Die Initiative „Angriff auf die Seele“ des Hauptfeldwebels Frank Eggen, dessen sehr löblicher Privatinitiative die erste Internet-Anlaufstation für im Einsatz traumatisierte Soldaten zu verdanken war, hat gestern abend zu einer Filmvorführung mit anschließender Podiumsdiskussion gebeten. Eggen hat die Veranstaltung gemeinsam mit dem Verein „Irrsinnig Menschlich“ ausgerichtet, der durch Öffentlichkeitsarbeit mehr Akzeptanz für psychische Erkrankungen erreichen will. Ein lohnender Abend, so viel sei vorausgeschickt (wenn die Luft im Kleisthaus in der Berliner Mauerstraße am Ende auch ziemlich stickig war), der zur Auseinandersetzung reizt. Vorerst mit dem Film, auf die Diskussionsrunde ist bei nächster Gelegenheit einzugehen.
Gezeigt wurde der Spielfilm „Nacht vor Augen“ von Brigitte Maria Bertele aus dem Jahr 2008. Ein bedrückender Film über einen aus Afghanistan heimgekehrten jungen Mann, der offenkundig schwer traumatisiert ist, die Freundin zurückweist, seine alten Spezis vor den Kopf stößt, sich abkapselt. Sein sprechender Name: David Kleinschmidt. Der einzige, der die Schale allmählich knacken kann, ist sein achtjähriger Halbbruder Benny, dem er beibringen soll, wie man sich auf dem Fußballplatz und auch sonst robust durchsetzt. Doch entwickelt sich die Beziehung zu dem Kind in einem fürchterlichem Wechselspiel zwischen Psychodruck (der zarte Benny muss sein Kaninchen mit einem Stein erschlagen) und Zuneigung. Allmählich kommt heraus, was in Afghanistan passiert ist: David ist ausgerastet, als ein kleiner Junge ihn mit Steinen beworfen hat, und hat den Knaben erschossen. Seine Beziehung zu Benny bleibt ambivalent auch am ansonsten etwas schwachen Ende, als David nach erfolgter Psychotherapie heimkehrt: Die vorher düstere Wohnung ist lichtdurchflutet, und der großgewordene Benny hat es – dank Davids Psychospielchen? – zum Mittelstürmer gebracht.
Ein interessanter Film also über diese Beziehung zwischen großem David und kleinem Benjamin. Aber weil er ja in einer Veranstaltung unter dem Motto „Auslandseinsätze der Bundeswehr: Wie SoldatInnen und Angehörige damit umgehen“ gezeigt wurde, ist hier über diesen Aspekt zu reden. Und in der Darstellung der Bundeswehr ist der Film geradezu diffamierend – kein Vergleich mit dem auch nicht unkritischen Fernsehfilm „Willkommen zu Hause“, der im Frühjahr im Ersten ausgestrahlt wurde.
Hier ist der Vorgesetzte ein fetter Hauptfeldwebel, mit grotesk über den Kopf gestülptem Barett sich hinter den Schreibtisch fläzend. Er klatscht David einen Zettel zum Unterschreiben hin, wonach der Zwischenfall mit dem afghanischen Jungen vertuscht und David für eine erfundene Heldentat mit einem Orden behängt werden soll (witzigerweise das Ehrenkreuz in Silber, das man sich in zehn Jahren ersitzen kann). Diese Ungeheuerlichkeit, ein Klassiker des Polit-Thrillers, kommt aber ganz beiläufig daher und spielt am Ende gar keine Rolle mehr. David aber gibt gleichsam als Lehre aus seinem Einsatz zu verstehen, es sei doch befriedigend, wenn man einen abknallen kann, der einem lästig ist. Merke: Soldaten sind Mörder, und bei der Bundeswehr wirst du zu einem gemacht. Dann die Fürsorge: Barsch wird David auf die Möglichkeit einer Therapie hingewiesen, die er natürlich ablehnt. Irgendwann platzt die von der Bundeswehr geschickte Psychologin, hauteng bekleidet, aber mit abweisender Brille, ins Candle-Light-Dinner, damit die Versöhnung Davids mit seiner Freundin torpedierend. Einfühlsam sagt die Psychologin sinngemäß: Machen Sie uns nichts vor, wir wissen, dass Sie Bettnässer sind. Merke: Wenn du von uns gehst, wissen wir alles über dich. Und so geht es immer weiter, bis David von der Polizei überwältigt und in Handschellen zur Annahme der Therapie bewogen wird, aus der er dann wie nach dem Kochwaschgang – siehe oben – geläutert wieder herauskommt (wahlweise Assoziation: Rückkehr aus dem Gefängnis).
An diesen Drehbuchschwächen leidet der Film insgesamt. Aber wir reiten hier nicht darauf herum, um unseren Filmkritikseiten Konkurrenz zu machen. Sondern Regisseurin und die Veranstalterin von „Irrsinnig Menschlich“ gaben zu verstehen, dass „Nacht vor Augen“ jungen Menschen gezeigt werde oder werden solle, um zu zeigen, wie es wirklich ist bei der Bundeswehr und ihren Einsätzen. Und da fragt man sich, ob hinter der diffamierenden Darstellung mehr als nur die Suche nach einer geeigneten Folie für das Beziehungsdrama steckt.
David erhält im Film nicht...
David erhält im Film nicht das Ehrenkreuz, sondern die Einsatzmedaille in Silber (die Szene ist in der Besprechung von DW-TV: KINO zu sehen:
https://www.filmportal-service.de/dw_24102008_nacht_vor_augen.html ). Das macht es aber auch nicht viel besser, denn auch diese Auszeichnung vergibt die Bundeswehr nicht für Heldentaten, sondern für 360 Tage im Einsatzgebiet. Der Film ist eine Hochschul-Abschlussarbeit mit geringem Budget. Drehbuchautorin und Regisseurin kennen die Bundeswehr bestimmt nicht von innen, der Darsteller des Hauptfeldwebels als Schweizer auch nicht. Ich würde daher die im Sicherheitsmetier berufsbedingte Paranoia einmal stecken lassen und auf Ahnungslosigkeit bzw. künstlerische Freiheit plädieren. Es geht weniger um die Bundeswehr als um die Tatsache, dass David die angebotenen Hilfestellungen verweigert. Auch die angebliche Heldentat erfinden die Vorgesetzten ja nur, weil David der Angelegenheit nicht weiter nachgehen wollte.