„Da schlägt ja noch ein Herz“, sagte meine Frauenärztin beiläufig, während sie den ersten Ultraschall machte. „Zwillinge?“, rief ich, „wie wundervoll!“ Mein Mann und ich wollten immer zwei Kinder, und so wie es gerade auf diesem krisseligen Bildschirm aussah, bekamen wir gleich zwei Babys zum Preis von nur einer Schwangerschaft. Ein super Deal! Klar, Zwillinge laufen unter dem Label „Risikoschwangerschaft“ und in den ersten Wochen und Monate kreisten meine Gedanken um Frühgeburten, verkürzte Gebärmutterhälse und Entwicklungsverzögerungen. Doch: Nichts von alledem trat ein. In meinem Bauch wuchsen zwei Jungs heran. Wir verpassten ihnen den Arbeitstitel Cristiano und Ronaldo und ich sah schon bald so aus, als ob ich alle Ballon d`Ors des portugiesischen Starfußballers auf einmal verschluckt hätte. Und trotzdem fühlte ich mich blendend. So blendend, dass ich einen Tag vor der Geburt bei Ikea war. Meine Zwillingsschwangerschaft? E-A-S-Y!
Womit natürlich keiner rechnen konnte: Irgendwann waren sie dann da. Per Kaiserschnitt kamen Tiago und Fabian kurz vor Weihnachten in unser Leben. Pumperlgesund mit fast drei Kilo pro Kind. Während der Schwangerschaft war ich so mit Ausbrüten beschäftigt gewesen, dass ich mir kaum Gedanken darüber gemacht hatte, wie das Leben wohl mit zwei Babys sein könnte. Nur die ersten vier Wochen nach der Geburt hatte ich mir ausgemalt: Draußen rieselt leise der Schnee, die Lichterkette am Weihnachtsbaum leuchtet, und wir kuscheln uns zu viert aufs Sofa. Mein Mann und ich schauen uns verliebt an und dann noch viel verliebter auf unsere süßen Kinder, die selig in unseren Armen schlummern… So viel schon mal vorweg: Geschneit hat es tatsächlich.
Der Rest entsprang meinem präpartalen Wunschdenken, dem so viele Eltern verfallen und das mit der Realität ungefähr so viel gemeinsam hat wie das „Literarische Quartett“ mit „Bachelor in Paradise“. Die Wahrheit ist: Das erste Jahr mit Zwillingen war das Anstrengendste und Herausforderndste, was ich je erlebt habe und wahrscheinlich erleben werde. Doch der Reihe nach.
Die Milchbar macht dicht: Stillen ist das beste für Ihr Kind! Ja, aber eine stabile und einigermaßen ausgeschlafene Mutter ist vielleicht noch einen Tick besser. Ich habe es mit dem Stillen versucht. Ehrlich! Es klappte einfach nicht. Mein Körper war schlauer. Der dachte sich von Anfang an: Wenn wir das durchziehen, können wir uns nach vier Wochen einweisen lassen. Und mein Körper hatte recht. Also produzierte er so gut wie keine Milch. „Sie müssen sich entspannen, Frau Pereira, und alle zwei Stunden abpumpen, dann wird das schon“, sagten mir die Schwestern im Krankenhaus immer wieder. Zu Befehl! Entspannung, jetzt! Ach nee, geht ja nicht, ich füttere ja jede Stunde ein hungriges Neugeborenes. Zum Glück hatte ich eine grandiose Hebamme: Monika. Nach zehn Tagen sagte sie die erlösenden Worte: „Anneli, wir lassen es jetzt einfach mit dem Stillen!“
Wir stellten auf Fläschchen um und kauften die Pre-Nahrung aller Drogeriemärkte in der näheren Umgebung auf. Tiago und Fabian waren ordentliche Trinker und futterten in Spitzenzeiten eine ganze Packung pro Tag. Beim Füttern konnten mein Mann und ich uns abwechseln und nach etwa vier Wochen wussten wir dann auch, wann die Kinder wirklich Hunger haben, und wann sie aus anderen Gründen schrien. Manchmal schrien sie auch einfach ohne Grund. Aber auch das muss man ja erst einmal verstehen.
