Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Wenn sich Vollzeitarbeit nicht mehr lohnt

Kind oder Karriere? Die Rentenversicherung wird ihr diese Entscheidung später vorrechnen.

Letzte Woche habe ich unsere Unterlagen sortiert und neue Ordner angelegt. Dabei fielen mir meine jährliche Renteninformation und eine alte Gehaltsabrechnung aus Zeiten vKi (vor Kindern) in die Hände und ich bekam im ersten Moment schlechte Laune. Ich hatte fast verdrängt, wie gut ich einmal verdient habe. Vor sechzehn Jahren sah es rententechnisch (zumindest auf dem Papier) ganz gut für mich aus: „Sollten bis zum Rentenbeginn Beiträge im Durchschnitt der letzten fünf Kalenderjahren gezahlt werden, bekämen Sie ohne Berücksichtigung von Rentenanpassungen von uns eine monatliche Rente von…“ Damit wäre in ein paar Jahren wahrscheinlich kein Altersruhesitz in Florida drin und auch kein Privatjet, aber ich würde nach damaligem Stand ganz ordentlich dastehen. Meine letzte Renteninformation dagegen: Ernüchternd. Über sechzehn Jahre raus aus der Vollzeitbeschäftigung, dafür lässt einen die Rentenversicherung ordentlich bluten. Geplant war das nicht. Es hat sich einfach entwickelt.

Bevor ich meinen Mann heiratete und mit ihm eine Familie gründete, zog ich zu ihm und pendelte fortan ins Büro, zwei Stunden Stau täglich inklusive. Nach Laras Geburt blieb ich fürs Erste zu Hause. Ein Jahr später bot mir mein Arbeitgeber an, stundenweise im Homeoffice zu arbeiten. Das war 2005 noch nicht ganz so selbstverständlich wie heute. Viele Leute haben mich beglückwünscht: „Das ist ja toll, dass du nicht aus dem Haus musst, dich gleichzeitig um die Kleine kümmern kannst und trotzdem Geld verdienst.“ Nur wer selbst keine Kinder großzieht, hat diese verklärte Vorstellung vom Homeoffice in dieser Kombination. Je kleiner die Kinder sind, desto anstrengender ist es, denn zum unbezahlten Kinder-Fulltime-Job kommen die Homeoffice-Stunden hinzu, die Mann oder Frau sich irgendwie vom Tag abzweigen muss. Es sei denn, man greift auf Oma, Opa, Partner, Kita oder Tagesmutter zurück, die sich um das Kind kümmern, während man vorm PC und am Telefon hängt. Letztere, also die bezahlte Betreuung, sollte dann möglichst nicht den Großteil des mühsam erarbeiteten Gehalts auffressen, sonst bekommt man schnell das Gefühl, man arbeitet nur für die Emanzipation, „um drin zu bleiben“ oder weil man sich wahnsinnig mit seinem Baby oder Kleinkind langweilt.

Im ersten Jahr waren meine Arbeitsstunden noch überschaubar, dennoch wartete ich unter Druck jeden Mittag darauf, dass Lara endlich tief und fest schlief, damit ich mich in Ruhe und konzentriert für ein oder zwei Stunden an den Computer schleichen konnte, um meine Arbeit nicht komplett in den Abend schieben zu müssen. Abends war ich nämlich erschöpft vom Tag mit Kind. Außerdem kam mein Mann immer spät nach Hause und ich hatte keine Lust, dass wir uns nur noch abklatschen. Wenn Lara nach dem Mittagessen in ihrem Bett lag, sah ich das Spielzeug und die Wollmäuse auf dem Boden liegen, das dreckige Geschirr vom Mittagessen in der Spüle, die Wäsche, die unbedingt aufgehängt werden musste, meine ungewaschenen Haare im Spiegel und die Couch, die mir zurief: „Du bist heute wieder so früh aus dem Schlaf gerissen worden. Komm und leg wenigstens für einen kurzen Moment die Beine hoch und vergiss das Chaos um dich rum.“ Ich bin diesem Ruf selten gefolgt.

Nach einem weiteren Jahr stockte ich stundenmäßig auf, fuhr aber freiwillig zweimal die Woche ins Büro, weil ich den Spagat zwischen Kind, Küche und Computer bei der Anzahl der Stunden für nicht machbar hielt. Dafür nahm ich eine Fahrt zu meiner Mutter, die Laras Betreuung übernahm, und den abendlichen Stau mit Kind auf dem Rücksitz in Kauf und war froh, Lara später in einer privaten Kindergruppe unterbringen zu können.

Meine zweite Schwangerschaft, keine drei Jahre nach Laras Geburt, weckt noch heute unschöne Erinnerungen. Die Monate erschienen mir endlos lang. Ich fühlte mich ausgelaugt und war ständig krank. Lara machte die typischen Kleinkind-Infekte durch und ich jeden einzelnen direkt mit ihr. Unser Haus war eine Dauer-Baustelle. Ein lebhaftes Kleinkind mit unerschöpflichem Akku. Pendelei ins Büro plus Homeoffice und Haushalt. Ein Arbeitgeber, der von der zweiten Schwangerschaft nicht sonderlich begeistert war. Mein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht bei meiner Tochter war, ausgelöst durch meinen Hormonüberschuss. Noch nie habe ich so viel geheult wie in diesen neun Monaten. Die letzten Schwangerschafts-Wochen schleppte ich mich mit einer furchtbaren Bronchitis und Sinusitis durch die Gegend, hörte auf beiden Ohren kaum noch etwas und konnte aufgrund einer Penicillin-Allergie nicht befriedigend behandelt werden.

