Schon seit längerem sind die ersten Bücher unseres fünfjährigen Sohnes Ben wieder im Einsatz, mit Lukas (zwölf Monate) haben wir einen begeisterten Zweitnutzer. Und mich hat mit den teils schon ziemlich abgerockten Büchern aus dickem Pappkarton die Vergangenheit eingeholt. Ich habe kürzlich in diesem Blog darüber sinniert, wie schmerzhaft es ist, sich von bestimmten Phasen des Lebens mit kleinen Kindern zu verabschieden. Ich möchte präzisieren: Das galt nicht für die Phase, in der man ihnen täglich dieselben Bilder von Baustellenfahrzeugen zeigt, sie in „Fühlbüchern“ über Hasenfell-Imitate streicheln lässt und Pferdewiehern und Affenlaute nachahmt (wenn Sie eine Ahnung haben, wie Kaninchen und Igel machen, lassen Sie es mich wissen). Ich war froh, als wir diese Etappe mit Kind eins hinter uns hatten.
Nun ist es unser Zweitgeborener, der aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Alles, was bunt ist, Geräusche macht und sich bewegt, zieht ihn in seinen Bann. Den größten Gefallen tut man ihm, wenn man sich mit ihm im Buggy an eine Kreuzung stellt. Wenn das nicht geht, schaut er sich mit Vorliebe Bilder von Dingen an, die bunt sind, Geräusche machen und sich bewegen. Und er kommentiert alles, derzeit vornehmlich mit „Da da da“ oder „Ba Ba Ba“. Ja, es ist etwas Wunderschönes, wenn Kinder anfangen, sich auszudrücken, und Eltern sind darauf programmiert, sie dabei nach Kräften zu unterstützen. Die Welt mit Kinderaugen zu betrachten, tut sowieso allen mal ganz gut, heißt es.
Aber es macht auch sehr, sehr müde. Ständig sagen wir „Boah!“ und „Wow!“ und „Guck mal!“, obwohl wir kein bisschen beeindruckt oder überrascht sind. Wir machen uns zum Affen, suchen den Himmel nach Vögeln und Helikoptern ab, legen die Stimme eine halbe Oktave höher und plappern Babysprache – wohl wissend, dass man die eigentlich vermeiden soll, aber nicht in der Lage, das zu befolgen, weil diese Art von Dialog das Kleinkind einfach so köstlich amüsiert. Ich habe heute wieder dutzende Male Sätze zu Lukas gesagt wie: „Das ist ein Baum! BAUM!“ Und: „Wow, ein Doppeldecker!“ Und: „Donnerwetter, ein Betonmischer!“ All dies allerdings auf Polnisch (wussten Sie, dass „tatütata“ mit „I-o-i-o“ übersetzt wird?). Man glaubt gar nicht, wie viele Bäume, Doppeldecker und Betonmischer es in Berlin gibt, und Lernen geht bekanntlich am besten durch Wiederholung. Beim Spaziergang habe ich diverse Stöckchen, Kastanien und bunte Blätter in den Buggy gereicht und Lukas auch das an eine oder andere „Ba Ba Ba“ (hier: Auto) patschen lassen, denn durch Anfassen lernt man auch. Zurück zu Hause habe ich, bemüht um enthusiastische Betonung, Zeilen vorgelesen wie diese:
„Ben Bauer ruft: Auweia!
Alles voller Eier!“
Ich kann es nicht anders sagen: Man wird ein bisschen irre dabei. Denn man kommt aus dem „Guck mal, da da!“-Modus nicht mehr heraus. Vor etwa drei Jahren habe ich mich dabei ertappt, wie ich, an einer Baustelle vorbei radelnd, lauthals rief: „Boah, Bagger Bagger Bagger!“, bis mir auffiel, dass ich Ben an diesem Tag gar nicht mit hatte. Wenn wir früher auf dem Weg zur Oma an einer der riesigen Autobahnbaustellen vorbeikamen, waren wir jedes Mal selbst ein bisschen aufgeregt – und tief enttäuscht, wenn Baby Ben das Spektakel verschlief. Jüngst ist mir aufgefallen, dass mir nach besonders intensiven Tagen voller Gebrabbel, Kinderliedern und -reimen abends im Gespräch mit meinem Mann regelrecht die Worte für eine „erwachsene“ Unterhaltung fehlen. Aber das macht hoffentlich nur die Erschöpfung – oder hat jemand Informationen darüber, dass Rolf-Zuckowski-Musik das elterliche Gehirn zersetzt?
Damit das nicht falsch verstanden wird: Es ist total in Ordnung, dass das Entdecken und Sprechen lernen seine Zeit braucht. (In dem Moment, in dem ich das hier schreibe, ist von nebenan ein inbrünstiges „Da da da da!“ zu hören, und eine erwachsene Stimme erwidert: „Pa! Pa! Sag PA! PA!“ Darauf: Stille.) Vermutlich strengt es mich deshalb manchmal so an, Lukas dabei zu helfen, weil ich es mittlerweile gewohnt bin, mit unserem ersten Sohn „normal“ zu sprechen – und auf Deutsch, was es für mich noch mal einfacher macht. Ben hat nicht nur sehr früh sprechen gelernt, sondern auch einen enormen Wortschatz angesammelt, der mich bis heute manchmal erstaunt (an dieser Stelle ein herzlicher Gruß an die „Sendung mit der Maus“). Er kommentiert natürlich auch alles, nur eben auf höherem Niveau. Allerdings habe ich auch gemerkt: Mit den Gaga-Dialogen und stumpfsinnigen Büchern wird es mit den Jahren nicht durchgängig besser. Es gibt endlose Diskussionen, Rückfälle in Babysprache und auch fragwürdige neue Gesprächsthemen und Interessen. Bens absoluten Lieblingshit aus der Bücherei musste ich eben erst verlängern, weil er ihn gar nicht mehr hergeben möchte – er trägt den Titel „Der Kackofant“ und enthält zahlreiche eindrückliche Illustrationen. Das sagt einem vorher auch keiner, aber junge Eltern sollten es wissen: All die Wörter, die wir unseren Kindern liebevoll beibringen, nutzen sie später, um uns beim Abendessen eklige Dinge zu erzählen.