Warum unsere Autorin nach der Geburt des zweiten Kindes ein Incognito-Dasein dem launigen Get-Together vorzieht – und warum Corona-Auflagen nicht immer schlecht sind.
Eine Stehparty in einem überhitzten Wohnzimmer, mehrere Verabredungen an einem Tag oder Smalltalk mit den Kollegen in der Kaffeeküche: Vor Corona konnte ich nicht genug Menschen um mich haben. Ein Wochenende ohne Termine machte mich unruhig. Logisch, dass ich nach der Geburt unseres ersten Kindes Max vor drei Jahren wenige Stunden nach der Entbindung das Krankenhaus verließ und wiederum wenige Stunden später die ersten Gäste auf unserem Sofa saßen, den Kleinen herzten und Erinnerungsfotos schossen. Wir platzten ja auch vor Stolz und ich fühlte mich wie Superwoman.
Doch unser erster Sohn war ein unruhiges Baby, Kollegen sagten, kein Wunder bei den Eltern. Doch er blieb auch unruhig, als wir die Besuche und Aktivitäten reduzierten, während seiner kurzen Schläfchen die Klingel abstellten und anfingen, uns nur noch im Flüsterton zu unterhalten. Stundenlang trugen wir ihn in den Schlaf, aus dem er dann vom Rascheln einer Zeitung oder dem Biss in ein Knäckebrot (ich schwöre: das ist nicht erfunden) aufschreckte und meist prompt zu weinen anfing.
In der Corona-Pandemie ist unser Leben ruhiger geworden. Wir sind rausgezogen aus der Stadt und haben viele Wochen wie so viele andere auch ganz auf Verabredungen und Treffen verzichtet. Als ich wieder schwanger wurde, schwor ich mir: Diesmal würde ich in den ersten Wochen alles ruhiger angehen lassen. Nicht nur für das neue Baby, sondern auch für uns. Denn wenige Wochen nach der Geburt unseres ersten Kindes fühlte ich mich so ausgelaugt und übermüdet, dass ich mich nicht mehr traute, Auto zu fahren oder Eier im heißen Wasser zu kochen. Doch: Wie Freunde und Familie einbeziehen, ohne wieder im Wochenbettstress zu enden? Wie das Kennenlernen als Familie organisieren, ohne dass sich das Kindergartenkind ausgeschlossen fühlt? Fünf Schritte, die mir helfen:
1. Die Zeit im Krankenhaus auskosten
Eine Stunde Besuchszeit für den Papa am Tag, sonst nichts – als ich vor Monaten diese strenge Corona-Auflage unseres Wunschkrankenhauses erfuhr, hielt ich das für eine Geburt im August noch für total übertrieben. Corona würde da doch längst kein Thema mehr sein, alle geimpft und die Auflagen weit gelockert. Doch als wir vor wenigen Wochen in den frühen Morgenstunden unseren zweiten Sohn endlich glücklich in die Arme schlossen und ich kurz darauf das Zimmer beziehen durfte, musste mein Mann sich tatsächlich verabschieden. Zur Besuchszeit am Nachmittag dürfe er wiederkommen, sagte die Hebamme freundlich, aber bestimmt.
Auch wenn es schade war: Was für ein Segen im Vergleich zu dem Taubenschlag, von dem mir befreundete Mamas berichteten, von Besuchsorgien der gesamten Verwandtschaft am eigenen und am Nachbarbett. So verbrachten Lenny und ich die ersten beiden Tage allein im Zimmer ausschließlich mit Kuscheln und Kennenlernen. Schnell lernte ich die „All inclusive“-Versorgung mit drei Mahlzeiten am Tag, einer Selbstbedienungstheke mit Müsli, Suppen und Getränken und die Flügelhemdchen und Babykleider des Krankenhauses schätzen, die nach dem Tragen einfach ausgetauscht wurden. Wir wurden liebevollst umsorgt, das Bett frisch überzogen und das Bad geputzt – und ansonsten in Ruhe gelassen.
In diesen ersten Tagen, die ich ganz allein mit meinem Baby für mich hatte, stellte ich nicht nur fest, wie unterschiedlich unsere beiden Söhne sind, sondern auch, wie wichtig dieses erste exklusive Mama-Kind-Bonding ist: Lenny schlief ruhig, trank gut und eifrig und weinte kaum. „Ich bin der erste außerfamiliäre Lenny-Fan“, sagte meine spätere Zimmergenossin kurz, bevor wir entlassen wurden. In ihr habe ich direkt eine neue Freundin gefunden.
