Kürzlich war „Liebe-Dein-Haustier-Tag“. Es ist angeblich eine Art Valentinstag für Haustiere und ihre Halter, wobei sich natürlich nur die menschlichen Beteiligten von diesem Kalenderereignis angesprochen fühlen dürften. Der Liebe-Dein-Haustier-Tag kommt ursprünglich aus Amerika, heißt dort „National Love Your Pet Day“ und wird erwartungsgemäß vor allem von der Heimtierbranche in Erinnerung gerufen. Ich habe ihn bisher immer ignoriert. Auch dieses Jahr. Zu meiner Verteidigung kann ich sagen, dass ich generell wenig von kalendarischen Zuneigungsbeweisen halte. (Fragen Sie meine Frau!). Außerdem war ich an dem Tag zu sehr beschäftigt: Ich musste die Grenzbefestigungsanlagen um das Freigehege unserer Familien-Kaninchen verstärken, Maschendraht ausbessern, Fluchttunnel versperren. „Liebe ist ein Kind der Freiheit, niemals das der Beherrschung“, meinte Erich Fromm. Aber der hatte auch nicht unsere Kaninchen!
Irgendwann kommt die Haustierfrage auf alle Eltern zu, selbst auf die, die zunächst bewusst auf Meerschweinchen oder Jack Russell Terrier verzichtet haben, um Kinder in die Welt zu setzen. Sicher, man kann die Haustierfrage schnell, autoritär und für alle Zeit mit einem klaren „Nein!“ beantworten. Und dafür gibt es auch gute Gründe – finanzielle zum Beispiel oder wohnraumtechnische, vor allem aber tierschützerische. Andererseits sind Haustiere nachgewiesenermaßen positiv für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern. Sie stärken das Verantwortungsbewusstsein, das Selbstwertgefühl, die soziale Kompetenz. Und so weiter. Kinder und ihre Haustiere werden im besten Fall ein Team: Die einen liefern Futter und Pflege, die anderen stellen sich als Projektionsfläche für die kindliche Zuneigung zur Verfügung. Natürlich ahnen Eltern die Wahrheit – sollten sie zumindest: Selbst wenn das Kind hoch und heilig verspricht, alle Versorgungsleistungen für das Haustier allein zu stemmen, geht es am Ende immer um eine Familienvergrößerung. Und die bleibt an den Eltern hängen. Immer.
Die Wahrheit ist deshalb auch: Haustiere werden nicht von den Eltern für die Kinder angeschafft – sondern umgekehrt. Das muss bei der Wahl des geeigneten Haustieres „für das Kind“ immer mitbedacht werden.
Wir haben uns der Haustierfrage aus diesem Grund sehr vorsichtig genähert. Außerdem werfen drei Kinder, die drei verschiedene Haustiere favorisieren, schnell Fragen der Ressourcen-Allokation auf: Kind 1 möchte einen Hund mit Langhaarfell, mit dem sie spazieren gehen kann. Kind 2 hätte gern Kaninchen, denen sie im Garten ihr eigenes Reich bauen kann. Kind 3 sieht sich schon bald auf einem Pferd, mit dem sie zur Kita reitet.
Meine Frau und ich konnten die Antwort auf die Haustierfrage durch Verweis auf verschiedene Faktoren (vorherige Wohnsituation, Alter der Geschwisterkinder, Alter der Anfragenden) zumindest eine Zeit lang vertagen. Irgendwann ging das nicht mehr. Dann war es soweit. Nach reiflicher Überlegung – oder so ähnlich – fiel die Wahl auf: die Kaninchen. (Kind 1 wurde auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet, mit Kind 3 wurde ein familiärer Sparvertrag abgeschlossen.)
Wir holten die Kaninchen an einem Sonntagnachmittag im Nachbarort bei einer Frau ab, deren Balkon ein einziges Freigehege war. Überall Stroh, Salatblätter, Kaninchenköttel. Ich dachte an unseren Garten, den mühsam wiederbelebten Rasen – und lächelte wahrscheinlich leicht irre. Die Frau erzählte, dass der Wurf überraschend war, der nicht kastrierte Rammler einmal zu oft bei den Weibchen gewesen sei, deshalb müsste sie jetzt zwei Kaninchen abgeben. Aber wir könnten beruhigt sein, da wir ja zwei Weibchen bekämen – ich tat so, als ob ich irgendwie einordnen könne, was sie mir an den Unterseiten der beiden Kaninchen zeigte. Dann empfahl sie mir noch ein Spezialfutter, das man online erwerben könne für 50 Euro pro Futtersäckchen. 50 Euro! Ich bin ja sehr für tiergerechte Ernährung, aber die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben. Ich verzichtete darauf, mir den Namen des Spezialfutters zu notieren.
Überhaupt, Verhältnismäßigkeit: Natürlich haben Tochter Nummer 2 und ich die XXL-Variante eines Stalls plus Freigehege für den Familienzuwachs errichtet. Li und Ostwind – so heißen die Kaninchen – haben mehr Wohnraum pro Zentimeter Körpergröße als die übrigen fünf Mitglieder der Familie. Als Kind kannte ich Kaninchen nur aus enger, dunkler Käfighaltung, als fellbehaftete Vorstufe eines Sonntagsbratens. Erst die Vorbereitung auf den vierbeinigen Familienzuwachs hat mich die eigene Sozialisation hinterfragen lassen. (Was zeigt, dass es die Eltern sind, die durch die Haustiere ihrer Kinder zu besseren Menschen erzogen werden.)
Um die Verantwortung von Anfang an klar zuzuordnen, haben wir vereinbart, dass Li und Ostwind die Kaninchen von Kind 2 sind. Und zwar nur von Kind 2. Ihre Kaninchen – ihre Betreuungspflichten und Pflegeaufgaben. Es gibt da nur ein Problem: Das funktioniert so nicht. Auch wenn sie guten Willens ist – eine Zehnjährige vergisst auch mal, dass Kaninchen Futter und frisches Wasser brauchen, der Stall geputzt werden muss. Vor allem wenn die Kaninchen draußen sind, es regnet und kalt ist, Hausaufgaben, Freunde, Turngeräte, das neue Comic warten. Ich könnte es ja darauf ankommen lassen, warten, bis sich Tochter Nummer 2 an ihre Kaninchen erinnert. Das wäre wahrscheinlich eine pädagogisch zielführende, aber bestimmt keine ethisch richtige Haltung. „Haben Ostwind und Li schon Heu bekommen?“, „Wir müssen den Stall putzen!“, „Du kannst ihnen jetzt Frischfutter bringen!“ Ich mache also genau das, was ich eigentlich immer vermeiden wollte: Ich übernehme die Verantwortung, zumindest teilweise.
Manchmal grolle ich deshalb und schwöre, dass es das letzte Mal sein wird. Und wenig später stehe ich vor dem Freigehege und beobachte die beiden Fellknäuel, wie sie an unserer alten Steckrübe knabbern. Einmal kam ich zum Freigehege – und die Kaninchen waren weg. (Tochter Nummer 2 war in der Schule!) Panik erfasste mich. Hektisch lief ich durch den Garten, schaute unter Hecken und Mauervorsprünge. Da hoppelte ein weiß-schwarzes Fellknäuel an mir vorbei. Dann ein schwarzes. Es dauerte eine halbe Stunde, bis ich sie wieder ins Freigehege bringen konnte und ihren Fluchttunnel verschlossen hatte. Aber da wusste ich: Ich kann nicht mehr ohne sie.