Zum Bombenangriff auf die Tanklaster bei Kundus lassen sich auch vier Tage später mehr Fragezeichen als Ausrufezeichen setzen.
Hatten die Entscheidungsträger am Boden konkrete Hinweise darauf, was die „Taliban“ mit den beiden Tanklastern anstellen wollten – über die Beobachtung hinaus, dass die Fahrzeuge gekapert und in Richtung Chardara gefahren wurden? Hatte die Bundeswehr eigene Beobachtungsmittel, die das Lagebild verdichteten (die Rede ist beispielsweise vom anfänglichen Einsatz einer Drohne KZO und eines Spähpanzers Fennek)? Warum wird den Amerikanern und der „Washington Post“ die Deutungshoheit überlassen, wonach „Sole Informant guidet decision on afghan strike“? Welche anderen Optionen wurden erwogen und warum verworfen? Wieweit haben die lieben Verbündeten in letzter Zeit Druck ausgeübt, militärische Erfolge in Kundus zu erreichen? Liegen die Konzepte schon bereit, dort zu „übernehmen“? Spielt derartiges in das sehr unkameradschaftliche Verhalten der Amerikaner aus Kabul hinein? Etcetera
Solche Fragen öffentlich auszubreiten, widerspräche zweifellos Grundsätzen der Operationsgeheimhaltung. Besonders was Informanten betrifft, sind diese OpSec-Gründe gewiss zwingend. Umso erschütterter müssen die Verantwortlichen gewesen sein, als sie die Meldungen in der „Post“ gelesen haben.
Dennoch dürften diese und ähnliche Fragen für die Beurteilung des Vorganges erhellender sein als die, ob dem Luftschlag „Zivilisten“ oder „Unbeteiligte“ (wie wir schon seit längerem zu formulieren vorziehen) zum Opfer gefallen sind. Diese Unterscheidung wird sich nicht eindeutig treffen lassen. Die Luftbilder aus der Zeit vor dem Angriff zeigen angeblich, wie Leute mit Gefäßen in der Hand zum festgefahrenen Truck eilen: Die einen werden durchgelassen, andere abgewiesen. Sind also die, die zugelassen werden, „Taliban“ oder „Zivilisten“? Unsere Autorin Friederike Boege berichtet aus Kundus, sozusagen aus der Bodenperspektive die Luftbeobachtung bestätigend, über einen Mann aus einem Tadschikendorf, der erzählt habe, dass die Taliban nur Paschtunen zugelassen hätten. Der Vierzehnjährige am Schauplatz ist in gewisser Hinsicht ein „Talib“. Die Direktive des Isaf-Kommandeurs McChrystal, wonach das Töten auch von Aufständischen schädlich sein kann, hat in diesem Geflecht ihren Grund. Der deutsche Oberst, der seit Monaten in Kundus führt, weiß über all dies unendlich viel mehr als der Beobachter und Gelegenheitsbesucher. Er hat in jener Nacht eine Entscheidung getroffen. Sie kann falsch gewesen sein. Sie kann allerdings auch richtig gewesen sein. Aber für eine solche Beurteilung reicht ein eindimensionales Kriterium nicht aus.
Mit anderen Worten, Verteidigungsminister Jung hat die falsche Bastion verteidigt, als er sich darauf versteift hat, es seien nur „terroristische Taliban“ umgekommen.
Der Minister hat...
Der Minister hat Stellungnahmen ohne genaue Sachkenntnis abgegeben und stur darauf beharrt, obwohl sich die Informationen aus unterschiedlichen Quellen verdichteten. Nun muss es seine Unwahrheiten Schritt für Schritt korrigieren. Das ist auch international sehr peinlich, schädigt deutsches Ansehen und verstärkt die Unglaubwürdigkeit von Jung.
Der Minister hat sich dieses Mal dankenswerter Weise vor den Kommandeur und die Truppe im Einsatz gestellt. Er hat das aber leider ohne genaue Sachkenntnis sowie mit weitgehenden Wertungen getan und somit im klassischen Sinne Vorurteile verbreitet. Bleibt zu hoffen, dass er vor dem Parlament glaubhaft gesicherte Fakten und plausible Urteile vortragen kann.
Minister Jung ist nicht in der Lage, eine Bastion zu verteidigen, auch keine falsche. Minister Jung hat sich wie „Jung“ verhalten, abwiegelnd, beschönigend –
unglaubwürdig.
Da habe die Amerikaner die...
