Bevor einer meckert: Der Reim „Candy“ auf „Handy“ ist geklaut. Die österreichische Popband Bilderbuch singt in ihrem Jahrhunderthit „Bungalow“. Er geht so:
„Dann rufst du an auf meinem Handy,
Und dann bist du wieder candy“
Der Song ist seit Jahren fester Bestandteil unserer Urlaubs-Playlist. Unsere Kinder singen die Zeilen immer laut und begeistert mit. Es gibt weitere Musiker, Künstler und Autoren, die sich dieses Reims bedient haben. Ich gehöre dazu.
Unser Sohn Theo (in wenigen Wochen zehn Jahre alt) gehört seit kurzem auch dazu. Und zwar zu den Kindern, die ein eigenes Mobiltelefon besitzen. Seit Mitte September besucht er ein Gymnasium, eine weiterführende Schule. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein: Kinder, die in die fünfte Klasse kommen, kriegen ein Handy. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber das sind wenige. Dabei sind Marke und Zustand des Telefons absolut zweitrangig. Wichtig ist zuallererst, dass kind mobil ist.
„Sonst wird er ausgeschlossen“, hörten meine Frau und ich, als wir uns im Sommer informierten, wie Freunde die Sache mit dem Handy handhaben. „Er kriegt dann viele Dinge nicht mit“, sagten andere. Wir hatten unsere Bedenken und wollten uns dem allgemeinen Druck nicht einfach so ergeben, ohne vorher zumindest ein paar Fragen abgeklopft zu haben.
Schließlich war unser Sohn bisher ziemlich gut ohne Handy durchs Leben gekommen. „So lernt er schon früh, mit Technik umzugehen und smarte Devices zu benutzen“, brachte ein alter Freund ein weiteres Argument und fügte breit grinsend hinzu: „Vielleicht kann er seinem technisch überschaubar talentierten Vater ja den Umgang mit hilfreichen Apps erklären.“
Um es kurz zu machen: Ein langer Entscheidungsprozess war es letztlich nicht. Im engsten Freundeskreis wäre Theo der einzige ohne Smartphone gewesen. Also bekam er eins.
In den ersten ein, zwei Wochen bestätigten sich unsere Vermutungen. Er legte das Ding nicht aus der Hand. Stattdessen chattete er mit seinen KlassenkameradInnen, einzeln und in Gruppen. Schnell hatten sie raus, wie man Chat-Gruppen auf den entsprechenden Apps erstellt. Zeitweise gab es vier unterschiedliche Gruppen, in denen mehr oder weniger alle Schüler seiner Klasse waren. Jeder musste halt ausprobieren, wie man so eine Gruppe zusammenstellt. Finde ich zwar anstrengend, aber durchaus nützlich.
Wofür ich nach wie vor kein Verständnis habe, ist die Frequenz, in der manche Kinder Nachrichten verschicken. Theo spielt Fußball und ich bin sein Trainer. Als wir einmal nach anderthalb Stunden wieder zuhause waren, hatte er über 250 neue Nachrichten – in einem Chat! 250 neue Nachrichten in 90 Minuten – irre, dachte ich. „Das ist völlig normal“, beruhigte mich meine Schwester, als ich ihr aufgeregt davon erzählte. Sie hat zwei Söhne, beide älter als Theo. Beide hatten seit der fünften Klasse ein Smartphone. „Das mit den Nachrichten gibt sich, das wird weniger.“ Sie sollte recht haben.
Eine Erfahrung hätte sich Theo sparen können. Er schrieb einem Mädchen, dass er sie ganz toll findet. Leider nicht persönlich, sondern in einem der Klassenchats. Als ich ihn fragte, ob das so eine gute Idee sei, gleich allen zu erzählen, dass er sie mag, antwortete er: „Wieso? Es hätten doch eh alle mitbekommen.“ Der Shitstorm (das Shitstörmchen) war wie die meisten Social-Media-Shitstorms nach ein, zwei Tagen vorbei. Theo ertrug ihn tapfer.
Mit der Zeit hat er das Interesse an den Klassenchats verloren. Nicht wegen der Sache mit dem Mädchen, die sich sicher nicht wiederholen wird, sondern weil es ganz einfach langweilig wird. Übrigens nicht nur ihm, wie ich neulich an beim Elternstammtisch erfuhr: „Meine Tochter guckt da gar nicht mehre rein“, sagte mir eine Mutter. Zwei andere nickten zustimmend. Kein Wunder, denn meistens ist es die gleiche Handvoll Schüler, die vor allem Tier-GIFs und Emojis verschickt. Viel mehr kommt dann nicht. Ich frage mich allerdings, warum andere Eltern ihren Kindern dabei weitestgehend freie Hand lassen.
Das bringt uns zum nächsten Punkt, dem Zocken. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Theo, wenn er dürfte, solange mit dem Handy daddeln würde, bis ihm vor Müdigkeit die Augen zufallen. Das wird aber nicht passieren. Wir haben seine Spielzeit inzwischen stark limitiert. Maximal eine Stunde am Tag darf er zocken. Am Wochenende etwas länger. Die Spiele schauen wir uns erst genau an, bevor wir sie herunterladen. Das hat sich inzwischen ganz gut eingepegelt.
Er benutzt sein Smartphone außerdem zum Musikhören, für Hörbücher, aber auch für Lern-Apps wie etwa Anton und die Schulcloud, in der die Fachlehrer mit den Schülern kommunizieren.
Für ein Fazit ist es zu früh. Als Zwischenbilanz halte ich fest, dass das Smartphone als Kommunikationsgerät sinnvoll ist. Vieles wird einfacher, etwa Absprachen mit uns Eltern. Für die Kinder ist das Handy aber vor allem Entertainment. Hier sollten Eltern Regeln aufstellen und konsequent bleiben, sonst läuft es aus dem Ruder.
Letztlich ist ein Smartphone aber vor allem das, was Bilderbuch mit ihrem zweiten Jahrhundertsong besingen, eine „Maschin“. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Wenn wir Kindern klarmachen, dass kein Gerät Beziehungen und Erlebnisse mit anderen Menschen ersetzen kann, dass sich kein neues Level in einem Daddelspiel so anfühlt wie ein Tor beim Fußball oder Nachmittag mit einem Freund, ist alles in Ordnung.