Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Plötzlich alleinerziehend – zwei Wochen im Juni

Das Baby auf dem Arm, dirigiere ich den Großen ins Badezimmer. „Komm, Hände waschen, Gesicht waschen, dann helfe ich dir beim Zähneputzen.“ Da klingelt in der Küche der Wecker, und schon ist er mir wieder entwischt. „Finger weg vom Ofen“, rufe ich ihm schnell nach, bevor ich auch zu rennen anfange, so schnell wie man mit einem Baby auf dem Arm eben rennen kann. Ich stolpere fast über den Korb gewaschener Handtücher, schlängle mich am Wäscheständer vorbei, am Matchbox-Autostau und den Büchern, die der Kleine vorhin energisch aus dem Bücherregal geräumt hat. Noch bevor ich in der Küche ankomme, erhasche ich einen Blick auf mich im Spiegel. Ich habe noch meinen Schlafanzug an, die Haare aus dem Gesicht gebunden, damit keine Babyhand daran reißt. Ich habe rote Wangen und sehe etwas angespannt aus. „Mama, bist du stinksauer?“, fragt der Große mit aufgerissenen Augen, als ich ihn vor dem Ofen erwische, wo er artig und mit gebührendem Abstand darauf wartet, dass ich die Aufbackbrezeln heraushole. „Nein, mein Schatz“, sage ich und knie mich runter zu ihm, was dem Baby nun gar nicht gefällt. „Ich bin einfach ein bisschen angestrengt, weil ich mich seit Tagen allein um euch kümmern muss.“ Mit dem nächsten Satz mache ich vor allem mir selbst Mut: „Bald ist der Papa wieder gesund und kann mit anpacken.“

Die Arbeit wird nicht weniger, wenn Eltern sie sich auf einmal nicht mehr teilen können.
Die Arbeit wird nicht weniger, wenn Eltern sie sich auf einmal nicht mehr teilen können.

Mein Mann hat Corona, wie so viele gerade in Deutschland. Er hat sich auf einem Musikfestival angesteckt, dem ersten Event seit zwei Jahren, das er besucht hat. Schon beim ersten Halskratzen haben wir uns „separiert“, wie man im Corona-Sprech so schön sagt, damit zumindest die Kinder und ich gesund bleiben. Heißt: Wir haben unser Haus in zwei Hälften geteilt. Das oberste Stockwerk mit Badezimmer wurde zu seinem Refugium, Keller, Erdgeschoss und erster Stock gehören mir und den beiden Jungs. Max ist knapp vier, Lenny knapp ein Jahr alt. Ein Alter, in dem Mamas acht Arme gebrauchen könnten. Zwei zum Tragen, Kitzeln und Welt Zeigen, zwei zum Spielen und Aufpassen, damit das Kind den heißen Ofen nicht anfasst oder irgendwo herunterfällt, zwei zum Kochen, Tisch Auf- und Abdecken und Spülen, und dann noch zwei zum Aufräumen, Ordnung Machen und Wäsche Waschen.

Doch statt acht Armen habe ich knapp zwei Wochen lang nur meine beiden Arme, während mein Mann sich durch Fiebernächte, Hustenattacken und bleierne Müdigkeit kämpft – und vor allem versucht, seine Viren bei sich zu behalten. Er tut zwar aus dem Off, was seine Kräfte und der Abstand zu uns ermöglichen, schaltet eine Waschmaschine an oder kocht ein Mittagessen. Und dennoch bekomme ich in diesen zwei Wochen einen Eindruck davon, wie herausfordernd der Alltag für Alleinerziehende sein muss. Wenn man nicht nur die Tage, sondern auch alle Nächte alleine bestreiten muss. Alle. Ausnahmslos. Wenn man sich nicht mit den Frühschichten abwechseln kann, sondern in jedem Fall mit dem ersten Kind aufstehen muss, damit das andere noch ein paar Minuten weiterschlafen kann. Wenn das große Kind im Schlafanzug mit auf den Morgenspaziergang mit dem Kleinen mit muss, damit der kurz nach dem Frühstück noch mal eine Runde schlafen kann. Wenn der Kleine mit großen Augen mitschaut, wenn der Große am Nachmittag eine Runde fernsehen darf, während ich die Küche aufräume. Wenn ich einhändig Lego baue, weil das zahnende Baby sich nicht eine Minute absetzen lässt.

Zudem die Unvorhersehbarkeiten im Alltag mit Kindern: Max pieselt nachts in sein Bett, Lenny muss sich vom Grießbrei übergeben. Max träumt schlecht und kommt zu mir ins Bett, Lenny wacht davon auf und kann nicht mehr einschlafen. Es ist drei Uhr früh.

