Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Sprich hochdeutsch, Kind!

Ob Lesen wirklich vor Mundart bewahrt?
Ob Lesen wirklich vor Mundart bewahrt?

„Frühs wird es jetzt immer dunkler“, sagte Theo neulich am Frühstückstisch und schaute aus dem Fenster. Im Garten balgten sich zwei Amseln in der Dämmerung. Ich räuspere mich: „Mit ‚frühs‘ meinst du morgens, oder?“ Der Junge sah mich an: „Jaha. Frühs halt.“

Seit fast anderthalb Jahren leben wir inzwischen in Franken. Dass die Menschen hier anders sprechen, war uns klar. Ich finde das auch eigentlich gut. Man erweitert seinen Wortschatz. Zum Fußballtraining meines Sohnes begrüßte mich einer der Väter, ein Urfranke, anfangs immer mit „Ah, der Zugeschmackte“. Das bedeutet so viel wie der Zugezogene oder einfach der Neue. Die Begrüßung war keinesfalls diskriminierend gemeint – eher im Gegenteil. Der Mann wollte auf diese Weise meine Schlagfertigkeit provozieren. Es hat auch funktioniert. Wir zwei trainieren inzwischen gemeinsam ein Team und ergänzen uns sehr gut.

So habe ich gerade im Fußball einige fränkische Fachausdrücke kennen gelernt: Wenn ein Spieler mit dem Ball am Fuß gerne fummelt, nennen die Franken das „schwanzen“. Warum auch immer. Wenn die Spieler einen Kreis bilden und zwei in der Mitte versuchen, den Ball zu bekommen, heißt das „Eckla“. Das klingt besser als „Fünf gegen zwei“, wie wir das nennen. Und wenn jemand einem anderen den Ball durch die Beine spielt, heißt das „pannern“ oder „Leo schieben“. Auch das gefällt mir viel besser als „dönern“, wie es mein Sohn in Berlin gelernt hat. Der Begriff kommt tatsächlich von dem türkischen Drehspießgericht.

Sprache ist ja auch immer ein Integrationsmittel. Man übernimmt Begriffe und Redensarten und kommt so seinem neuen Umfeld näher. Das ist gut und ein ganz normaler Prozess. Wenn aber jemand den Slang, die Mundart oder eben die ganze Art zu sprechen übernimmt, geht mir das eindeutig zu weit. Und das tut Theo leider.

Meine Frau und ich kommen aus Niedersachsen. Ich bin am Südhang des Teutoburger Waldes aufgewachsen. Vor über 2000 Jahren haben Hermann und seine Germanen hier die Römische Legionen geschlagen und vor knapp 400 Jahren wurde in Osnabrück, das ist ganz in der Nähe, der Westfälische Frieden beschlossen. Das war´s. Ansonsten besticht die Gegend im Nordwesten durch ihre Ruhe und die ansprechende Landschaft.

Worauf wir uns etwas einbilden könnten, ist unsere Aussprache. Die ist bis auf einige, wenige lokale Besonderheiten wie etwa die unnötige Substantivierung von Verben („Ich bin gerade am Arbeiten.“) ziemlich klar. Es gibt keinen Slang.

Unser Sohn wird demnächst acht. Er wurde in Osnabrück geboren. Er spricht hochdeutsch. Daran haben auch die sechs Jahre in Berlin nichts geändert. Theo konnte schon früh recht gut sprechen und hat dadurch jede Menge Selbstbewusstsein entwickelt. So hat er kein Problem damit, auch auf ältere Kinder zuzugehen. Er hat auch schon immer Dinge von den Größeren übernommen. Hier in Franken ist es die Aussprache.

Theo hat einen Kumpel, der ein paar Jahre älter ist und der immer darauf achtet, möglichst cool rüberzukommen. Der Junge erzählt den Kleineren gerne, was er Tolles gemacht hat. Die Kinder sind immer ganz beeindruckt. Wenn Theo vom Spielen nach Hause kommt und von diesem Jungen berichtet, denke ich manchmal, ein anderes Kind steht vor mir. Er zieht dann die Vokale seltsam in die Länge, macht aus dem „t“ ein „d“ und aus dem „k“ ein „g“, rollt das „r“ und hängt ein „e“ an die letzte Silbe. Gut, so sprechen Franken nun mal, aber doch bitte nicht mein Kind. Mir tut das richtig weh. Theo hat eine saubere Aussprache und jetzt fängt er „das Fränggeln“ an. „Sprich bitte hochdeutsch, Junge“, ermahne ich ihn. Er schaut mich dann seltsam an. Meistens legt sich das Phänomen nach einer Weile. Allerdings taucht es in letzter Zeit häufiger auf.

Inzwischen habe ich mir einen Schlachtplan überlegt. Das Kind wird mit dem Hochdeutschen torpediert, auf allen Kanälen. Wir lesen jetzt mehr. Vor allem das gegenseitige Vorlesen hilft enorm. Ich kann ihn sofort korrigieren. Außerdem darf er mehr Hörbücher hören und sogar mehr Fernsehen. Es gibt in den einschlägigen Mediatheken eine große Auswahl gutgemachter Kindersendungen – und alle auf hochdeutsch. Wenn wir uns morgens am Frühstückstisch unterhalten, spricht er hochdeutsch. Ich bin guter Dinge, dass wir diesen Kampf gewinnen werden. Allerdings weiß ich genau, was mein urfränkischer Trainerkollege dazu sagen würde: „So an Geschmarre!“