Schlaf? Was ist das? Ich wollte nur das Eine und konnte an nichts anderes denken: Schlaf! Ein tiefer, langer Schlaf von mindestens vier Stunden. Ich schaute mir die Menschen in der Schlange beim Bäcker an und dachte nur: Ihr könnt euch einfach hinlegen und schlafen, wann ihr wollt, und schaut trotzdem schlecht gelaunt aus. Undankbares Volk! Mein Mann und ich schliefen nämlich eigentlich überhaupt nicht. Anfangs dauert das nächtliche Prozedere aus Füttern, Wickeln (pro Tag etwa 16 Windeln) und wieder Hinlegen so lange, dass im Anschluss gleich das zweite Kind wach war. Außerdem schliefen die Jungs in den ersten drei Wochen bei uns im Bett. Oder besser gesagt, jeder von uns hatte ein Baby auf dem Bauch liegen. Allein deswegen tat ich kein Auge zu. Mein Mann und ich verwandelten uns immer mehr in Zombies. Es musste etwas passieren. Vor allem, weil mein Mann nach vier Wochen wieder arbeiten gehen würde. Also brachten wir die Babys gegen 19 Uhr gemeinsam in ihr eigenes, gemeinsames Bettchen, das direkt neben unserem im Schlafzimmer stand. Wenn sie schrien, trösteten wir und hielten Händchen, verließen aber sobald sie ruhig waren den Raum. Nach etwa drei Tagen dauerte das Hinlegen und Einschlafen nur noch ein paar Minuten. Vom Durchschlafen waren wir natürlich noch lange entfernt, aber wir hatten uns ein kleines Zeitfenster am Abend geschaffen, um etwas Kraft zu schöpfen. Die Kinder schliefen in ihrem Bett und wir in unserem. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Was wir uns hätten sparen können und was nicht: Es gibt ein paar wenige Dinge, die das Leben von Zwillingseltern echt erleichtern (jede Menge Spucktücher und ein Trockner!). Und dann gibt es sehr viel Zeug, was kein Mensch braucht. Ein Zwillingsstillkissen zum Beispiel. Selbst wenn ich länger gestillt hätte, diesen monströsen Bauchladen hätte ich mir nicht auf Dauer umgeschnallt. Auch die zwei Tragehilfen kamen bei uns, wenn überhaupt, ein oder zwei Mal zum Einsatz. Am liebsten lagen Tiago und Fabian auf ihrer Krabbeldecke im Wohnzimmer und schauten sich fasziniert ihre Zehen an. Zumindest so lange, bis sie mit etwa sechs oder sieben Monaten zu Krabbeln begannen. Ich dachte anfangs, mit Neugeborenen wäre es besonders anstrengend, doch nun sehnte ich mich schlagartig in die Zeit zurück, als ich die Kinder auf ihrer Decke legte und sie an Ort und Stelle blieben. Nun konnte ich sie keine einzige Sekunde mehr aus den Augen lassen. Für kurze Zeit hatten wir daher einen „Krabbelpark“ im Wohnzimmer: einen etwa vier Quadratmeter großen Laufstall. Dieses Baby-Alcatraz schafften wir aber schnell wieder ab. Und aufs Klo konnte ich dann eben nur, wenn sie schliefen.
Ein Kind ist kein Kind: Ich gestehe, lange Zeit habe ich Eltern mit nur einem Baby nicht ernst genommen. Umgekehrt erntete ich oft anerkennende Blicke von Einlings-Eltern, wenn ich meinen Zwillingswagen an ihnen vorbeischob. Wirklich verstehen konnten sie mich aber nicht. Ich durchwühlte daher das Internet nach Zwillingsforen, las einen Zwillingsblog nach dem anderen und fühlte mich anschließend nicht mehr ganz so allein. Meine Hebamme Monika stellte schließlich den Kontakt zu Katharina her, einer jungen Mutter, mit der ich heute noch gut befreundet bin. Sie rückte meine Sichtweise auf ein Leben mit Zwillingen noch einmal ins rechte Licht: Eigentlich ist alles doch ganz einfach. Zwei Kinder, denke ich seitdem, das ist kaum der Rede wert! Katharina hat nämlich Drillinge.