Lenny muss mit der Kita-Eingewöhnung pausieren, um die anderen Kinder nicht zu gefährden, Max hat zwar kein Corona aber eine Erkältung und ist ebenfalls zu Hause. Ich merke schnell, dass ich andere Routinen brauche, um den Alltag mit den beiden Kindern zu Hause allein zu schaffen. Ich zwinge mich dazu, alle Dinge immer an den gleichen Platz zu legen, um keine Zeit mit Suchen zu verschwenden und google im Internet nach besseren Aufräum- und Ordnungsstrategien. Ich nehme den Kleinen beim Kochen in die Trage, um die Hände frei zu haben, und verwickele den Großen in Aufräumspiele, bevor wir Pudding kochen oder im Keller nach anderen Spielsachen schauen.

An den Abenden, wenn beide Kinder schlafen, gieße ich erst die Tomaten im Garten und suche die Spielzeuge aus den Büschen zusammen, dann fülle ich Kaffeepulver in die Maschine, sodass ich am Morgen nur das Knöpfchen zu drücken hätte und richte drei Frühstückschalen her. Haferbrei für Lenny, Müsli für Max, Müsli für mich. Nur noch Milch oder heißes Wasser zufügen, 15 Minuten gespart. Die Struktur des Alltags, meine ganz persönliche Ordnung werden mein Rettungsanker in diesen verrückten Tagen. Ich bereite vor und bereite nach. Ich lege frische Kleidung und Wechselkleider für die Kinder heraus und werde pedantisch und aggressiv, wenn etwas an einem anderen Ort liegt, als ich erwartete.

Ich werde liebevoller und zugewandter meinen Kindern gegenüber, um das Papa-Vermissen zu kompensieren, aber auch konsequenter und härter gegen mich selbst. Während sich unser Umfeld fernhält, bilde ich mir ein, durch größtmögliche Sauberkeit eine Infektion verhindern zu können. Ich wische, putze, sauge, stelle Max den Mop auf Kindergröße ein und mache ein Spiel daraus. Wir putzen und polieren zusammen die Terrassenfenster und reinigen das Badezimmer. Ich sortiere die Putzlappen nach Farben, lila für den Tisch, gelb für das Waschbecken, grün fürs Badezimmer. Ich sprühe, desinfiziere und wienere. Zum Telefonieren habe ich keine Zeit und auch keine Lust.

Allein für die Kinder da zu sein, keine Großeltern, Freunde, Kindergarten oder Nachbarn, fordert mich. Ich atme mich durch Maxens Wutanfälle und kontrolliere vor dem Schlafengehen die Temperatur in seinem Zimmer und ob er gut und sicher in seinem Schlafsack schläft. Ich koche mit ihm Erdbeermarmelade, als seine Kitagruppe eine „Erdbeerwoche“ veranstaltet, und fahre mit ihm zu einem abgelegenen Spielplatz, auf dem er ungestört toben kann. Ich bin streitlustig und gerate mit meinem Mann aneinander. Abends im Bett fühle ich mich allein.

Ich merke, dass meine beiden Arme sehr stark sind, und dass vieles einfacher ist, wenn man sich ganz auf die Kinder einlässt und klare Ansagen macht, ohne die ein Überleben unmöglich scheint. Doch ich merke auch, dass ich so nicht dauerhaft leben möchte. Ich genieße unseren normalen Alltagstrubel, dass mein Mann Dinge anders macht als ich und wir uns Kindererziehung, Arbeit und Hausarbeit weitgehend gleichberechtigt aufteilen. Nie hätte ich gedacht, dass auch wir teilweise eine sehr klassische Rollenverteilung leben. Bis der Klee in unserem Rasen in voller Blüte steht und es von Bienen nur so wimmelt. Ich mag Bienen, aber noch lieber mag ich unversehrte Kinderfüße. Zwei Tage sehe ich mir das bunte Treiben auf unserer natürlichen Bienenwiese an, dann bitte ich meinen Mann, mir den Rasenmäher aufzubauen. Ich habe tatsächlich noch nie in meinem Leben mit einem elektrischen Rasenmäher gemäht. Bei meinen Eltern hatten wir einen antik anmutenden manuellen, ein martialisches Stück, das nur mein Vater bedienen durfte. Zogen wir Kinder uns Schuhe an, durften wir uns oben draufstellen, damit der Rasen ein wenig kürzer gemäht wurde. Bei uns ist es jetzt immer gemeinsames Vergnügen für meinen Mann und Max, gemeinsam den Rasen zu mähen – in normalen Zeiten. Um es kurz zu machen: Ich habe auch das geschafft. Eine gute B-Note hätte ich wohl nicht dafür bekommen, aber sei‘s drum. Ich habe Wasserkästen getragen und die Altpapiertonne auf die Straße gezerrt. Hatte ich anfangs richtig Angst vor dieser Zeit, bin ich rückblickend stolz auf uns alle vier. Nach 10 Tagen ist mein Mann endlich negativ. In die Arme fallen wir uns lieber noch nicht. Aber er macht uns beiden erst mal einen Kaffee und richtet mir dann ein wundervolles Frühstück. Ich darf einfach sitzenbleiben und mich bedienen lassen.