Schlaflos

Schlaflos

Das Familienblog der F.A.Z.

#fauleEltern machen glückliche Kinder

 

© Picture AllianceSieht nach Spaß aus: Warum sollte ein kleines Kind nicht auch mal helfen, die Waschmaschine zu befüllen?

Ich habe jetzt einen Mutti-Account bei Twitter. Es gibt ja noch nicht so viele, dachte ich… nicht. Aber da ich ohnehin eine Rabenmutter bin, die ständig auf dem Smartphone daddelt, würde ich dort mit Sicherheit ein paar Gleichgesinnte treffen und als Familienbloggerin up to date bleiben. Soweit der Plan.

Nachdem ich zunächst mit dem Hashtag #ehrlicheEltern noch meine Schwierigkeiten hatte (hier steht, warum), hat sich die Entscheidung spätestens seit dem Hashtag #fauleEltern total gelohnt. Unter dem Sammelbegriff gaben Eltern zum Besten, wie sie sich den oftmals stressigen Alltag mit Kids zu erleichtern versuchen. Da findet das Haarewaschen ausschließlich im wöchentlichen Schwimmunterricht statt. Bei einer anderen Familie hingegen kommen die Kids immer dann in die Wanne, wenn die Eltern einmal ihre Ruhe haben wollen (mein Mann und ich würden uns hier eingruppieren). In die Schulbrotdose kommt mitunter die kalte Pizza vom Vortag, und Beilagenreis schmeckt, wie man lesen kann, auch aus der Tüte hervorragend (probiere ich bald mal aus). Zum Schlafen bleiben die Tagesklamotten an, statt den Nachwuchs in den Pyjama zu zwingen. Und fürs Schulfest werden Brezeln gekauft statt Kuchen gebacken (ich hätte vermutlich Kuchen gekauft).

Ach, ich mag dieses Eltern-Twitter! Leider habe ich den Hashtag einen Tick zu spät mitbekommen, sonst hätte ich den ganzen Twitter-Kosmos vollschreiben können mit Beispielen aus unserem eigenen „faulen“ Elterndasein:

  • Ich wollte zum Beikost-Start Brei kochen, habe aber die Möhren anbrennen lassen (ja, das geht) – und nehme seitdem Gläschenkost. Die kann Lukas genauso genüsslich und Blasen werfend wieder ausspucken.

  • Ganze zwei Mal im Leben habe ich Kinderklamotten gebügelt: jeweils einmal in jeder Schwangerschaft. Okay, das Ergebnis sah beeindruckend aus. Aber nicht so, dass es den Aufwand rechtfertigen würde.

  • Wenn mal wieder die Strumpfhosen für den Großen aus sind, wühlen und schnüffeln mein Mann und ich uns schon mal durch den Schmutzwäschekorb („Hier, die geht noch mal!“)

  • Wenn ich Ben (4) von der Kita abhole, nehme ich immer eine Dose „Proviant“ (a.k.a. Gummibärchen oder Ähnliches) mit, um ihn auf dem Rückweg bei Laune zu halten.

  • Auf Zugfahrten gibt es kein Zeitlimit fürs Feuerwehrmann-Sam-auf-dem-iPad-Gucken.

  • Wer morgens im Winter keine Mütze anziehen will, zieht morgens im Winter keine Mütze an. 

  • Gerade eben habe ich dem Baby seinen Beißring über den Fuß gestreift, damit es selbst drankommt und ich die Hände frei habe, um diesen Beitrag zu schreiben…

  • … derweil der große Sohn neben mir auf der Couch die zweite Folge „Paw Patrol“ guckt.

Man kann trefflich darüber streiten, inwieweit die oben genannten Anekdoten wirklich etwas mit Faulheit auf Elternseite zu tun haben. „Faul“, das klingt nach erhobenem Zeigefinger, zweifellos war der Hashtag aber mit einem Augenzwinkern gemeint. Die Initiatorin des Hashtags hatte im Sinn, „unkonventionelle Methoden“ zu sammeln, die Eltern das Leben leichter machen. Es gehe um „Ressourcen und Nerven schonende Maßnahmen“, formulierte es eine Twitter-Userin, „darum, Energie zu sparen“, schrieb eine andere.

