Stillen oder Flasche? Jede werdende Mutter sollte das selbst frei entscheiden können – aber der gesellschaftliche Druck zu Stillen ist für viele schrecklich. Zwei Erfahrungsberichte.
Ich habe meine Kinder nicht gestillt
Ich habe es nicht einmal versucht. Als ich mit meiner ersten Tochter schwanger war, freute ich mich riesig auf mein neues Leben als Mutter und alles, was nun kommen würde. Engagiert las ich mich durch Schwangerschaftsratgeber, verzichtete auf Kaffee, Rohmilchprodukte und rohes Fleisch, versuchte so viel Gesundes wie möglich in meinen Speiseplan zu integrieren und stürzte mich in Nest-Vorbereitungen. Die waren genau mein Ding! Es liegt in meiner Natur, immer einen Schritt weiter zu sein als ich muss. Ich überlasse so gut wie nie etwas dem Zufall und plane und entscheide alles so früh wie nur irgendwie möglich. Und es gibt so viele spannende Dinge, die man entscheiden muss, wenn man zum ersten Mal guter Hoffnung ist! Wie richten wir das Kinderzimmer ein? Was für einen Kinderwagen kaufen wir? Welche Auto-Babyschale ist die sicherste? Welche Erstausstattung brauchen wir? In welcher Klinik entbinde ich? Wie lange nehme ich Elternzeit? Welchen Namen geben wir unserem Kind? Wo melde ich mich zum Geburtsvorbereitungskurs und später zur Rückbildungsgymnastik an? Eine aufregende Zeit für mich. Ich war genau im Bilde, wie weit mein Ungeborenes entwickelt war, wusste, wann es Lichtquellen durch die Bauchdecke wahrnahm und wann es in etwa die Finger bewegen konnte. Ich studierte die verschiedenen Phasen der Geburt und was mich im Wochenbett erwartete.
Am Ende des letzten Trimesters beschäftigte das Thema „Stillen“ meine Planung. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits soweit, dass ich meiner ungeborenen Tochter ihr zeitlich befristetes Wohnrecht wegen Eigenbedarf am liebsten frühzeitig aufgekündigt hätte. Irgendjemand hatte mir anscheinend heimlich einen Gartenschlauch unter die Haut gesteckt, „Wasser marsch!“ gerufen und mich randvoll gefüllt. Ich war eine lebende Wasserbombe. Ich konnte meine Knöchel nur noch erahnen und meine Füße passten in kein vernünftiges Schuhwerk mehr hinein. Ich hatte das Gefühl, jeden Moment zu platzen. Die letzten Wochen der Schwangerschaft sind für die meisten Frauen kein Vergnügen. Meine Brüste kamen mir nicht nur riesig vor, sie waren es auch und sie sollten, laut meiner Pflichtlektüre, sogar noch praller werden, wenn erst einmal die Milch nach der Geburt einschießen würde. Ich las von wunden Brustwarzen, Stillhütchen, Milchpumpen und Milchstau mit hohem Fieber. Meine Brüste würden die Funktion einer allzeit bereiten Futtertränke übernehmen. Wie würde das ablaufen, wenn ich unterwegs wäre? Ich bin definitiv nicht der Typ, der im Café oder auf der Spielplatzbank seine Brust rausholen und sein Kind einfach anlegen würde. Es ist nichts Falsches oder Unnatürliches daran, wenn eine Mutter ihr Kind in der Öffentlichkeit stillt, aber für mich konnte ich es mir damals schlicht und ergreifend nicht vorstellen und sah mich daher bereits mit meinem Baby auf irgendwelchen schäbigen, öffentlichen Toiletten oder in düsteren Ecken sitzen.
Je intensiver ich darüber nachdachte, desto deutlicher kristallisierte sich heraus: Alles sperrte sich in mir. Ich wollte nicht stillen. Ich wollte die Zeit mit meinem Baby genießen und kuscheln, ohne mich zu irgendetwas zwingen zu müssen. Und so hörte ich auf mein Bauchgefühl und beschloss noch vor der Geburt, mein Kind mit der Flasche großzuziehen. Diese Entscheidung habe ich nicht kopflos aus der Hüfte geschossen, schließlich lautet das Credo „Stillen ist das Beste fürs Kind“, und wer dem Kind das Beste vorenthält, kann doch nur eine schlechte Mutter sein, oder nicht?! Aber ich war und bin keine schlechte Mutter. Ich hatte und habe eine sehr enge Mutter-Kind-Beziehung zu meinen Töchtern. Man füttert sein Baby nicht zwangsläufig mit weniger Liebe und Aufmerksamkeit, nur weil man ihm einen Sauger anstelle einer Brustwarze in den Mund steckt.
Viele Mütter werden nun sagen: Stillen ist toll, so intim und gut fürs Kind, wenn es erst einmal klappt. Die Muttermilch ist das einzig Wahre, weil viel gesünder als die Industriemilch. Ich will gar nicht bestreiten, dass die Muttermilch gegenüber der Industriemilch im Vorteil ist. Ich bin auch absolut keine Stillgegnerin. Ich weigere mich nur zu akzeptieren, dass heute immer noch so viel Druck auf Frauen ausgeübt wird, wenn es um dieses Thema geht. Wir leben im 21. Jahrhundert. Wir reden von Feminismus und Selbstbestimmung und dennoch wurde ich von anderen Müttern gefragt, ob „es nicht geklappt hat“ oder ich „aus gesundheitlichen Gründen nicht stillen durfte“. Die Option, dass ich mich bewusst gegen das Stillen entschieden habe, kam den meisten gar nicht erst in den Sinn und führte in der Regel nach Aufklärung zu verständnislosen Blicken und Kommentaren. Das fand ich damals wie heute traurig und sehr befremdlich. Keine Frau sollte sich eine Absolution einholen oder sich rechtfertigen müssen, wenn sie einen Beschluss fasst, der ihren Körper und ihr eigenes Wohlbefinden betrifft. Das Beste fürs Kind ist nämlich nach wie vor Liebe und Zuneigung. Und die kann eine Mutter ihrem Kind am besten schenken, wenn es ihr selbst auch gut geht.