Da habe die Amerikaner die Bundeswehr aber mal schön vorgeführt. Und das vor den Augen der ganzen Welt.
Na ja, es gibt immer den einen, der es macht und den anderen, der es mit sich machen läßt.
Kann dieser Minister nicht e n...
Kann dieser Minister nicht e n d l i c h davon ablassen, von „terroristischen“ Taliban zu reden?!
Die Bundeswehr befindet sich in einem Partisanenkrieg gegen feindliche Banden – die Bezeichnung des Gegners als „verbrecherisch“ – auch gern von Jung benutzt – zeugt nur von der unglaublichen Sturheit dieses Mannes, die ihn hindert, den Krieg als solchen wahrzunehmen und nicht als Polizeiaktion, mit der in der Tat „Terroristen“ oder „Verbrecher“ verfolgt werden.
(Selbstmordattentate werden von Jung im übrigen auch gern als „feige“ qualifiziert – das bewußte Opfer des eigenen Lebens ist alles andere, nur nicht feige!)
Im übrigen scheint mir die naheliegende Alternative zum (unverhältnismäßigen?)Luftangriff zu wenig diskutiert zu werden: wenn schon „um 2.30 Uhr zurückgeschossen“ werden mußte (und Benzindiebstahl umgehend mit dem Tode vergolten werden mußte), warum dann nicht von der deutschen gepanzerten Einsatzreserve mit ihren Schützenpanzern „Marder“?
Aber Herr Löwenstein hat schon recht: das wird Oberst Klein mit seinem Stab in die Beurteilung der Lage mit einbezogen haben – nur die Gründe für seinen Entschluß mit seinen zur Zeit noch gar nicht absehbaren Folgen sind dem Beobachter nicht bekannt und laden zum Spekulieren ein.
Schließlich: wo ist eigentlich der Generalinspekteur Schneiderhan? Ist er ganz gegen seine Gewohnheit abgetaucht?
Erfreulich, dass Minister...
Erfreulich, dass Minister Jung „seinen“ Oberst gegen eine öffentliche Vorverurteilung und die Staatsanwalt Potsdam verteidigt, die angeblich schon den Anfangsverdacht eines „Tötungsdeliktes“ prüft, weil der deutsche Kommandeur vor Ort den Luftangriff „befohlen“ (!) habe. Richtig ist jwdoch, dass alle Todesopfer zu beklagen sind, auch wenn der unbeabsichtigte Tod Unbeteiligter mit Recht besonders betroffen macht. Denn selbst der junge Talib, der an der Kaperung des Tanklastwagens beteiligt war, hat eine Mutter, die um ihn weint.
Schlimm, dass jetzt Zeit und Energie zur Beantwortung der falschen oder unwichtigen Fragen aufgewandt werden. Vordringlich wäre zu fragen:
• Wie reell war die Gefährdung durch immobile Tanklastwagen?
• Waren ggf. Bombenangriffe bei Nacht das geeignete Mittel, diese Bedrohung – oder auch die Nutzung des Treibstoffs – durch die Taliban zu verhindern?
• Reichen die deutschen Kräfte – einschließlich der schnellen Eingreifkräfte – in Kundus nicht aus, um einen solchen Vorfall zu verhindern bzw. die Täter in kürzester Zeit zu stellen?
• Wurden solche Möglichkeiten nicht genutzt, weil nach Weisungslage (?) eigene Verluste nicht riskiert werden durften?
Herr Osmers stellt die...
Herr Osmers stellt die richtige Frage: „Wo ist eigentlich der Generalinspekteur?“ Der GI hat sich eine Machtposition geschaffen, wie sie keiner seiner Vorgänger hatte. Er ist Vorsitzender des Einsatzrates im BMVg, hat sich einen großen Stab für die Einsatzführung mit Vertretern aller Abteilungen des Hauses geschaffen und ist für die Durchführung der Einsätze verantwortlich.
Falls er sich scheuen sollte, zu Einzelheiten der aktuellen Vorfälle Stellung zu nehmen, solange die Ergebnisse der eingesetzten Untersuchungskommission noch nicht vorliegen, könnte er sich doch schon einmal zu einigen grundsätzlichen Fragen erklären, z.B.
