Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Die Welt auf acht Quadratmetern – Roadtrip mit zwei kleinen Kindern

„Ich glaube, ich habe das Packen verlernt“, sage ich achselzuckend zu meinem Mann. Auf dem Bett vor mir ausgebreitet liegen Blusen, T-Shirts, Badesachen, Sonnencreme, Pflaster und Insektenschutz. Auf dem Fußboden in zwei Stapeln die Sachen der Kinder – kurze Hosen und Schlafsäcke, Windeln, Bodys, Gläschennahrung und Neoprenanzug. „Zur Not suchen wir wieder einen Kinderbasar“, sagt mein Mann liebevoll und nimmt mich in den Arm. „Uns fällt doch immer was ein.“

Zwei Jahre Corona-Pandemie, in denen wir fast nie verreist sind, liegen fast auf den Tag genau hinter uns, sechs Wochen gemeinsame Reise in den Süden liegen vor uns. Wir, das sind zwei Erwachsene in Elternzeit, ein Kleinkind mit knapp vier Jahren und ein Baby mit acht Monaten. Seit unserer ersten gemeinsamen Elternzeit in Australien 2019 träumen wir davon, so ein Erlebnis zu wiederholen.

Am Strand in Ligurien
Am Strand in Ligurien

Wir wollen das Abenteuer Roadtrip noch einmal wagen, nicht ganz so weit weg, nicht ganz so außergewöhnlich. Kinder- und coronatauglich, das ist die Devise. Mit dem Auto nach Italien – doch auch die Bedenken fahren mit. Was, wenn es aufgebrochen wird, uns einer reinfährt oder wir nicht alles in den Kofferraum bekommen? Nie zuvor habe ich mit Packlisten gearbeitet, doch diesmal müssen wir uns den Stauraum gut einteilen. Wir müssen unser Doppelhaus auf die Fläche eines SUV zusammendampfen, unsere Welt auf acht Quadratmeter. Der kleine Sohn braucht einen Buggy, der große seinen Roller. Der kleine braucht Windeln, der große gerade nicht mehr – dafür mehr Hosen als wir anderen zusammen. Der kleine braucht Gläschen und Pürierstab für Selbstgekochtes, der große ein Köfferchen mit Lego, Büchern und Malstiften. Und wir Erwachsenen? Wir brauchen nichts – abgesehen von ein paar Klamotten und den Kopfhörern für unsere Handys. Nach vielen gemeinsamen Reisen in die ganze Welt, sieben Jahren Fernbeziehung und knapp vier Jahren Elternschaft haben wir längst gelernt zu improvisieren.

Und so fahren wir los – ohne feste Reiseroute, ohne vorgebuchte Unterkünfte und ohne festes Rückkehrdatum. Über Bozen nach Ancona, dann übersetzen nach Korfu, das ist der anfängliche Reiseplan, doch schon bei der Fährbuchung bekommen wir Beklemmungen. Zu einem festen Termin in Ancona zu sein, nachdem wir zuvor auf eine große Hochzeit eingeladen sind? Was ist, wenn wir uns mit Corona anstecken und zwei Wochen in Isolation müssen? Zwanzig Stunden Fährfahrt – wird das cool oder die Hölle? Lieber erst mal starten und dann schauen, wie es läuft, entscheiden wir.

München-Bozen-Hochzeit-Skitag-Padua. Wir sind erst eine Woche unterwegs, und schon zeigt der Vierjährige große Erschöpfungsanzeichen. „Wann fahren wir wieder nach Hause?“, fragt er jeden Tag. Er vermisst seine Freunde, seinen Kindergarten. Als er abends ins Bett soll, bekommt er einen Wutanfall wie schon lange nicht mehr. Ich google „Was tun gegen Heimweh?“. Empfehlung: Stürzen Sie sich hinein in den Urlaub! Wir entscheiden uns für ein Ehegatten-Splitting: Mein Mann fährt mit unserem kleinen Sohn einen Tag nach Venedig, Max und ich machen einen Mama-Sohn-Tag in Padua. Wir starten mit Törtchen in der Pasticceria um die Ecke, gehen auf den Spielplatz und fahren mit dem Bus. Kinderprogramm – und alle sind happy.

Doch mein Mann und ich merken, dass wir unser Reisetempo drosseln und bessere Routinen finden müssen. Wann sind gute Reisezeiten, wann sind die Kinder fit für Unternehmungen, wann brauchen sie Zeit zum Ausruhen und Ankommen, wann wollen sie einfach nur vor sich hin spielen? Wie müssen die Koffer am Abreisetag gepackt werden? Was gehört ins Handgepäck? Und: Was erwarten wir voneinander?

