Wir wollen uns hier auch weiterhin mit eigenen Feldherreneinschätzungen zurückhalten, mit welchem militärischen Vorgehen die potentiellen Benzinbomben im Kundus-Fluss besser hätten entschärft werden können, sind aber für jeden diesbezüglichen Kommentar von sachkundiger Seite dankbar. Auch eine Woche nach den Luftangriff auf die von Taliban gekaperten Tanklastwagen überwiegen die Fragen.
Zum Beispiel die nach dem angeblich ohne jede Rücksprache getroffenen Entschluss des PRT-Kommandeurs in Kundus. Frühere Vorgesetzte haben mir Oberst Klein als klugen, besonnenen, fürsorglichen und taktisch versierten Offizier beschrieben, auch als tatkräftig – aber übereinstimmend nicht als einen einsamen Cowboy. Dennoch lautet die offizielle Auskunft im Ministerium, man sei erst nachträglich informiert worden. Das gilt nicht nur für Presseanfragen: Auch den zuständigen Abgeordneten des Bundestags wurde das so gesagt. Weder Einsatzführungskommando, noch Einsatzführungsstab, noch Generalinspekteur seien vorher informiert gewesen. Erst am Freitag um sechs Uhr früh soll der GI die Meldung erhalten haben. Das ist wirklich überraschend, ja, angesichts der bisherigen Praxis und Vorgaben kaum zu glauben. Aber anderseits: Wenn das nicht stimmen würde, dann würde aus einer bislang schlechten Kommunikation ein gigantischer Lügenskandal. Und herauskommen würde das. So törricht kann man eigentlich nicht sein.
Wenn wir davon ausgehen, dass der PRT-Kommandeur keine nationalen Melderegeln gebrochen hat (sonst würde er vermutlich von den hiesigen Ministerialen nicht so verbal in Schutz genommen), heißt das, dass er niemanden zu Hause fragen musste, ehe er seinen Feuerbefehl gab. Das wiederum würde bedeuten, dass die Taschenkartenreform vom Juli tatsächlich keine reine Kosmetik war, sondern damit auch eine substantiell veränderte Weisungslage auf nationaler Ebene einherging. Denn die für die Nato-Truppe Isaf gemeinsam geltenden Einsatzregeln (Rules of Engagement, ROE) gelten unverändert. Aber noch im vergangenen Jahr, als Deutschland erstmals die schnelle Eingreiftruppe gestellt hat, verlangte die sogenannte OpOrder, dass beispielsweise ein Waffeneinsatz nach den ROE 421, 422, 429 a und b auf dem nationalen Strang genehmigt werden müsse. Von zwei Seiten haben wir inzwischen gehört, dass das bis „hoch“ zu Staatssekretär Wichert gegangen sein solle. Wenn diese Einschränkungen weggefallen sein sollten, dann wäre das im Sinne der Auftragstaktik sehr zu begrüßen.
Wenn das so ist: Was wäre dann jetzt nach „Kundus“? Auftragstaktik bedeutet ja: Es kann der Führer vor Ort selbst entscheiden, auf welchem Weg er das vorgegebene Ziel erreicht. Wie wirkt sich der politische Wirbel – und die Demütigung durch den militärischen Vorgesetzten, gemeint ist der Isaf Kommandeur – auf die Entscheidungsfreude in Zukunft aus?
Es ist gut, dass Sie sich mit...
Es ist gut, dass Sie sich mit „Feldherreneinschätzungen“ zurückhalten, zumal die eigentlichen „Feldherren“ ja weitgehend abgetaucht sind.
Aber Sie stellen die richtigen Fragen: Was wusste der Generalinspekteur wann und was hat er ggf.“abgenickt“? Was wusste Staatssekretär Wichert vor dem Luftwaffeneinsatz und hat er ihn ggf. genehmigt? Die Fragen nach möglichen weiteren Verantwortlichkeiten sind deswegen auch geboten, weil nach meiner Auffassung Auftragstaktik im Hinblick auf offensiven Waffeneinsatz auch mit der neuen Taschenkarte nicht zu verwirklichen ist, schon überhaupt nicht, wenn der offensive Waffeneinsatz nicht der Abwehr einer akuten Gefahr für im Gefecht befindliche Truppe gilt. Es rächt sich nicht erst jetzt, dass der wirkliche Charakter des Einsatzes unserer Soldaten in Afghanistan politisch weiterhin verheimlicht wird.
"Das wiederum würde bedeuten,...
„Das wiederum würde bedeuten, dass die Taschenkartenreform vom Juli tatsächlich keine reine Kosmetik war, sondern damit auch eine substantiell veränderte Weisungslage auf nationaler Ebene einherging.“
Das glauben Sie nicht wirklich, oder?
