Sonia Heldt: „Heiligabend ist die Kür, den Rest der Weihnachtstage verbuche ich unter Pflichtteil.“
Heiligabend ist für mich der gemütliche Part der Weihnachtstage, den ich mit meinem Mann, meinen Töchtern und meiner Freundin zwanglos zu Hause verbringe. Vor allem Maya legt Wert darauf, dass Festtage wie Geburtstage und Weihnachten, immer gleich ablaufen. Sie braucht dieses Gefühl von Vertrautheit und dass sich bestimmte Dinge in ihrem Leben nicht so schnell ändern. Und so wird sie auch dieses Jahr, wie all die vielen Jahre davor, mittags mit meinem Mann die Weihnachtsvorstellung des Puppentheaters besuchen. Auch wenn sie bereits 12 Jahre alt ist und nicht mehr durch den Kindereingang in den Saal schlüpfen wird. Lara mag inzwischen nicht mehr mitgehen und wird sich sicherlich in ihr Zimmer verziehen, um die letzten Geschenke einzupacken und das zu tun, was sie sonst auch tut: mit ihren Freundinnen telefonieren oder chatten und sich x-mal umziehen. Ich bereite in der Zeit alles vor und decke den Esstisch in der Küche weihnachtlich ein. Wir lassen den ganzen Tag unsere Playlist Christmas Rock & Pop laufen und die Kerzen brennen. Nachmittags kommt dann meine Freundin. Wir trinken Kaffee und das erste Glas Wein und quatschen ein bisschen.
Gegen 18 Uhr schmeißen wir langsam den Raclette-Grill an. Da ich im Alltag fast täglich koche, bin ich froh, Heiligabend kein kompliziertes Menü auf den Tisch bringen zu müssen. Die Mädchen lieben es, Pizzateig auf der heißen Platte zu backen. Wir mögen diese gemütliche Art des Essens, das man so wunderbar in die Länge ziehen kann. Seit die Kinder älter sind, haben sie es nicht mehr so eilig mit der Bescherung. Ich vermisse ihre vor Aufregung glühenden, roten Wangen und die Frage „Wann ist es denn soweit?“ und werde von Jahr zu Jahr wehmütiger, wenn ich an die vergangenen Weihnachtsfeste zurückdenke. Früher, als für beide Kinder Weihnachten noch so schön und aufregend war! Lara gibt sich dieses Jahr große Mühe, alles boring zu finden. Und ich denke, nächstes Jahr wird auch Maya ihre kindliche Vorfreude ablegen. Das ist schon ein wenig traurig.
Zur Bescherung lassen wir leise Weihnachtsmusik laufen und packen unsere Geschenke abwechselnd aus. Inzwischen finden die Mädchen es aufregender andere zu beschenken, als selbst Geschenke zu erhalten. Gedichte aufsagen, ein Lied auf der Gitarre spielen, singen, tanzen oder eine Geschichte vorlesen – das lief bei uns schon immer ganz leger ab. Wir haben nie darauf bestanden, dass die Mädchen etwas vortragen. Meistens hat Maya aber etwas Kleines vorbereitet. Sie singt gerne. Als die Mädchen kleiner waren, habe ich die Weihnachtsgeschichte aus ihrem Lieblings-Kinderbuch vorgelesen und wir haben ein Weihnachtslied angestimmt, bevor es ans Auspacken ging.
Den ersten Weihnachtstag verbringen wir bei der Familie meines Mannes, den zweiten bei meiner Mutter. Vor einigen Jahren habe ich durchgesetzt, dass wir bei meinen Schwiegereltern erst nachmittags einlaufen und das Mittagessen schwänzen. Ich stehe nämlich überhaupt nicht auf die Völlerei an den Feiertagen und auf traditionelle Gerichte wie Ente oder fettige Gänsekeule. Ich bin eine ähnlich pingelige Esserin wie Maya, die froh darüber ist, wenn sie nicht „fremd essen“ muss. Außerdem finde ich, dass sechs Stunden Zusammenkunft völlig ausreichen. Und so gehört uns der Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages noch ganz allein. Nach dem Frühstück setzen wir uns, meist noch in Schlafanzügen, gemütlich vor die Glotze und schauen „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ oder „Der kleine Lord“. Erst gegen Mittag geht’s dann unter die Dusche und von der Kür zum Pflichtteil über.
