Lara ist unzufrieden mit ihren Augenbrauen. „Wann erlaubst du mir endlich ein Microblading?“ „Nie“, erwidere ich. Beim Microblading schlitzen Fach- und (noch schlimmer) Nicht-Fachleute mit einem kleinen scharfen Messer Ritze in die Haut und arbeiten anschließend Farbe hinein, um die Illusion echter Augenbrauenhärchen nachzuempfinden. Eine blutige Angelegenheit, die zu unschönen Vernarbungen führen kann. „Dann eben Tätowieren. Hauptsache, ich kann ins Schwimmbad gehen, ohne ständig meine Augenbrauen nachmalen zu müssen“, lässt Lara nicht locker. „Gleiche Antwort“, sage ich. „Kein Permanent-Makeup.“
Ich frage Lara, ob sie sich mal die Augenbrauen meiner Mutter angeschaut hat, die in den 70er Jahren anfing, ihre sehr dichten und dunklen Brauen viel zu dünn und exzessiv zu zupfen, sodass sie irgendwann nicht mehr nachwuchsen. Greta Garbo und Marlene Dietrich rasierten sich ihre Augenbrauen in den 30ern ab und malten sich anschließend einen dünnen, hochgesetzten Bogen über die Augen. Später in den 40er- und 50er-Jahren wurden die Augenbrauen wieder natürlicher und buschiger. In den 90ern wurden sie gerne mal grün oder gelb gefärbt, Marusha und der Techno-Szene sei Dank. Und aktuell ist es eben in, seine Augenbrauen auffällig in dicken Balken in Szene zu setzen. Junge Mädchen und Frauen malen stundenlang an ihren Augenbrauen herum oder lassen sie direkt plakativ tätowieren, um für NIKE als kostenlose Werbeplattform rumzulaufen. Klar, mir muss das nicht gefallen! Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, aber Geschmack und Mode unterliegen Trends, die sich manchmal schneller ändern, als man gucken kann.
„Hätte ich dich vor zehn Jahren gefragt, ob du dir eine Prinzessin Lillifee auf den Arm tätowieren lassen willst, hättest du begeistert genickt. Noch vor zwei Jahren wäre es der Harry Potter Schriftzug gewesen. Heute wärst du darüber entsetzt. Und daher gibt’s auch jetzt nix Tätowiertes auf oder über die Augen. Basta.“ Ich erzähle ihr vom Arschgeweih-Trend in den 90er Jahren, den unzählige Frauen mitmachten und schnell bereuten. Natürlich muss auch Daniela Katzenberger als Beispiel herhalten. Die hat sich damals ja auch nicht hässlicher, sondern schöner machen wollen, als sie sich die Augenbrauen fast mitten auf die Stirn tätowieren ließ. Heute lacht „die Katze“ sehr selbstbewusst über ihren Fauxpas. Aber nicht immer lassen sich Beauty-Sünden problemlos mit dem Laser rückgängig machen und nicht jeder kann so selbstbewusst wie Daniela Katzenberger damit umgehen.
Hyaluron in den Lippen, ein operiertes kleines Näschen und eine ausladende Silikon-Oberweite, scheinen inzwischen die Voraussetzungen zu sein, um als Kandidat in diversen Fernsehshows teilnehmen zu dürfen oder als Influencer erfolgreich zu sein. Mit jedem weiteren Influencer jenseits der Natürlichkeit sinkt die Hemmschwelle der viel zu vielen und viel zu jungen Follower und Fans, die sich ebenfalls operativ „aufzuhübschen“. Machen doch alle, warum also nicht auch ich? Dass Beauty-Eingriffe dadurch immer mehr an Normalität gewinnen, finde ich erschreckend. Manchmal bin ich ganz schön sauer auf diese „Vorbilder“, die dafür sorgen, dass die Schönheitsideale von heute „operiert“, „gespritzt“ und „für die Ewigkeit aufgemalt“ lauten. Dabei gaukeln die sozialen Netzwerke mit Hilfe von Fotofiltern und der richtigen Belichtung doch sowieso schon eine unnatürliche Perfektion vor.