Mit Beginn des Mutterschutzes kam Lara in den regulären Kindergarten. Ich nahm die kompletten drei Jahre Erziehungsurlaub, war körperlich einfach total fertig und wollte mich auf meine Kinder und, so gut es ging, auf meine Gesundheit konzentrieren. Es folgten sehr schöne, intensive, aber auch anstrengende Jahre mit meinen Mädchen. Mein Tagesablauf füllte mich vollkommen aus: Morgens weckte ich die Kinder, machte Frühstück, zog sie an, brachte Lara in den Kindergarten, ging mit Maya spazieren und einkaufen, kochte, holte Lara vom Kindergarten ab, ging mit den Kindern auf den Spielplatz, zum Kinderturnen und in die Spielgruppe. War Lara krank, durfte sie sich zu Hause auskurieren und ich musste sie nicht mit glasigen Augen und Schnodder aus dem Haus schleifen.

Die wenigsten Eltern können es sich leisten, alle naselang im Job wegen eines kranken Kinds zu fehlen. Leider sind Kindergartenkinder gefühlt alle zwei Wochen krank, was Eltern regelmäßig den Arbeitsalltag erschwert. Aus purer Verzweiflung wird dann schon mal aus einem Magen-Darm-Virus ein verdorbener Magen, „der aber wieder okay ist, weil Lilly sich lediglich einen einzigen Tag übergeben musste und das ganz sicher an den vielen Süßigkeiten lag, die es auf Pauls Kindergeburtstag gab“. Einmal war ein Magen-Darm-Virus in unserer Kita wochenlang nicht in den Griff zu kriegen, sodass das Haus fast geschlossen werden musste. Es waren nicht nur sämtliche Kinder in den Gruppen, sondern auch fast alle Erzieher daran erkrankt. Da konnten noch so viele Aushänge an der Eingangstür hängen, dass kranke Kinder bitte zu Hause bleiben sollten.

Kinder sind riesige Zeit- und Kostenfaktoren. Und wenn man mehr Zeit in die Familie investieren will, muss man auf der anderen Seite Abstriche machen, meist finanzieller Natur. Als wir damals, nach Laras Geburt, vor unserem Bankberater saßen, um uns den Kreditrahmen für unseren Hauskauf ausrechnen zu lassen, habe ich mein vKi-Gehalt nicht berücksichtigen lassen: „Ich glaube nicht, dass ich diese Einkommenshöhe jemals wieder realisieren kann. Zumindest nicht, bis die Kinder groß sind“, sagte ich und behielt Recht. Ich bin beruflich kürzer getreten, habe neue Wege eingeschlagen, die nicht immer einfach waren und habe es dennoch nie als sozialen Abstieg empfunden.

In der Grundschule nahmen meine Mädchen an der verlässlichen Grundschule (bis maximal 14 Uhr) teil. Ein Ganztagsplatz mit Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung kam für uns nicht in Frage. Das war eine ganz klare, nüchterne Rechnung: Wie viel verdiene ich, wenn ich Stunden aufstocke und wie hoch sind im Gegenzug dann die Kosten für die Ganztagsbetreuung? Was kommt wirklich netto dabei rum? Können wir problemlos Schulferien, Brückentage und Kinderkrankheiten wuppen, ohne jonglieren zu müssen? Müssen wir abends, trotz Hausaufgabenbetreuung noch zusätzlich ran, um die Kinder in Mathe und Co. zu unterstützen, weil die Schule erfahrungsgemäß nicht alles auffangen kann? Wie viel gemeinsame Zeit bleibt mir und meinen Kindern im Alltag? Wie viel Zeit bleibt uns als Familie? Wie viel Zeit bleibt meinem Mann und mir als Paar? Wo bleibe ich? Ist es das wert?

Wir leben nicht schlecht, aber auch nicht im Luxus. Wenn ich keine Kinder bekommen hätte oder in meinen alten Job in Vollzeit zurückgekehrt wäre, würden meine Rentenansprüche später höher ausfallen. Wir hätten uns definitiv materiell mehr leisten können. Vielleicht würden wir heute in einem größeren, moderneren Haus mit hochwertigeren Möbeln leben, ein schöneres Auto fahren, und ich hätte ein paar Kleider, Handtaschen und Schuhe mehr im Schrank. Andererseits: Die wenigen wertvollen und intensiven Kinderjahre sind mein Luxus, den mir keiner mehr nehmen kann. Wir mögen unser altes, unperfektes Haus. Meine Töchter sind entspannt aufgewachsen. Ich habe mir immer viel Zeit für sie nehmen können. Im Rückblick hätte ich es nicht anders haben wollen. Nur die Renteninformation von der Deutschen Rentenversicherung kratzt an meiner Ehre: Weil sie behauptet, ich hätte in den letzten Jahren nicht so viel geleistet.