Dem traurigen Kapitel „Friedensbetrieb behindert Kampfeinsatz“ ist ein weiterer Absatz hinzugefügt worden, heute zuerst durch den Kollegen Peter Blechschmidt von der Süddeutschen Zeitung. Es geht um die Sanitätsausbildung für die Soldaten, die nach Afghanistan entsandt werden. Wir haben den Sachverhalt in der F.A.Z. so zusammengefasst:
Aus der FDP wird Kritik an der Sanitätsausbildung für in Afghanistan eingesetzte Soldaten der Bundeswehr laut. Die Kritik bezieht sich darauf, dass offenbar wegen rechtlicher Bedenken darauf verzichtet wurde, Einheiten, die in den Einsatz geschickt wurden, durchgehend eine vertiefte, gefechtsbezogene Sanitätsausbildung zu geben. Diese Ausbildung, die Fallschirmjäger und Spezialkräfte erhalten, aber andere Kampftruppen nicht durchgehend, soll eine Erstversorgung von Verwundeten auch mit Maßnahmen wie Infusion oder Intubation ermöglichen, bis Sanitäter dazukommen können. Solche Maßnahmen sind in Deutschland Ärzten vorbehalten und dürfen nicht von Rettungsassistenten angewendet werden. Im Afghanistan-Einsatz hat sich aber gezeigt, dass Aufständische auch Sanitäter beschießen. Es kann also dauern, bis der Arzt zu einem Verletzten vordringt, auch wenn Patrouillen von Arzttrupps begleitet werden. Aus einem Briefwechsel des Bundestagsabgeordneten Stinner (FDP) mit dem Inspekteur des Heeres, General Budde, und mit Verteidigungsminister Jung (CDU) im Juli dieses Jahres gehen die Rechtsbedenken hervor. Jung schrieb im Juli an Stinner: „Die Qualifizierung zum EH-B (Einsatz-Ersthelfer B; d.Red.) soll ausgewähltes und eindeutig definiertes Nicht-Sanitätspersonal in die Lage versetzen, lebensrettende Sofortmaßnahmen einschließlich solcher Maßnahmen, die in Deutschland Ärzten vorbehalten sind, so zu beherrschen, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit von verwundeten Soldatinnen und Soldaten deutlich erhöht wird.“ Es ergebe sich aber ein „Zielkonflikt zwischen möglichst weitreichender Selbst- und Kameradenhilfe und den in Deutschland geltenden Rechtsgrundsätzen zur Delegation ärztlicher Maßnahmen und den ggf. daraus entstehenden Haftungskonsequenzen“, schrieb er weiter. In dieser Woche ergänzte der Verteidigungsminister dann aber, ein gesetzliches Hindernis bestehe nicht und „ausgewähltes Einzelpersonal“ sei schon seit dem vergangenen Jahr entsprechend ausgebildet worden; die regelhafte Ausbildung zum EH-B solle im Januar beginnen. Stinner kommentierte: „Kostbare Zeit wird durch bürokratischen Irrsinn vergeudet, weil der Minister klare Entscheidungen scheut. Es ist nicht nachvollziehbar, dass diese lebenswichtige Ausbildung für unsere Soldaten erst im Januar 2010 beginnen soll.“
Dazu drei Anmerkungen:
In unserer eigenen Grundausbildung vor gut zwanzig Jahren haben wir auch eine rudimentäre San-Ausbildung genossen, aus der die etwas eisenbartisch anmutende Aufforderung des Sanitäts-Stuffz in Erinnerung geblieben ist, eine blutende Aorta notfalls mit dem Stiefel im offenen Bauch abzudrücken, wenn anders nicht genug Druck ausgeübt werden könne, aber auch ein längerer Film über Erfahrungen der Briten aus dem Falklandkrieg (1982). Da hieß es, die Infanteristen hätten den langen Anmarsch über See dazu genutzt, jeden Tag Selbst- und Kameradenhilfe zu üben, und am Ende habe jeder dem anderen eine Infusion legen können. Das sei der Schlüssel für eine besonders geringe Verlustrate gewesen. Ob das nun stimmt oder nicht (laut Wikipedia betrug das Verhältnis Gefallene zu Verwundete bei den Briten, was für einen symmetrischen Konlikt nicht ungewöhnlich zu sein scheint; aber bei den Argentiniern 1:2) – worauf wir hinauswollen, ist, dass die Erkenntnis, dass auch der einzelne Kämpfer Dinge können sollte, für die man im zivilen Leben den Doktor braucht, jedenfalls nicht neu ist, nicht einmal in der Bundeswehr. Offensichtlich wurde diese Erkenntnis ja auch in die Tat umgesetzt. Deswegen wurde in der Fallschirmjägertruppe und bei den Spezialkräften der „Combat First Responder“ (CFR) ausgebildet. Wie trotzdem noch im Juli 2009 – nach siebeneinhalb Jahren Afghanistaneinsatz, ein Jahr nach Übernahme der Quick Reaction Force (QRF) im Norden – immer noch ein „Zielkonflikt mit den in Deutschland geltenden Rechtsgrundsätzen“ bestehen kann, der eine durchgehende entsprechende San-Ausbildung der Nichtsanitäter verhindern soll, ist uns schleierhaft.