So sehe ich das auch. Und trotzdem überkommt mich manchmal das schlechte Gewissen, dass ich im Familienalltag zu oft alle Fünfe gerade sein lasse, der große Sohn zu viel iPad spielt, die Wäsche zu lange liegen bleibt. Ich bin sicher, dass sich da meine eigene Kindheit meldet. Meine Eltern haben sich stets verausgabt, damit im Alltag alles funktioniert: die Schule, das Arbeitsleben, der Haushalt. Die Erschöpfung, die das bei vier Kindern mit sich gebracht haben muss, hielt insbesondere meine Mutter mit Selbstdisziplin in Schach. Und hat umgekehrt auch von uns Kindern Disziplin und Mithilfe verlangt, was uns sicher nicht geschadet hat. Bis heute finden meine Eltern es aber bestimmt total wichtig, dass Kinder immer gleichfarbige Socken tragen. Und halten es für selbstverständlich, dass Eltern sich jeden Tag für ihre Kinder aufopfern.

Wenn wir das heutzutage nicht mehr so sehen, sondern auch ein bisschen an unsere eigenen Nerven und Energiereserven denken, ist das meines Erachtens völlig legitim. Und wenn wir unter #fauleEltern mit kleinen Alltags-Nachlässigkeiten kokettieren, ist den meisten von uns sicher bewusst, dass es in Wahrheit Luxusprobleme sind, mit denen wir es da zu tun haben. Weil es hier ja nicht um echte Vernachlässigung oder Überforderung und echte Sorgen geht (das gibt es natürlich auch, aber es hat nichts mit der Intention von #fauleEltern zu tun). Unseren Kindern jedenfalls schadet so ein bisschen Bequemlichkeit ganz sicher nicht. Ich glaube, oft ist das Gegenteil der Fall: Was Eltern das Leben leichter macht, kommt den Kindern bisweilen sogar entgegen – wenn die Eltern beispielsweise nicht darauf bestehen, dass das Kind seine Erbsen aufisst oder die doofe dicke Mütze anzieht. „Bedürfnisorientierte Erziehung“ lautet das Modewort dafür, auf die Grundbedürfnisse eines Kindes so weit wie möglich einzugehen, um die – als elementar erachtete – Bindung zwischen Eltern und Kind zu fördern. Es gibt, wie auch einige Twitter-User bemerkten, Parallelen zwischen den Anekdoten unter #fauleEltern und dieser Art von Erziehung. Denn viele der Twitter-Beispiele drehen sich darum, dem Kind etwas zu erlauben, was es selbst gerne täte, man ihm aber eigentlich nicht erlauben würde, wäre man nicht so „faul“ – also unglaublich müde oder erschöpft oder einfach nicht zu unnötigen Diskussionen aufgelegt.

An bedürfnisorientierter Erziehung wird oft kritisiert, dass Eltern sich dabei zu sehr aufopferten und dem Willen des Kindes unterordneten. Das ist aber ein Missverständnis, finde ich. Natürlich gibt es Dinge, die sind nicht verhandelbar, auch wenn sie meinem Kind nicht in den Kram passen: Nur bei Grün über die Straße gehen. Nicht hauen, nicht spucken, nicht treten. Nicht mit Fremden mitgehen. Aber es gibt Kämpfe, die muss man als Eltern nicht gewinnen – wobei „Kämpfe“ hier der falsche Begriff ist, denn das Kind legt es ja nicht darauf an, sich zu messen und als Sieger hervorzugehen, sondern es artikuliert eben seine Bedürfnisse. Es gibt vielmehr Situationen, in denen haben Eltern und Kinder gleichlaufende Interessen – das ist doch toll, wir sollten es uns wann immer möglich zunutze machen! Ich habe für mich selbst jedenfalls festgestellt, dass es sich lohnt, manchmal innezuhalten und mich zu fragen: Ist es jetzt wirklich wichtig, dass ich nicht nachgebe, als Elternteil meine Überlegenheit demonstriere? Dass wir den anstrengenderen Weg gehen, obwohl es einen einfacheren gäbe – für beide Seiten? 

Anders gefragt: Schadet Pizza vom Lieferservice, wenn sie allen schmeckt und Arbeit spart? Nein. Schadet es dem Kind, ein paar Minuten kalte Ohren zu bekommen, bevor dann doch ziemlich schnell und freiwillig die Mütze aufgesetzt wird? Nein. Schadet eine weitere Folge „Paw Patrol“, also, sprechenden Hunden in bunten Uniformen unter dem Schlachtruf „Kein Job ist zu groß, kein Hund ist zu klein!“ bei ihren Einsätzen rund um Adventure Bay zuzusehen?

Okay, bei „Paw Patrol“ muss ich noch mal nachdenken.