Janosch Niebuhr: „Im Stall war es wahrscheinlich auch eng. Und still war die Stille Nacht bestimmt nicht.“
Wir fünf sind dieses Jahr wieder bei meinen Schwiegereltern – einmal mit dem Zug quer durch die Republik. Die Schwägerin mit Freund und den zwei Jungs kommt auch. Es wird also voll. Zusammen mit unseren drei Mädchen sind es fünf Kinder zwischen sechs und 13 Jahren. Es wird also auch laut, auf jeden Fall nicht langweilig. Die Schwiegereltern freuen sich schon. Sagen sie. (Was sollen sie anderes sagen?) Meine Frau sagt: „Ich bin soooo froh, dass wir dort feiern.“
Was Weihnachten im Allgemeinen und den Heiligabend im Besonderen angeht, habe ich mir im Laufe der Jahre eine stoische Grundhaltung zu eigen gemacht: „Verlange nicht, dass alles so geschieht, wie du es wünschest, sondern wolle, dass alles so geschieht, wie es geschieht, und es wird dir gut gehen“ (Epiktet). Das fängt damit an, dass ich eben nicht wie in frohen Kindertagen erwarten kann, dass andere die Weihnachts-Orga machen – außer wenn wir bei den Schwiegereltern feiern. „Ja, ich bin auch froh, dass wir dort feiern!“
Wir kommen zwei Tage vorher und bleiben über die Weihnachtstage. Ich muss sagen: Gast sein ist toll, besonders in dieser Zeit, denn man kann die Weihnachtserwartungen des eigenen Nachwuchs oder der Partnerin gegebenenfalls an die Gastgeber auslagern. Natürlich helfen wir alle mit bei der Vor- und Nachbereitung der Festivitäten, jeder nach seinem Können und seinen Fähigkeiten, mein Spezialgebiet ist die zeitnahe Entsorgung des Papiermülls am Heiligabend.
Es gibt noch weitere Fixpunkte, die ich aus den Vorjahren kenne: Morgens letzte Geschenke verpacken, nachmittags in den Gottesdienst („Kann einer vorgehen und zehn Plätze reservieren!“), danach – in noch festzusetzender Reihenfolge – holt Opa seine Gitarre und wir singen, Geschenke werden aus dem Weihnachtspapier geschält und (meist) gewürdigt, unsere Mittlere trägt ein Gedicht vor oder zeigt eine – bittebittenicht! – Weihnachtsturnübung, die Erwachsenen stoßen mit diversen geistigen Getränken auf das Weihnachtsfest an, die Kinder werden daran erinnert, dass es gleich Abendessen gibt und sie sich nicht die Bäuche mit Weihnachtsgebäck vollschlagen sollen.
Manche der Gliederungspunkte werden während des Abends wiederholt. Irgendwann entscheidet sich eine qualifizierte Mehrheit dann dafür, ein Spiel zu spielen. Bei dieser Gruppengröße empfiehlt sich das Sofaspiel. Sehr lustig sind auch Chef-Vize oder Scharade, besonders wenn die Erwachsenen den letzten Vorbereitungsstress abgelegt und die Kinder keine Geschenke mehr zum Auspacken haben.
Wenn dann auch noch irgendwann die Kinder im Bett liegen, mir der letzte Rest Weihnachtsbier zulächelt, die Gespräche zwischen flapsig und nachdenklich-tiefsinnig changieren, bin ich auch versöhnt mit einer Stillen Nacht, die alles ist, nur nicht still.
Martin Benninghoff: „Vorfreude ist die schönste Freude, aber auch eine Qual. An Heiligabend kann man gut morgens arbeiten, um danach alles hinter sich zu lassen.“
Bevor mir irgendjemand kondoliert, dass ich am heiligen Abend arbeiten muss: Ich „muss“ gar nicht, ich habe mich freiwillig gemeldet. Der Heiligabend war für mich immer schon ein halber Tag Arbeit. Als Kind konnten mich selbst die „Michel“-Filme nicht darüber hinwegtrösten, dass es noch zu viel zu lange dauert, bis der besinnliche Nachmittag und Abend tatsächlich startet. Die Eltern waren geschäftig, haben vorbereitet oder waren nochmal eben einkaufen. Da es an Heiligabend zudem meist bei acht Grad nieselt, kommt die Besinnlichkeit ohnehin nicht so einfach auf. Also kann ich auch arbeiten gehen.