Sonia Heldt
Ich habe fast ein Jahr lang gestillt
Meine sechs Monate alte Tochter zu stillen war ein Traum. Ein Maunzerchen von ihr und ihr Essen war bereit, überall, Tag und Nacht, und großer Frieden kehrte bei Mutter und Kind ein. Keine Fläschchen, die man sterilisieren musste, nichts aufzuwärmen, während sich ein hungriges Kind die Seele aus dem Leib brüllt. Statt dessen konnte ich überall und jederzeit die Milchbar auspacken. Entspannt plaudernd mit einer Freundin im Café im Park sitzen, das nuckelnde Baby unter einem Tuch auf dem Schoss, Instagram-Mutterglück-Idylle. Genauso hatte ich es mir in meiner Schwangerschaft vorgestellt, eine entspannte Mutter, die auf natürlichste Weise ihr Kind versorgt und eine zärtliche Bindung zu ihm hat. Es mit der allerbesten und gesündesten Milch volltankt, damit es auch in Zukunft hoffentlich ohne Allergien und Asthma durchs Leben kommt.
Aber wir müssen auch mal über den Preis dafür sprechen.
In diesen selig verklärten Tagen nach der Geburt, in denen es Gratulationen regnete und das Kind sowieso die meiste Zeit schlief, fingen meine Probleme beim Stillen an. Mitten im Hormondelirium, als ich mein perfektes Baby anlächelte und anlegte, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass jemand mit einer Kneifzange meine Brustwarze zusammendrückt. Immer und immer wieder. Das konnte doch nicht wahr sein!
Ich wurde ins Stillzimmer des Krankenhauses gebracht, Vorbilder sollten helfen. Da saßen jede Menge Naturtalente mit großen Brüsten, die willige Babys an sich saugen ließen und dabei lächelten, als wäre es das reine Vergnügen. Bei mir floss keine Milch, es flossen nur Tränen. Die Hebamme vom Dienst verließ nach einer halben Stunde abrupt und wortlos den Raum, offenbar genervt von meiner hilflosen Heulerei. Die Blicke der anderen Mütter: mitfühlend, aber auch ratlos. Ich fühlte mich wie eine Versagerin.
Alle schienen es so leicht zu nehmen, allen schien es zu gelingen, nur mir nicht. Diese Vorstellung, man könne mit schierem Willen die Dinge so zurechtbiegen, wie man sie haben möchte, schleift sich bei Eltern ja erst nach und nach ab. Doch damals, als taufrische Mutter, traf mich die Ernüchterung darüber, dass das wirklich wahre Leben mit Kind häufig eine ganz andere Richtung einschlägt. Es war wie ein kalter Wasserguss. Zur tieferen Erkenntnis war es noch ein weiter Weg, statt dessen presste ich die Lippen zusammen und machte weiter.
Was war denn nun mit der großen Natürlichkeit? Warum hatte mir niemand von diesen Schmerzen erzählt? Am dritten Tag legte man mich an eine Milchpumpe, etwas weniger schmerzhaft, aber dafür langwieriger. Man nutzt die Zeit, in der das Baby schläft, um stundenlang Milch abzupumpen, die man dann wieder stundenlang mit wachsender Verzweiflung mit einer Pipette, einem Sauger, einem Fläschchen dem Kind zu verabreichen versucht. Ist froh, wenn das Kind etwas trinkt, aber auch panisch, weil es so ja niemals an der Brust trinken wird.
In jedem Ratgeber stand, dass Schmerzen zu Beginn des Stillens nicht ungewöhnlich seien, dass sie aber nach wenigen Tagen vorüber gehen. Bei mir war von Gewöhnung wochenlang nichts zu spüren, die Milchpumpe war zu mir sanfter als mein Kind. Die Stillberaterin befand auch, dass das Kind beim Saugen alles richtig macht, ich sei eben sehr empfindlich. Zu diesem Zeitpunkt klang schon alles wie ein Vorwurf.
Rückblickend hätte ich mir in diesen Tagen oder auch in den folgenden Wochen gerne eine resolute Hebamme gewünscht, die sagt: „Schluss jetzt, Kinder werden auch mit Fläschchen groß, denken Sie auch mal an sich.“ Stattdessen gab es nur Anfeuerungsrufe, eine drängendes Weiter so, auch von allen stillenden Freundinnen, Müttern, Verwandten, fast, als würden die Schmerzen beim Stillen ebenso adeln wie die bei der Geburt. Das hat eben etwas Aufopferndes, etwas klassisch Mütterliches. Und eine gute Mutter, das wollte ich in diesem Moment ja auch sein.
Aber es ist eine so einseitige Sicht des Mütterlichen. Ich freue mich von Herzen für jede Frau, der das Stillen leicht fällt, die es nach kurzer Zeit genießen kann und so praktisch findet wie ich später auch. Aber ich wünsche mir für all jene, denen es so schwer fiel wie mir, dass sie sich selbst erlauben, darauf zu verzichten. Und diese Möglichkeit auch schon vor der Geburt in Betracht ziehen.
Tanja Weisz