„Guck mal, was ich Tolles gefunden habe!“ Unsere Tochter Frida hat ein erstaunliches Talent entwickelt. Die bald Achtjährige ist unschlagbar darin, lange verschollene Dinge – meist Spielsachen – wieder aufzuspüren und uns diese lang verschollenen Dinge dann mit großem Enthusiasmus zu präsentieren. Dieses Mal war es ein hölzerner Spielkreisel, den sie in irgendeiner Kiste im Keller gefunden hatte und mir erwartungsvoll vor die Nase hielt. „Toll“, sagte ich und betrachtete das kleine Ding, das unsere Tochter prompt auf dem Boden rotieren ließ, ratlos. Ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, das blaue Teil jemals gesehen, geschweige denn, vermisst zu haben. Aber das mag an meiner väterlichen Ignoranz liegen.
Woran ich mich aber genau erinnere: dass jener wunderbare, kleine, blaue Kreisel keine fünf Minuten später achtlos neben unserem Esstisch lag. Ich wäre beinahe draufgetreten. Unsere Tochter hörte ich oben in ihrem Zimmer vor sich hin summen. Aus den Augen, aus dem Sinn. So läuft das leider fast immer. Sie findet etwas, begeistert sich dafür und verliert kurz darauf das Interesse. So ein bisschen wie ein Energieschub aus Zucker, der ja auch ruckzuck in sich zusammenfällt.
Ihr zwei Jahre älterer Bruder Theo steht ihr in nichts nach. Nur ist er nicht auf Spielsachen spezialisiert, sondern ein Allround-Talent: Er lässt einfach alles liegen. Und das macht vor allem mich wahnsinnig. Die meisten Eltern kennen das. Alles landet irgendwann im Meer, heißt es ja. Bei uns ist das Meer das Wohnzimmer. Wie viel Energie meine Frau und ich schon aufgebracht haben! Wie oft wir uns mit den Kindern auseinandergesetzt, Dinge immer wieder erklärt und Aufgaben verteilt haben! Ein bisschen ist das so wie Heizen mit offenem Fenster. Oft haben wir resigniert und schließlich selber aufgeräumt, weil wir das Chaos nicht ertragen konnten. Die Aufwand-Ertrag-Rechnung ist ernüchternd, geändert hat sich wenig.
Letztlich ist es wie immer: Der Weg zum Ziel führt über Schmerzen (keine körperlichen wohlgemerkt) und Entbehrung, über Bestechung und Erpressung. Wenn du deine Bude nicht aufräumst, darfst du nicht Fernsehen. Wenn du deine Klamotten nicht in den Schrank räumst und die schmutzigen nicht in den Wäschekorb wirfst, statt sie akribisch in deinem Zimmer zu verteilen, kürze ich deine Handyzeit. Meiner Frau und mir macht es keinen Spaß, in diese Rolle zu schlüpfen.
Letztlich ist es ja auch immer die Frage des längeren Atems. Auf der Treppe zu unseren Schlafzimmern stehen vier Körbe, einer für jedes Familienmitglied. Da drin landet alles, was sich am Tag unten im Erdgeschoss ansammelt und dort nicht hingehört: Socken, Klamotten, Fußballkarten, Bücher, Basteleien aus der Schule, Fotoalben und blaue Kreisel. Die Ursprungsidee war, diese Körbe täglich vor dem Zubettgehen zu leeren. Das haben wir nicht durchgehalten. Inzwischen leeren meine Frau und ich sie, wenn sie überquellen und das Betreten der Treppe eine ernste Gefahr darstellt. Bestenfalls stellen wir sie unseren Kindern kommentarlos ins Zimmer. Was bei unserer Tochter schon zu tränenreicher Empörung geführt hat. Inzwischen hält sie ihr Zimmer nämlich akribisch sauber. Ich will nicht behaupten, dass man hier Operationen am offenen Herzen durchführen könnte, aber es ist schon ziemlich piccobello aufgeräumt. Alle Dinge, die sich nicht mehr haben will, werden kommentarlos auf den Flur geräumt. Da standen schonmal Puppenkisten, Kaufmannsläden und ganze Möbel. Das stört sie auch nicht weiter, der Flur ist ja nicht ihr Reich. Sollen wir uns doch kümmern. Ich finde Fridas Verhalten auf eine Weise sehr charmant, bezweifele aber, dass es ausreicht, wenn Fridas Ordnungssinn an ihrer Kinderzimmertür endet.
Wo wir uns inzwischen auf einem guten Weg sehen, ist am Küchentisch. Die Kinder räumen ihre Keller, Gläser und Müslischalen mittlerweile selber und weitestgehend ohne Aufforderung ab. Das haben wir durch Beharrlichkeit, Strenge und Konsequenz geschafft.
Neulich hat meine Frau die nächste Stufe gezündet. Es war nach einem gemeinsamen Mittagessen, wir waren beide im Homeoffice. Unser Sohn lief routiniert mit seinem Teller in die Küche und wollte ihn an der Spüle abstellen, als meine Frau rief: „Stopp, Theo. Wir machen jetzt Teller abräumen advanced.“ Mein Lachen ignorierte sie. Offenbar war ihr bewusst, dass sie gerade mit unserem Fünftklässler wie mit einem Arbeitskollegen gesprochen hatte. Theo sah sie grinsend an: „Was willst du, Mama?“ „Wir machen jetzt Teller aufräumen advanced“, wiederholte sie. „Das bedeutet ‚für Fortgeschrittene‘. Wir stellen den Teller künftig nicht einfach nur an der Spüle ab, sondern räumen ihn in die Spülmaschine.“
Das ist jetzt gut drei Wochen her. Es funktioniert zufriedenstellend. Es ist mit der Ordnung im Grunde wie mit allem: Man muss einfach dranbleiben. Konsequenz und Beharrlichkeit zahlen sich irgendwann aus. Hoffe ich zumindest.
Am Wochenende wollte Theo sein Geschirr in den Spüler räumen. Allerdings war die Maschine gerade erst fertiggeworden. „Das Geschirr ist sauber, ich muss den Spüler noch ausräumen. Stell deinen Teller einfach neben die Spüle.“ „Okay.“ Fünf Minuten lief Frida in die Küche und wollte ihren Teller auch abstellen. Inzwischen hatte ich die Maschine aber ausgeräumt. „Advanced“, rief ich. Frida sah mich an, seufzte schwer aber räumte den Teller ein. Der nächste Schritt wird sein, dass sie die Maschine ausräumen. Wir bleiben jetzt dran.