Aber am frühen Nachmittag, wenn es nach Hause geht, freue ich mich wie ein Schneekönig auf daheim. Mit Kirche haben wir eigentlich nur noch wenig am Hut, aber mit traumwandlerischer Stringenz haben wir uns in die Richtung derer entwickelt, die an Weihnachten noch immer die Atmosphäre dort lieben und sich den Rest des Jahres nicht blicken lassen. Das war in Berlin nicht anders, wo es an Heiligabend in die Gedächtniskirche ging, und das ist nun auch in unserem Wohnort im Main-Taunus-Gebiet nicht anders. Elias, unser dreijähriger Sohn, für den dieser Tag natürlich etwas ganz Besonderes ist, soll von diesen Ritualen ruhig etwas erfahren. Und wir kommen so auch richtig in Stimmung.
Danach geht es sehr klassisch weiter, mit der Bescherung unterm Baum und einem Weihnachtsessen, Weihnachtsmusik – und Rotwein. Und Rolf Zukowskis Weihnachts-CD. Der Abend gehört Elias, es ist erst sein viertes Weihnachten und vielleicht das erste, an das er sich ein Leben lang erinnern kann. Irgendwann wird er, müde vom Geschenkeauspacken und Spielen, ins Bett wandern, und wir lassen den Abend ausklingen, der sicherlich noch von dem ein oder anderen Telefonat oder der ein oder anderen Whatsapp unterbrochen wird. Denn auch das gehört zu diesem Familienfest, das wir in diesem Jahr zu dritt feiern: dass man sich kurz mit den Eltern und den Geschwistern kurzschließt. Wenn Elias dann im Bett ist, stoppen wir mit sofortiger Wirkung Zukowskis Kinderlieder, der Rest des Abends wird dann E-Gitarren-lastiger. Make christmas great again!
Tanja Weisz: „Gegen das triste Halbfamiliengefühl an Weihnachten hilft am besten eine kleine Performance„
Meine überzuckerten Jugenderinnerungen haben die Latte für die Feiertage hoch gelegt: Weihnachten war für Vater, Mutter und die zwei Töchter ein geliebter Pflichttermin. Der immergleiche Ablauf an Heiligabend war über Jahre hinweg durch viele kleine Abschürfungen zu unserem Idealbild geronnen: Nachmittagsmesse in der Traukirche der Eltern, dann schwelgen in kalten Delikatessen, für die niemand lang in der Küche stehen musste, Karaoke-Weihnachtsgesänge unterm Baum, gerne schief und textunsicher, wenige Geschenke mit Überraschungsfaktor und der Familienkater, der sich am Ende schnurrend in raschelnden Papierbergen eingrub.
Nachdem mein Vater starb und meine Schwester mit ihrer eigenen kleinen Familie feiern wollte, war der Anker im Jahr verloren. Als Alleinerziehende trieb ich an Weihnachten wie eine losgerissene Boje auf See. Während sich rundum im Lichterglanz die glücklichen Familien in den Armen zu liegen scheinen, empfindet man besonders stark, nur eine dürre Halbfamilie zu sein. Maria mit Kind, aber gänzlich ohne Engel, Josef oder Esel.
Meine Schwester nahm uns zwar in ihren Stall auf, aber wer regelmäßig die Gastfreundschaft anderer in Anspruch nimmt und sich – wie in unserem Fall – aus Platzgründen nicht revanchieren kann, kennt das steigende Schuldenkonto des schlechten Gewissens. Die großzügigen Gastgeber bestimmen fortan das Programm und man selbst übernimmt eine höfliche Statistenrolle mit wenigen Zwischenrufen. Die Harmonie ging flöten, da halfen auch keine Christmetten mehr. Meine Tochter und mein Neffe stritten sich ständig und die Mütter waren dauernd um Schadensbegrenzung bemüht, mit mäßigem Erfolg. Weihnachten wurde zu einem bittersüßen Pflichttermin.
In den letzten Jahren drückte mir auch immer mehr der Geschenkeberg, unter dem mein Neffe regelmäßig versank, aufs Gemüt. Während der Junge noch das drölfzigste Legomobil der Patchwork-Großelternschar auf seinen Stapel legte, war meine Tochter schon lange mit ihren Päckchen fertig. Sie hat darüber nie ein Wort verloren, aber an mir nagte dieses karge Halbfamiliengefühl. Ich musste etwas an Weihnachten ändern.
