Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Familie allein zu Haus: „Mama, das iPad im Backofen brennt“

Mit einem Ohr und Gedanken zuhause bei der Familie?

Ich packe meinen Koffer und nehme mit: Sonnenmilch, einen Bikini, Strandkleider, genügend Sportsachen zum Wechseln und meinen eBook-Reader. Was ich nicht mitnehme: meine Familie, einen Terminkalender und mein gereiztes Gemüt, das nach einer Pause schreit. Ich brauche Zeit für mich und Abstand vom Alltag, um meine Akkus wieder aufzuladen. Ich freue mich entsetzlich auf den einwöchigen Urlaub mit meiner Freundin: Kanaren, sieben Tage, All-inclusive-Hotel mit direkter Strandlage und umfangreichem Sportangebot. Wir werden uns sonnen, ein bisschen Sport treiben, lesen, essen wann wir wollen und was wir wollen und das dreckige Geschirr danach einfach stehen lassen. Wir werden es uns richtig gutgehen lassen!

Doch so schön die Aussicht auf eine Woche puren Luxus für die Seele auch sein mag, es kostet mich eine gewisse Überwindung, meine Familie alleine zu Hause zu lassen. Ich weiß, was nun kommt! Sie werden aufstöhnen: „Was für eine Glucke! Was soll denn schon passieren, wenn sie nicht da ist? Ihre Töchter sind ja nun wirklich alt genug (15 und 12 Jahre, um genau zu sein) und werden ja wohl mal ein paar Tage ohne sie aushalten. Ihr Mann ist doch auch noch da! Meint sie, das Haus stürzt ein oder die drei werden verhungern, nur weil sie von ihr nicht bekocht werden?“  Ja, teilweise liegen sie mit ihrer Vermutung richtig. Wenn sie wüssten, wie richtig! Ich bin sicherlich eine Glucke, die ihre Familie viel zu sehr verwöhnt und es außerdem nicht mag, wenn etwas nicht so perfekt läuft, wie es soll. Aber bevor sie weiter die Augen verdrehen und mich in eine Schublade stecken: Mein komisches Gefühl im Magen ist durchaus berechtigt. Experiment „Familie allein zu Haus“ läuft nämlich nicht zum ersten Mal!

Zuletzt habe ich mir vor zwei Jahren diese Auszeit gegönnt: Ebenfalls eine Woche Kanaren. Ebenfalls im November. Ebenfalls mit meiner Freundin. Maya war damals 10, Lara 13 Jahre alt. Fürsorglich wie ich nun mal bin, hatte ich für die ganze Woche die Tiefkühltruhe und den Kühlschrank aufgefüllt, damit es meine Lieben wenigstens verpflegungstechnisch einfach haben: Dosenfutter, Nudeln, Reis, Fertigsoßen und die obligatorischen Tiefkühl-Pommes. An meinem zweiten Urlaubstag – meine Freundin und ich hatten uns in Schale geworfen und wollten uns gerade auf den Weg zum leckeren Abendbuffet machen – klingelte mein Handy. Laras Nummer erschien auf dem Display. Eigentlich hatte ich gar keine Lust ranzugehen, tat es dann aber selbstverständlich dennoch (Glucke, sie wissen schon). Kaum hatte ich ein gut gelauntes „Hallo“ in den Hörer geflötet, rief Lara auch schon aufgeregt: „Mama, es kommen Flammen aus dem Backofen und wir finden den Feuerlöscher nicht! Hast du das iPad in den Ofen gesteckt?“

Dass dies kein Scherzanruf war, erkannte ich sofort an ihrem panischen Tonfall, dem lautstarken Piepen unseres Rauchmelders und den aufgeregten Stimmen im Hintergrund. In mir stieg Panik auf. Feuer! Backofen! Aber wieso iPad? Ich bekam den Sinn ihrer Worte nicht ganz zusammen, sah mich jedoch bereits bei meiner Rückkehr aus dem Urlaub mit meinem Koffer vom Flughafen schnurchstracks in ein Hotel ziehen, weil meine Familie es während meiner kurzen Abwesenheit geschafft hatte, das Haus abzufackeln und uns heimatlos werden zu lassen. Dann sagte Lara: „Ist schon gut, wir kriegen das schon hin!“ und wollte mich „nicht weiter stören“ und das Gespräch beenden. Natürlich verlangte ich sofortige Aufklärung, blieb live zu Hause dazugeschaltet und legte erst auf, als der Brand sicher gelöscht war (das schafften sie dann sogar ohne die Feuerwehr, nach der Maya lautstark verlangte). „Papa wollte Pommes machen. Aber dann brannte plötzlich das iPad im Ofen.“

Ich verstand es immer noch nicht und wurde dann doch ein bisschen sauer, als mich mein Mann ebenfalls allen Ernstes verdächtigte, ich hätte sein Tablet vor meiner Abreise im Ofen versteckt, damit Maya nicht so oft daran rumspiele (ein ganz tolles Versteck, das man sich unbedingt merken sollte!). Er konnte sich keinen Reim darauf machen, was da gerade passiert war. Aber dann hatten wir das Ganze schnell rekonstruiert.  Und wenn sie sich nun fragen, wie man es schafft, statt Pommes ein Tablet im Ofen zu backen, dann gebe ich ihnen den guten Tipp, elektronische Geräte mit magnetischen Schutzhüllen nicht in der Küche rumfliegen zu lassen und versehentlich das Backblech darauf abzustellen. Sonst passiert ihnen das Gleiche wie meinem Mann: Sie schieben Tablet oder Handy einfach am Backblech haftend in den Ofen und merken es erst, wenn die Flammen aus dem Backofen schlagen.

