In meinem nächsten Leben werde ich Notarin. Über 20 dicht bedruckte DIN A4-Seiten Juristendeutsch vorlesen, ohne übermäßiges Engagement bei der Betonung, in einem schicken Büro mit herrlicher Aussicht bei angenehmer Klimatisierung: macht ein Honorar von ein paar tausend Euro. Dies sinniere ich im Stillen, während mein Mann und ich in einem ebensolchen Notarbüro sitzen und unseren Kaufvertrag vorgelesen bekommen, inklusive Paragraphen und Kontonummern. Offenbar muss das so, und es dauert so lange, dass ich zwischendrin das Baby anlegen muss. Wir blicken ansonsten betont seriös drein, unterschreiben brav alle Unterlagen, die man uns reicht und verabschieden uns höflich. Im Aufzug nach unten, endlich unbeobachtet, machen wir ein paar hysterisch-alberne Tanzmoves, und das Baby guckt irritiert. Es kann ja nicht wissen: Gerade sind wir Eigentümer einer Wohnung geworden. Wir sind sehr reich und sehr pleite.
„Dich zu heiraten und mit dir Kinder zu kriegen, hat sich irgendwie weniger bedeutsam angefühlt“, sage ich später zu meinem Mann, und diesmal ist er es, der irritiert guckt. Was ich meine: Die anderen großen Entscheidungen unseres gemeinsamen Lebens fühlten sich nicht so beängstigend an. Sie kamen, verzeihen Sie das Pathos, von Herzen, da gab es nichts abzuwägen oder zu kalkulieren. Diesmal stehen da horrende Zahlen, schwarz auf weiß, und wir sind endgültig eine Schicksalsgemeinschaft geworden – bis dass der geplatzte Kredit uns scheidet.
Ich weiß, „Betongold“ ist, je nach Region, etwas in Verruf bzw. zumindest aus der Mode geraten, und teilweise durchaus zu Recht. Wir haben es trotzdem getan, weil wir angesichts der obszön steigenden Immobilienpreise dachten: Jetzt oder nie. Und: Wir tun es ja für die Kinder. Und weil wir eben auch Spießer sind, meinetwegen. Nun ist es – zur Enttäuschung meiner Eltern, die es selbst mit viel Schweiß und Tränen zu einem bescheidenen Einfamilienhaus mit Garten und Zaun gebracht haben – „nur“ eine Vier-Zimmer-Wohnung mit Balkon geworden, aber das hier ist eben Berlin und nicht die hessische Provinz. Außerdem mäht keiner von uns gern Rasen.
In den acht Wochen von der ersten Besichtigung über das Bangen, dass ein Interessent mit einem großen Geldkoffer uns die Wohnung wegschnappt, während unsere Bank sich noch durch unsere Kontoauszüge pflügt, bis hin zur Unterzeichnung der Kredit- und Notarverträge war zum Nachdenken über das große Ganze nicht viel Zeit – zumal nebenbei ja auch noch der Alltag mit zwei Kids lief. Erst jetzt, da Fakten geschaffen sind und wir auf die Vormerkung als Eigentümer im Grundbuch sowie die ersten Zahlungsaufforderungen warten (und das sind eine Menge), wird mir die Tragweite dieser Entscheidung erst so richtig bewusst.
Das ganze Konstrukt „Wohnungskauf“ steht letztlich auf zwei ziemlich wackeligen Füßen: Gesund bleiben. Und arbeiten. Beides ziemlich lange. Das klingt selbstverständlicher, als es ist, zeigen zahlreiche unschöne Beispiele aus unserem Bekanntenkreis. Andererseits: „Tot umfallen kann man ja auch in einer Mietwohnung“, haben mein Mann und ich uns gesagt. Bis dahin zahlen wir doch lieber Kreditraten als Miete, in der Hoffnung, dass die Wohnung eines Tages wirklich uns gehört und nicht mehr der Bank. Und dennoch werden wir dieser Tage verstärkt aufmerksam, wenn es mal im Rücken zwickt oder das Bein einschläft, und schließen Risikolebensversicherungen ab. Ich weiß: Vom Kreisen um die Endlichkeit des Seins muss man sich lösen, um angesichts eines über Jahrzehnte laufenden Kredits überhaupt noch ruhig schlafen zu können. Ich arbeite daran.
Wenn ich nicht schlafen kann, geht mir einstweilen noch eine andere Sache im Kopf herum. Das Argument zum Immobilienkauf lautet häufig: „Die Kinder sollen einmal was davon haben“, so ähnlich habe ich es selbst auch schon formuliert. Gemeint ist damit natürlich, dass sie, wenn alles gut läuft, die Wohnung als Erben in spe einmal verkaufen können (sofern wir die Wohnung nicht vorher schon verkaufen, was aber letztlich ebenfalls den Kindern zugute käme). So haben sich das auch meine Eltern bei ihrem Hausbau vor über 20 Jahren gedacht. Die Folge aber waren viele Jahre Entbehrungen, sowohl für meine Eltern als auch für meine Geschwister und mich. Urlaub gab es immer nur bei den polnischen Omas, und wenngleich es uns nie an etwas Elementarem fehlte, musste jeder Euro zweimal umgedreht werden. Das Haus abbezahlen, ins Haus investieren, das hatte immer Priorität (und hat es bis heute). Es war ja für die Kinder. Bei meinem Mann lief es anders: Seine Eltern wohnten mit ihm lange Zeit zur Miete, liehen sich aber jeden Sommer ein Wohnmobil aus und gingen mit ihrem Kind auf die Reise. Mein Mann hat in dieser Zeit kein großes eigenes Zimmer gehabt wie ich, dafür eine ganze Menge von der Welt gesehen und Erinnerungen gesammelt, von denen er bis heute zehrt.
Welche davon die glücklichere Kindheit war, vermag ich gar nicht zu sagen, und darum geht es auch nicht. Mein Mann und ich sind uns aber in einer Sache einig: Unsere Kinder sollen nicht irgendwann einmal von den Entscheidungen ihrer Eltern profitieren. Das Leben findet jetzt statt. Wir wollen nicht, dass eine Immobilie das Wichtigste ist, sondern, wie glücklich wir darin zusammen sind. Und wir wollen eben nicht darauf verzichten, mit unseren Söhnen zu reisen, ihnen die Welt zu zeigen, mit ihnen Erinnerungen zu sammeln. Deshalb war das mit dem Wohnungskauf keine leichte Entscheidung. Glücklicherweise sieht es danach aus, als könnte uns aber trotz des Kredits gelingen, uns etwas Unabhängigkeit und Unbeschwertheit zu bewahren, weil unsere finanzielle Ausgangssituation heute besser ist als seinerzeit die meiner Eltern (übrigens nicht zuletzt dank der Entscheidungen, die unsere Eltern für uns getroffen haben). Und weil die Zinsen so obszön niedrig sind (danke, Zentralbanken!).
Und so versuche ich, neben der riesigen Freude über diesen Deal unseres Lebens die Sorgen um die Zukunft nicht allzu groß werden zu lassen. Wenn etwas wirklich Schlimmes passiert, ist die Wohnung und deren Finanzierung ohnehin unser kleinstes Problem. Allerdings steht unserer Ehe, Kinder und Kreditverträge hin oder her, die wahre Bewährungsprobe auch erst noch bevor: Wir müssen uns auf Fliesen einigen.