Statt darüber zu reden, packte ich vor dem Weihnachtsfest 2019 lieber viele Päckchen. Ich meine, richtig viele und sie kosteten nicht mal was. Meine Tochter machte begeistert mit. Wir verpackten einfach Dinge, die uns im Lauf des Jahres ins Haus geflattert waren. Pullover, Bücher, Schmuck, alles wurde liebevoll eingewickelt und umschnürt und dann an uns selbst adressiert.
Am Heiligabend türmten sich die Geschenke wie nun
schon üblich unterm Weihnachtsbaum. Und das Kind und ich lieferten eine
großartige Performance beim überraschten Auspacken der vielen schönen Dinge, die
wir uns mit strahlenden Augen und breitem Grinsen gegenseitig präsentierten.
Meine Schwester und ihre Familie waren da schon längst fertig mit dem Auspacken
und warteten auf uns. Sie hatten nämlich in jenem Jahr, ohne vorher darüber
zu reden, die Geschenkeflut für den Sohn drastisch eingedämmt.
Das gemeinsame Gelächter war das Beste an jenem Weihnachtsfest. In diesem Jahr also werden nur wenige Päckchen unterm Baum liegen und wir freuen uns alle, mehr Zeit für einander zu haben. Und wenn sich die Teenager trotzdem lieber zoffen wollen, sollen sie doch bitte mal kurz rausgehen.
Anna Wronska: „Wenn die Kinder nicht wären, würden wir Weihnachten einfach verschlafen.“
Alle behaupten, Weihnachten käme immer so plötzlich. In Wirklichkeit haben die meisten ihre Wohnung um diese Zeit im Jahr längst mit Holz-Rentieren oder Keramik-Engeln oder etwas Schönem dekoriert; die Geschenke sind allenfalls noch nicht verpackt, aber zum Großteil besorgt und in der Küche duften die Vanillekipferl. Oder so ähnlich. Wir sind vor zwei Wochen umgezogen, noch lange nicht angekommen, und ich bin diesmal nicht bereit für dieses Weihnachten, wirklich nicht. Ich hatte geahnt, dass ein Umzug mit zwei Kindern anstrengend werden würde, aber die Realität hat alle Erwartungen übertroffen – denn sie sind natürlich beide kurz vorher krank geworden, die rechtzeitige Schlüsselübergabe für die neue Wohnung wäre fast geplatzt, die Küche ist bis heute nicht fertig, und auch sonst ging ungefähr alles schief, was schiefgehen kann.
Jetzt, wo die alte Wohnung endlich übergeben ist und sich das Chaos in der neuen langsam lichtet, kommt die Erschöpfung durch. Mein Mann und ich sind deshalb heilfroh, dass wir jedweden Reise- und Sozialstress abwenden konnten und mit unseren Kindern zumindest Heiligabend und die zwei Weihnachtsfeiertage allein verbringen, bevor es zur Verwandtschaft geht. Und weil wir die Feiertage leider nicht verschlafen können, werden wir vermutlich in letzter Minute beim Supermarkt noch den letzten, schiefen Weihnachtsbaum abgreifen und fertigen Mürbeteig aus dem Kühlregal holen, damit der große Sohn wenigstens noch ein kleines bisschen Weihnachtsbäckerei-Feeling bekommt. Geschenke für die Kinder habe ich im Internet bestellt, und ich hoffe, mein Mann, der das hier liest, hält sich an den „Wir-schenken-uns-2019-eine-Eigentumswohnung-und-sonst-nichts“-Deal (!).
Das Festessen besteht vermutlich aus Fischstäbchen mit Pommes und Salat, weil ich mit der polnischen Tradition, Karpfen aufzutischen, bei keinem meiner drei Männer landen, mich aber auch nicht zu den „deutschen“ Würstchen mit Kartoffelsalat durchringen kann. Vermutlich werden wir irgendwann einmal den Gottesdienst in unserer neuen Kirchengemeinde besuchen, ansonsten ganz viel kuscheln und auf der viel zu großen neuen Couch, über deren endgültige Position wir uns noch nicht einigen konnten, und Disney-Filme gucken. Und uns über unser neues gemeinsames Nest freuen. Denn dazu war bisher auch irgendwie noch keine Zeit.