Wenn ich aktuell beim „Bachelor“ reinschalte, habe ich den Eindruck, das Casting-Team von RTL hat die Hälfte der Kandidatinnen im Wartezimmer einer Schönheitspraxis akquiriert. Auffällig viele Mädchen der diesjährigen Staffel haben „etwas an sich machen lassen“. Und wenn Heidis Mädchen ab heute Abend wieder laufen, können wir versichert sein, dass sich spätestens in ein paar Monaten die ein oder andere Kandidatin die Beichte abnehmen lassen wird: „Diese Beauty-Eingriffe habe ich machen lassen, um mir meinen großen Traum von Germany’s Next Topmodel zu erfüllen!“
In der Hoffnung, die Sendung gäbe den Startschuss zur Traumkarriere, verlassen sich die Mädchen bei ihren Vorbereitungen nicht mehr ausschließlich auf eine Anti-Pickel-Gesichtsmaske oder eine Pediküre. So ließ sich Theresia, eine Teilnehmerin der letzten Staffel, ihre Beine um 8,5 Zentimeter operativ strecken, um die magischen Modelmaße zu erreichen. Sie sagt, sie hätte unter Mobbing gelitten und die OP hätte ihr Selbstbewusstsein gegeben. Nun kann man ein Mädchen mit einer Größe von 168 Zentimetern nicht wirklich als kleinwüchsig bezeichnen. Ich frage mich, welcher Chirurg so etwas mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, einem jungen Mädchen, ohne wirkliche medizinische Notwendigkeit, die Beine zu brechen. Und dann gab es da noch Lara Helmer, eine Kandidatin aus der 11. Staffel. Ihre Enthüllung, sie hätte sich vor dem Start der GNTM-Show das Fett an ihren damals blutjungen 19 Jahre alten Hüften und Oberschenkeln absaugen, die Nase richten und die Lippen aufspritzen lassen, erscheint im Vergleich zu Theresia fast schon als lächerlicher minimal-invasiver Eingriff. Wenigstens war sie ehrlich, denn die meisten Kandidaten hängen ihre Beautyeingriffe nicht an die große Glocke. Anderseits vermitteln genau solche Mädchen wie Laura, Theresia oder auch YouTube-Star Shirin David: „Hey, es ist okay, wenn du etwas machen lässt, steh dazu. Hat bei mir ja auch wunderbar funktioniert. Ich habe es durch die Eingriffe richtig weit gebracht und endlich kein Problem mehr mit meinem Selbstbewusstsein.“ Das kann es doch nicht sein! Ich würde mir wünschen, dass Influencer, die schließlich nur durch ihre (jungen) Fans und Follower groß geworden sind und an ihnen verdienen, sich ihrer Verantwortung bewusster werden.
Gerade junge Mädchen gehen überkritisch mit sich und ihrem Äußeren ins Gericht und haben die Gelassenheit, die das Alter (auch wenn der Schönheits-OP-Botox-Hyaluron-Trend bei manchen Älteren auch nicht besser ist) mit sich bringt, noch nicht gefunden. Als Teenager hat man es nicht leicht. Eben noch hat man mit seinen Puppen gespielt und im nächsten Moment scheint einem aus dem Spiegel ein völlig anderer Mensch entgegenzublicken. Die Hormone tanzen Samba. Mit „Glow Up“ bezeichnen junge Mädchen ihre Metamorphose, die sie durchleben, wenn sie äußerlich sichtbar vom Kind zur Frau werden: Das Babyface verschwindet, der Körper streckt sich, man wird sich seiner Weiblichkeit und seiner Wirkung auf andere bewusst. Die Mädchen greifen zu Make-up und Styling-Produkten, die einen verändern und schöner aussehen lassen können. Nun heißt es Ausprobieren und Perfektionieren. Klamotten und Mode werden wichtiger denn je. Man beäugt und vergleicht sich mit anderen, sucht nach optischen Vorbildern. Und genau in dieser sensiblen Phase stellt man fest, dass das Näschen vielleicht nicht ganz so klein, der Hintern und der Busen dafür umso flacher und die Augenbrauen nicht dicht genug sind. Wenn man das hier und da noch verbessern könnte, dann könnte man viel zufriedener mit sich sein! Ganz sicher! Wie macht man diesen Mädchen klar, dass eine operierte Nase, aufgespritzte Lippen und tätowierte Augenbrauen nicht die Antwort auf alle Fragen des Lebens sind und nicht zum erhofften seelischen Gleichgewicht führen, wenn Influencer und TV-Shows genau das Gegenteil suggerieren?!
Meinetwegen darf meine Tochter jeden modischen Trend mitmachen. Ein paar Ausflüge in den schlechten Geschmack gehören zum Erwachsenwerden schließlich dazu. Wir hatten doch alle unsere Zeiten, in denen wir nach heutiger Auffassung total bescheuert aussahen: Wir liefen mit schwarz gefärbten Haaren oder Fönfrisuren rum, umrahmten die Augen viel zu dick mit schwarzem Kajal oder die Lippen mit dunklem Konturenstift. Aber keiner dieser Beautysünden hinterließ bleibende, körperliche Schäden. Und so soll es auch bei meiner Tochter bleiben! Lara darf in ihr Gesicht pinseln, was die Farbpalette hergibt, sich alberne Frisuren flechten oder geschmacklose Klamotten tragen. Solange sie abends in ihren Schlafanzug schlüpft, die Farbe aus dem Gesicht wäscht und meine natürlich hübsche, unperfekte Tochter wieder zum Vorschein kommt, ist alles gut.
Lara hat öfters etwas an sich auszusetzen. An dem einen Tag ist es die Nase, am nächsten die Haut oder eben die Augenbrauen. Wenn ich ihr dann versichere, dass sie gut ist, so wie sie ist und ich sie hübsch finde, behauptet sie, ich würde das nur durch verklärte Mutteraugen sehen. Mit dieser Behauptung hat sie sicher nicht ganz unrecht. Wer einen Menschen liebt, liebt ihn in all seiner Unvollkommenheit. Und das ist auch die wichtigste Lektion, die ich meiner Tochter gerne mitgeben möchte: Man muss sich und seine kleinen (angeblichen) Makeln annehmen und sich selbst lieben lernen, um sich schön zu fühlen. Dafür braucht es keine Beauty-Eingriffe.
„Und was ist jetzt mit meinen Augenbrauen?“, fragt Lara. „Ich weiß!“, sage ich. „Es gibt doch so tolle Snapchat-Filter, mit denen kannst du dir die perfekten Augenbrauen auf deinen Fotos zaubern. Und ins Schwimmbad nimmst du einfach einen schwarzen Edding mit, der ist wasserfest.“