, aber wenn es dem Kind nützt? Gehen wir es also an.
Max an feste Nahrung heranzuführen, sieht in Kurzform so aus: Mit dem vollendeten vierten Lebensmonat sollten wir nach Empfehlung der Kinderärzte mit Beikost beginnen. Der kleine Darm ist zu diesem Zeitpunkt für Schadstoffe, die über das Supermarktgemüse eventuell in selbstgekochtem Brei landen könnten, zwar noch nicht ausgereift, der frühe Zeitpunkt aber angeblich wichtig wegen der Allergieprävention – und für was gibt es schließlich Gläschen? Also rein in den Drogeriemarkt und ran an Kürbis, Zucchini und Pastinake – denn in Deutschland startet Beikost mit Gemüse, nicht mit Obst. Zuckerfalle, das gilt auch für Fruchtzucker. Dann folgen im Wochentakt Kohlenhydrate wie Kartoffel, Süßkartoffel oder Quinoa, dann Fleisch, dazu jeweils ein Teelöffel Rapsöl und zwei Löffel Fruchtsaft. Nur dann ist das Kind optimal versorgt. Morgens und abends folgen sukzessive Getreidebrei mit Obst.
Der Haken ist nur: Max interessiert sich nicht für meine Mission. Pastinake kippe ich in die Toilette, nachdem ich es selbst probiert habe und auch nicht hätte essen wollen. Bevor wir selbst ein Baby hatten, kannten wir Pastinake nur als Fleck auf der Jeans meines Mannes, nachdem mein Neffe ihm schwungvoll einen Löffel Pastinake-Rindfleisch-Brei darauf gepfeffert hatte. Er mochte es offenbar auch nicht. Das Kürbisgläschen frisst am Schluss der Hund. Ich habe Verständnis für Max’ Desinteresse. Er begeistert sich mehr für den lila Löffel als für das, was ich kunstvoll darauf drapiere, bevor er es mir lächelnd wieder aus dem Mund entgegenlaufen lässt. Die Weltgesundheitsorganisation rät dazu, nach Möglichkeit sechs Monate voll zu stillen, keine Prenahrung, kein Wasser, kein Pastinake-Rindfleisch. Und doch schaffe ich es nicht, mich zu widersetzen.
Beikost ist ein Reizthema, behaftet mit Frust, Scham und sogar Angst, das merke ich, als ich meine Freundinnen um Rat frage. „Der Kinderarzt hat mir so Druck gemacht“, erzählt eine Freundin. „Ich hab mich so gestresst, weil Kalle nicht zugenommen hat, aber auch keinen Brei wollte. Jeden Mittag hätte ich heulen können.“ Sie hat den Kinderarzt gewechselt, aber immer noch Horror vor der nächsten Vorsorgeuntersuchung, dem Wiegen und den bohrenden Fragen. „Was isst das Kind?“ – „Nur Milch.“ – „Warum?“ – „Weil es nichts anderes möchte.“ Acht Wochen lang habe eine Bekannte es täglich mit eiswürfelgroßen Portionen Brei versucht, erzählt mir eine andere Freundin. Erfolglos. Am Ende riet die Hebamme, das Kind nicht mehr zu stillen, bis es esse. Es habe zwei Tage gebrüllt und dann gegessen. So konnte es in die Kita. Was für eine Vorstellung!
Bin ich eine Rabenmutter, weil ich diesen Affentanz nicht mitmachen will? Weil ich weder täglich ein halbes Gläschen in den Ausguss kippen, noch meinem Kind die rudernden Arme beim Füttern festhalten will, während es energisch den Kopf wegdreht? Oder wäre ich eine Rabenmutter, wenn ich ihn damit weiter behellige? Wir haben doch noch so viel Zeit. Ich steige erst an Max’ erstem Geburtstag wieder in den Job ein und muss ihm also keinen künstlichen Druck machen. Seinen Geburtstagskuchen wird er sicher essen – auch wenn da mit Zucker, Nüssen und Eiern alles drin sein wird, was im ersten Jahr tabu ist.
Ehrlich gesagt glaube ich, dass Max den Brei nicht will, weil ich dem auch nichts abgewinnen kann. Weil Essen für mich so ein sinnliches Erleben ist, dass ich es beinahe respektlos finde, wohlschmeckende Lebensmittel in fade Gläschennahrung zu verwandeln. Kürzlich habe ich ihm dann ein bisschen Banane gematscht und siehe da: Hat ihm geschmeckt. Und jetzt nicht weitersagen: Den Rest habe ich gegessen, mir schmeckt das nämlich immer noch, da hat meine Mama Recht.
Ich glaube, die Lösung für unser Brei-Dilemma ist so alt wie die Menschheit, auch wenn sie jetzt einen fancy Namen hat: Baby-led weaning, „Baby geführte Entwöhnung“, kurz BLW. Eine Riesenschweinerei, aber ein Riesenspaß für das Baby. Sobald es sitzen kann, nimmt es an den regulären Familienmahlzeiten teil und bedient und füttert sich dabei quasi selbst. Es knabbert an gekochtem Gemüse, Nudeln mit Tomatensoße oder auch Fleisch. Seien wir ehrlich: So essen die meisten Geschwisterkinder ohnehin. Aber beim ersten Kind will man halt alles machen wie es sich gehört.
Das Chaos auf unserem Esszimmerboden will ich mir noch gar nicht vorstellen, doch schon jetzt lutscht Max begeistert an Apfel, Gurke oder Hirsekringel. Die Mengen, die Babys beim BLW tatsächlich essen, sind anfangs so verschwindend gering, dass die Hauptnahrungsquelle noch lange Muttermilch oder Prenahrung bleibt. Doch verrückt machen lasse ich mich damit jetzt nicht mehr. Denn wie eine Freundin mich beruhigte, gilt in diesem Fall: „Food before one is just for fun.“