– ob er alles unternommen hat, die Truppe angemessen auszustatten,
– ob er es immer noch für zweckmäßig hält, der Truppe Kampfpanzer vorzuenthalten, die den besten Schutz der eingesetzten Soldaten bieten,
– ob er sich insgesamt durch die aktuellen Ereignisse in seinen bisherigen Einschätzungen der Lageentwicklung bestätigt sieht,
– ob er sein Ausbildungskonzept für Stabilisierungseinsätze immer noch für angemessen hält, und schließlich,
– wie er insgesamt seiner Verantwortung für die Bundeswehr und als militärischer Berater des Ministers und der Bundesregierung gerecht geworden ist.
Einige Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen sind auf meiner Website zu finden (z.B. unter
https://www.juergenruwe.de/klartext/bundeswehrschelte.html ).
Wenn die Rekonstruktion der...
Wenn die Rekonstruktion der Vorgänge durch das ZDF (heute-journal vom 7.9.) auch nur annähernd der Realität entspricht, waren die Tanklastzüge zum Zeitpunkt der Bombardierung weiter vom deutschen Stützpunkt entfernt als bei der Entführung. Sie fuhren also vom Camp weg, als sie stecken blieben. Bei aller Unkenntnis der Lage vor Ort: Eine unmittelbare Bedrohung sieht anders aus. Die rhetorische Figur, die Jung und seine Kommunikationsstrategen zu zeichnen versuchen, trägt nicht. Ebenso schwach sind die angeblich präzisen Zahlen zu Personen (56, warum nicht 55 oder 57?), obwohl die Einsatzkräfte erst am kommenden Tag vor Ort waren. Und wie konnten diese Zahlen ermittelt werden, wenn doch manche Personen quasi pulverisiert wurden? Hat die Bundeswehr eine neue Sondereinheit CSI:Kundus?
Noch ein Nachtrag zur Frage -...
Noch ein Nachtrag zur Frage – auch von General Hagena gestellt -, weshalb nicht die deutsche gepanzerte Reserve eingesetzt wurde: Allemal ist ein Einsatz am Boden mutiger und erfordert ein weit höheres Maß an Tapferkeit als das Werfen von Bomben aus sicherer Höhe. Es sei denn, eigene Verluste sollen unter allen Umständen vermieden werden – oder ketzerisch gesagt: das neugeschaffene Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit soll weiterhin Taten wie dem Bergen von Verwundeten vorbehalten bleiben.
Ein Zweites: ist deutschen Politikern und Soldaten eigentlich bewußt, was ihnen in absehbarer oder ferner Zukunft nach ensprechender grundlegender politischer Wende drohen könnte? Nur einige Stichworte dazu: Nürnberg II; Hannes Heers nächste Wanderausstellung trägt den Titel „Verbrechen der Bundeswehr 2009 am Hindukusch“; auch wenn sie das gesegnete Alter von 90 Jahren erreichen, sind sie von einer Verurteilung zu lebenslanger Haft bedroht wie kürzlich dem Wehrmachtsleutnant Josef Scheungraber geschehen nach dessen Einsatz gegen Partisanen (heute „Taliban“) im Zweiten Weltkrieg.
L. Osmers ist zu danken, daß...
L. Osmers ist zu danken, daß er die Vorgänge in Kundus aus dem Blickwinkel der linken Politiker betrachtet (Struck, Fischer, Ute Vogt und Gysi), die 2005 das nach dem Wehrmachts-Jagdflieger Werner Mölders benannte Jagdgeschwader 74 (mein alter Verband) „entnamten“ und ehrendes Gedenken an ihn per Beschluß des Bundestags untersagten. Der einst durch Politiker wie Heinemann, Schmidt, Brandt und Leber geehrte und in der ganzen Welt hochgeachtete Mölders darf heute in diesem Staat ungestraft als Auftragskiller bezeichnet werden, Gedenkfeiers an seinem Grab sind nach Ansicht von Gysi und Lafontaine Angriffe auf die Demokratie.
In der „Jungen Welt“ vom 31.10./1.11.08 versteigt sich ein Dr. von Senff sogar zu der Behauptung, „er (Mölders) sei die geistige Grundlage für die Besetzung Iraks und Adghanistans im Bruch des Völkerrechts, das eine Einmischung von auswärtigen Staaten in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates verbietet.“
Nach dieser Logik wären deutsche Sreitkräfte und ihre Angehörigen als Verbündete der USA und in Kenntnis ihrer völkerrechtswidirgen Aktivitäten (Abu Ghraib, Guantanomo, Fallujah) in einer äußerst mißlichen Lage, wenn eine rot-rot-grüne Regierung an der Macht ist und damit die Deutungshoheit für die deutsche Geschichte besitzt.