Oder sollte es sich um truppeninterne Eifersüchteleien handeln, nach dem Motto, was soll der Grenny jetzt auch noch Sanitäter spielen? Um einen Zielkonflikt zwischen Selbst- und Kameradenhilfe und dem Bestreben des Sanitätsdienstes, seine Bedeutung auszuweiten? Also nicht bürokratische Trägheit, die ja auch schon zum Haareraufen ist, sondern Machtkämpfe auf dem Rücken der Soldaten? Natürlich ersetzt der Grenadier mit EH-B oder der Fallschirmjäger mit CFR (warum das unbedingt zweierlei sein muss, verstehen wir auch nicht ganz; aber das ist eine andere Frage, und sie ist von minderer Bedeutung) nicht den Sanitäter, er muss ihn ergänzen. Deshalb erhält ja seit je jeder Soldat eine San-Ausbildung, die – um hier einen falschen Eindruck zu vermeiden – durchaus schon intensiviert und fortentwickelt worden ist, bloß eben bislang nur bis zu der magischen Grenze.
Drittens ist es schon eine merkwürdige Wendung, dass der Minister – das heißt, wer immer ihm die Vorlagen geschrieben hat – jetzt auf einmal entdeckt, dass der Zielkonflikt doch nicht besteht und man ihn schon im vergangenen Jahr offenbar nicht gesehen hat, weil man seit Übernahme der QRF „ausgewähltes Einzelpersonal“ ausgebildet habe. Nun, das Personal muss doch so vereinzelt gewesen sein, dass das Desiderat in der Truppe schmerzlich empfunden wurde. Also bewerten wir das jüngste Ministerschreiben als umwundenes Einlenken und nutzen die Gelegenheit für ein Lob an den hartnäcken und manchem sicher lästigen Abgeordneten Rainer Stinner.
Der Abgeordnete Stinner fasst...
Der Abgeordnete Stinner fasst das grundsätzliche Problem mit diesem Verteidigungsminister in einem Satz treffend zusammen: „Kostbare Zeit wird durch bürokratischen Irrsinn vergeudet, weil der Minister klare Entscheidungen scheut.“ Da kann man nur hoffen, dass diese schwere Zeit bald beendet ist.
Es mag für eine Diskussion...
Es mag für eine Diskussion der taktischen Lage immer noch zu früh sein, zumal sich daraus eine einseitige Kritik an den Entscheidern vor Ort ableiten ließe. Allerdings muss man versuchen, die systematischen Fehler, die dieser Entscheidung zu Grunde liegt, zu beschreiben. Es ist schlicht nicht hinnehmbar, dass es im Verlaufe von 8 Jahren und über 17 (mittlerweile sind wir bei 19) Kontingente hinweg, nicht gelungen ist, ein Kontingent-Wissen aufzubauen. Das heißt im Klartext nämlich nichts anderes, als dass quasi jedes neue Einsatzkontingent quasi bei Null beginnt – ohne nachhaltige Verbindung in die Bevölkerung, ohne zuverlässige Quellen und mit unzureichender Ausrüstung.