2. Blitzbesuch in der Nachbarschaft
Als wir nach Hause kamen, schlief Lenny im Maxi Cosi. Wir nutzten den Moment, ihn einmal kurz den Nachbarn vorzustellen – schließlich hatten alle lange mitgefiebert. Und nun waren auch wir Eltern schon mal ordentlich frisiert und angezogen. Wir wussten ja nicht, wann dies das nächste Mal der Fall sein würde, und so hatten wir das schon einmal „erledigt“. Die Folge: Außer dem Postboten klingelte in den nächsten Tagen niemand.
3. Absagen ohne schlechtes Gewissen
„Hey, wir sind morgen in der Nähe, können wir kurz vorbeischauen?“ – Freunde und Bekannte, die wir teilweise seit Monaten nicht gesehen hatten, bekamen nach Lennys Geburt auf einmal große Sehnsucht. Doch den allermeisten sagte ich ab. Zum einen, weil ich tatsächlich noch viel liegen sollte, zum anderen, ich gestehe, weil ich einfach keine Lust hatte, um eine bestimmte Uhrzeit „besuchsbereit“ zu sein. Denn auch einen Blitzbesuch will ich in halbwegs geordnetem Zustand empfangen. Heißt: Vorher sind wir mindestens eine Stunde damit beschäftigt aufzuräumen, uns und die Kinder anzuziehen und den Dauerbegleiter Wäscheständer aus dem Wohnzimmer zu verfrachten. Danach gilt es, den sauberen Status Quo so lange aufrecht zu erhalten, bis die Gäste ankommen – kein einfaches Unterfangen mit einem Dreijährigen, der am liebsten Zeitschriften in winzigste Teile zerschneidet.
Sagte ich jemandem ab, habe ich mich anfangs immer noch entschuldigt: „Wir brauchen noch ein bisschen Zeit fürs Kennenlernen, ich hoffe, du bist mir nicht böse.“ Inzwischen lasse ich die Entschuldigung weg. Denn eigentlich haben alle es sehr gelassen aufgenommen. Und: Das Wiedersehen wird für alle Beteiligten netter, je besser es allen geht. Und wir entschädigen durch regelmäßige Fotos und Videos via Whatsapp.
4. Exklusivzeit für das Geschwisterkind
„Du wirst nie so viel Zeit allein mit dem Zweitgeborenen haben wie mit dem ersten“, flüsterten mir meine Freundinnen vor der Geburt bedauernd zu. Doch bisher ist das bei uns glücklicherweise anders. Wir befinden uns in der zugegebenermaßen luxuriösen Lage, dass mein Mann Elternzeit hat und unser Großer bis 14 Uhr im Kindergarten ist. Da bleibt viel Zeit zum Kuscheln und Ausruhen, total exklusiv. Eher müssen wir sehen, dass der Große sich genauso beachtet fühlt, wenn er morgens und am Nachmittag bei uns ist. Ich habe festgestellt: Oft reichen schon 20 bis 30 Minuten volle Aufmerksamkeit, um alle unsere Batterien wieder aufzuladen. Das entschleunigt den gesamten Alltag, und ich freue mich immer schon, wenn er wieder aus dem Kindergarten kommt.
5. Gut essen
Der für mich wichtigste Punkt für Stillmamis: Nicht das Essen vergessen oder Mahlzeiten auslassen. Aus der Erfahrung mit Max, der sich nie ablegen ließ, habe ich gelernt – und diverse Nestchen, Wippen und Stubenwagen schon vor Lennys Geburt angeschafft. Und tatsächlich schläft Lenny teilweise zwei Stunden darin. Und falls er pünktlich zum Essen aufwacht, gibt es ja noch vier weitere Arme, die ihn streicheln und wiegen, bis Mama sich wieder in Superwoman verwandelt hat. Kurzum: Die ersten Wochen mit dem zweiten Kind sind bislang wesentlich entspannter verlaufen als die mit dem ersten. Und das hätten wir nie erwartet. Vor allem, weil unser Großer, ein echter Temperamentbolzen, ja weiterhin dabei ist. Tatsächlich wirkt aber auch Max viel entspannter und ausgeglichener, seit Lenny in der Familie ist. Wahrscheinlich hat er uns einfach noch gefehlt.