Ein Roadtrip ist eine existenzielle Erfahrung, auch wenn es „nur“ Italien ist. Immer weiter, packen, auspacken. Wo sind die Nachtlichter, das Müsli, der Schlafsack? Wir müssen immer wieder neue Unterkünfte suchen, tragen die Kinder schlafend in fremde Betten. Wem wird schlecht in den Serpentinen? Wer braucht wann etwas zu essen? Der Alltag ist kondensiert auf die Kernfamilie. Es gibt keine Ablenkungen, Verpflichtungen, Beschäftigungen oder ausreichend Platz, um sich aus dem Weg zu gehen. Es ist ein Spagat daraus, zumindest auf ein paar Eventualitäten vorbereitet zu sein (so brauchen wir Winterjacke und Stiefel ebenso wie Badehose und Neopren) und loszulassen. Wir improvisieren und trocknen Wäsche auf Kleiderbügeln, die wir an den Schrankgriffen der Küche aufhängen, weil es keinen Wäscheständer gibt. Kaufen Sekundenkleber, um das abgebrochene Bein des Spielzeugdinosauriers zu reparieren und schienen es mit einem Pflaster. Wickeln das Baby auf der Kofferraumabdeckung unseres Autos in der Tiefgarage des Supermarkts und bauen nachmittagelang mit dem Großen Lego im Café. Wir suchen Buch- und Bastelläden und kaufen neue Schuhe, als der Große aus seinen hinauswächst.

Wir tragen, trösten und tanzen, wir schlemmen, schlendern und staunen. Wir streiten – und wir strahlen.

Wir genießen unvergessliche Stunden am Strand, der Kleine greift in den puderweichen Sand, der Große juchzt vor Freude in den eiskalten Wellen. Wir picknicken am Pool, springen Trampolin und fahren mit einer Zahnradbahn. Wir wandern durch die Cinque Terre und pflücken Orangen vom Baum. Wir spüren, wie die Landschaft sich während unserer Autofahrten verändert, wie der Frühling aufbricht und die Häuser in ein warmgoldenes Licht taucht. Wir erleben die Kinderliebe der Italiener, die noch im engsten Toilettenhäuschen in Begeisterung über unser Kinder ausbrechen, ihnen im Supermarkt über die Haare streicheln und ihnen Bonbons schenken. Eine Liebe und Zuneigung, die uns den Rücken stärkt und sich auf die Kinder überträgt. Wie selbstverständlich gehen wir alle zusammen in Restaurants und Cafés, auf Märkte, in Kirchen („hier ist es aber gruselig“) und lernen durch Kinderaugen einen ganz neuen Blick auf das Land kennen, von dem wir glaubten, es schon so gut zu kennen.

Wie lieb die italienischen Kinder unseren Sohn in ihre Spiele aufnehmen, obwohl sie einander nicht verstehen. Wie abwechslungsreich die Spielplätze gestaltet sind und wie vielfältig die Natur, die die Städte verbindet. Wie gut es tut, sich treiben und die Kinder einfach spielen zu lassen. In jeder Unterkunft Neues zu entdecken und zufällig an den schönsten Orten zu landen, wie in den Hügeln von Florenz mit Blick auf den Dom oder auf den Weingütern der Toskana.

Wir verwerfen unsere Korfu-Pläne und fahren ans Meer. Das Wetter ist traumhaft, ein Blick in die Wetter-App bestätigt uns, dass wir genau am richtigen Ort sind. Wir kaufen Muscheln auf den Märkten und kochen sie abends auf dem Gasherd. Wir backen Pizza im Holzofen, die erst fertig ist, als die Sonne untergeht. Wir liegen im warmen Sand und blinzeln in die Sonne, während der Kleine über uns hinwegkrabbelt, dem Großen nach. Wir lesen keine Seite in unseren Büchern und fluten unsere Köpfe doch mit Neuem.

Als unsere Route langsam wieder gen Norden führt, sind wir melancholisch. Unsere Reise ist zu einem Zustand geworden, den wir gerne noch weiter beibehalten hätten. „Wir können es ja doch noch“, sage ich beim letzten Glas Rotwein am Abend vor der letzten Etappe zu meinem Mann. Acht Unterkünfte, sechs Wochen und 3126 Kilometer liegen hinter uns, als wir Anfang Mai wieder in unseren Garagenhof einfahren. Der Sommer in Deutschland liegt vor uns. Das nächste Abenteuer wartet schon.