Heute können wir herzhaft über diese Geschichte lachen, aber damals war mir gar nicht nach Lachen zumute, und ich musste mir mit meiner Freundin an besagtem Abend den ein oder anderen Cocktail mehr als gewöhnlich genehmigen. Irgendwie schaffte ich es dann aber doch, den Vorfall auszublenden und den restlichen Urlaub zu genießen. Als ich nach Hause kam, war das Backblech zwar etwas mitgenommen, doch nach ein bisschen Schrubben war es wieder tadellos. Nur das iPad, nun ja, das hat den Feuertest bei 200 Grad Ober- und Unterhitze nicht bestanden. Maya hatte das Ding nach meinem Geschmack sowieso viel zu oft in den Fingern und daher haben wir bis heute kein neues angeschafft.

Merke: Die Hitzebeständigkeit eines Tablets liegt definitiv bei unter 200 Grad

Nun werden sie verstehen, warum ich bei aller Vorfreude auch ein klitzekleines bisschen Bedenken habe, wenn ich meine Familie allein zu Hause lasse! Aber wer wäre ich denn, wenn ich das Risiko scheuen und keinen erneuten Versuch starten würde?! Um das Ganze dieses Jahr spannender zu gestalten, erhöht das Schicksal die Schwierigkeitsstufe. Maya bricht sich neun Tage vor meiner Abreise den Finger (hier nachzulesen) und trägt nun eine Gips-Schiene am rechten Arm. Sie braucht einen Schriftführer bei den Hausaufgaben, Hilfe bei vielen alltäglichen Dingen und muss zur Schule gefahren werden, da das Fahrrad die nächsten Wochen tabu ist. „Denk nicht mal daran!“, sagt mein Mann, bevor ich den Gedanken überhaupt zu Ende denken kann. Ja, ich gebe zu, ganz kurz war er da, der Glucken-Einwand: „Ich kann doch jetzt nicht einfach…“ Schlussendlich siegt die Vorfreude auf die Sonne, das Meer und die guten Gespräche mit meiner Freundin, die ich ebenfalls nicht hängenlassen kann und auch nicht will. Also packe ich entschlossen meinen Koffer. Sie werden es schon hinkriegen ohne mich, auch mit Gips-Arm.

Samstag startet der Flieger Richtung Süden. Nachdem wir unser Zimmer bezogen und ausgepackt haben, fällt bei mir jeglicher Stress ab. Ich fühle mich wie befreit. Ich liebe meine Familie und möchte um nichts auf der Welt mein Leben mit jemanden tauschen. Doch kein Nervenkostüm ist unendlich belastbar! Jeder Mensch braucht ab und an Zeit für sich, um nicht vom Alltag aufgefressen zu werden. Und in den letzten Wochen habe ich mich vereinnahmt und total fremdbestimmt gefühlt. Es ist notwendig, dass ich mich ein paar Tage nur um mich und meine Bedürfnisse kümmere.

Montagmorgen informiert mich mein Mann, dass Maya mit einem grippalen Infekt flachliegt. Er hat ihr ein Kirschkernkissen warm gemacht und sie in der Schule entschuldigt. Nun wäre ich gerne bei meiner Jüngsten! Das schlechte Gewissen nagt an mir, ob berechtigt oder nicht! Während sie alleine zu Hause mit ihrem blöden Gips-Arm und Kopf- und Ohrenschmerzen auf dem Sofa vor sich her vegetiert und mein Mann zwischen Job und kranker Tochter jonglieren muss, stecken meine nackten Füße faul im warmen Sand. Ich telefoniere fast täglich per Face-Time mit Maya. So fühlt sie sich zum einen nicht mehr ganz so allein und mich beruhigt es zu sehen, dass es ihr von Tag zu Tag wieder besser geht. Bald setzt die Tiefenentspannung bei mir ein und ich genieße jede einzelne, kostbare Minute meines Urlaubs. Zu Hause scheint alles gut zu laufen, das vermittelt mir ein sicheres Gefühl. Nur einmal, als Maya mir an meinem letzten Urlaubstag eine Nachricht schickt, dass sie alleine zu Hause Reis kochen will, läuten bei mir die Alarmglocken. Ich verbiete ihr aus der Ferne vehement einarmig zu kochen, um keine Verbrühungen zu riskieren. „Bleib vom Herd und mach dir irgendetwas in der Mikrowelle warm“, bläue ich ihr ein. „Wenn ich wieder zu Hause bin, koche ich dir dein Lieblingsessen. Versprochen!“ Ich bin wieder bereit, für meine Familie da zu sein!

Während ich das hier schreibe, hat der Alltag mich seit ein paar Tagen wieder im Griff. Und doch geht mir vieles mit aufgeladenen Batterien deutlich besser von der Hand. Fürs Erste! Vielleicht werde ich diesmal nicht wieder ganze zwei Jahre vergehen lassen, bis ich Experiment „Familie allein zu Haus“ wiederhole. Hat doch diesmal alles gut geklappt und wo der Feuerlöscher steht, wissen die drei inzwischen auch.