Hier geht es nicht darum, wie der Oberst seine Schützenpanzer durch afghanische Dörfer fahren läßt, um das Ziel der Kontrolle der Region um Kundus durchzusetzen. Das ist Auftragstaktik. Keine Auftragstaktik wäre es, wenn er die Dörfer erst bombardieren läßt, um danach mit seinen Schützenpanzern die Trümmer zu besichtigen. Dann hätte er wohl seinen Auftrag gründlich mißverstanden. Nur welches Ziel hatte der Oberst Klein in jener verhängnisvollen Nacht, das er durchsetzte? Eigensicherung aus Angst vor zukünftigen Anschlägen? Oder doch die Chance eine Taliban Einheit mit geringem eigenen Risiko zu zerschlagen? Unter anderen politischen Bedingungen hätte McChrystal das zwar wohl für keine militärische Heldentat gehalten, aber auch nichts dagegen einzuwenden gehabt. Er gilt ja nicht wirklich als eine Art militärischer Schöngeist. Handelte der Oberst wirklich gemäß eines klar definierten Zieles oder operierte er nicht in Wirklichkeit im politischen Nebel, den die politische und militärische Führung von Berlin aus verbreitet? Also Unklarheit als Einsatzrichtlinie – und der Taschenkarte mit ihren nett formulierten Grundsätzen fehlt halt jede Interpretationsfähigkeit, weil ihr der politische Unterbau fehlt. Und wenn dann jetzt die Bundesregierung erklären läßt, also wir lassen ja den Befehlshabern vor Ort mehr Entscheidungsspielraum, dann ist das in diesem Fall nichts anderes als der durchsichtige Versuch der Berliner Nebelwerfer, dem armen Oberst die alleinige Verantwortung zuzuschieben. Da ist ja dem Vorredner nur beizupflichten:
„Es rächt sich nicht erst jetzt, dass der wirkliche Charakter des Einsatzes unserer Soldaten in Afghanistan politisch weiterhin verheimlicht wird.“
Deshalb kommt die Auftragstaktik nun wie Zieten aus dem Busch – allerdings fehlt es an militärischer Effizienz. An der Bürokratischen ist dafür nichts auszusetzen … .
Die Fokussierung der...
Die Fokussierung der Fragestellung darauf, ob der Kommandeur geirrt hat oder nicht, entspricht sowohl der militärischen Hierarchie als auch den medialen Gestaltungsprinzipien. Das aufgeregte Melden, dass Klein nun aus Afghanistan zurückkehrt ist ein typisches Beispiel für die zu kurz greifende Befassung. Ohne sich auf den Feldherrenhügel zu stellen: Redlicher Weise kann niemand, der eine Offizierausbildung der Bundeswehr erfolgreich abgeschlossen hat, für sich ausschließen, diese Entscheidung ähnlich getroffen zu haben. Zu einer Beurteilung gehört aber auch, sämtliche Randbedingungen des Einsatzes mit einzubeziehen. Entnervt, in Unterzahl, unter regelmäßigem Beschuß liegt Camp Kunduz (siehe auch bei den Kollegen vom stern) auf einem durch Tanklastzüge quasi unangreifbarem Hügel. Im Wissen um die potentielle Gefahr, die die Lastzüge vielleicht nicht für das Camp sondern auch für die Stadt Kunduz bedeuteten, ergab sich hier die Chance, diese Gefahr zu bekämpfen. Ein Befreiungsschlag. Konterkariert durch eine schwache, nein, desaströse Kommunikationspolitik des Ministeriums, die endlich nicht mehr die Überforderung und Unterausstattung der Soldatinnen und Soldaten kaschieren kann. Es mag zu einfach klingen,aber wenn dieser Einsatz mehr als das Feigenblatt sein soll, das er bisher war, müssen wir mehr Personla und mehr Material investieren – um die Zivilgesellschaft zu stärken, ihren Aufbau zu schützen und die Afghanen in die Lage versetzen, den Schutz selbst zu übernehmen. Oder: Wir sollten unsere Truppen heim holen.
f.luebberdings Gedanken...
f.luebberdings Gedanken aufgreifend: welchen Auftrag wollte Oberst Klein mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln erfüllen? Und: wer legt diese Aufträge mit verbindlicher Wirkung fest?
Man sollte die nächste Afghanistankonferenz unter das Motto Homers stellen, der vor fast 3000 Jahren den zehnjährigen Mißerfolg der Achäer vor Troja an der Tatsache festmachte, daß zu viele von ihnen den Feldherrn spielen wollten.
οὐκ ἀγαθὸν πολυκοιρανίη· εἷς κοίρανος ἔστω (Ilias 2,204)
In der Übersetzung von Heinrich Voss:
„Niemals frommt Vielherrschaft [im Volk]; nur einer sei Herrscher.“
Im übrigen ist den Forderungen von Sascha Stoltenow uneingeschränkt zuzustimmen. Entweder – oder!
In seinem Beitrag...
In seinem Beitrag „Wetterleuchten über dem Atlantik“ vom 11. September im FAZ.NET informiert Lothar Rühl meines Wissens erstmalig die Öffentlichkeit über Einzelheiten, nach denen dem Oberst Klein nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung standen, um rechtzeitig auf die Entführung der Tanklastwagen zu reagieren. Die taktische Reserve (sind die wenigen – vier? – Marder-Schützenpanzer als gepanzerte Einsatzreserve gemeint?) war nach Rühls Angaben etwa sechzig Kilometer nördlich von Kundus in einer Operation gebunden und Hubschrauber waren nicht verfügbar. Die nächste motorisierte Truppe (wen meint Rühl damit?) war wenigstens vier Stunden entfernt im Westen. Den Tagesanbruch abzuwarten hätte bedeutet, daß die Taliban-Partisanen mit oder ohne die beiden Tanklastwagen von ihrem 6 Kilometer vom Feldlager gelegenen Standort verschwunden wären.
Dazu ist festzuhalten: Sinn einer Reserve ist ihre sofortige Verfügbarkeit. Ist sie eingesetzt, ist auf der Stelle eine neue Reserve zu bilden, ggf. aus den im Feldlager vorhandenen Kampftruppen (die doch wohl vorhanden sind – oder muß man sich das Feldlager als von Kampftruppen völlig entblößt vorstellen? Eine aberwitzige Vorstellung!).
Wenn tatsächlich weder gepanzerte, noch „nur“ motorisierte Truppen, noch Hubschrauber unverzüglich zur Verfügung standen, ist dies ein völlig unverzeihliches Versäumnis der militärischen und politischen Führung der Bundeswehr, ein Versäumnis des Oberst Klein nur dann, wenn er nicht energisch und unmißverständlich diese Defizite gemeldet und auf ihr Abstellen gedrungen hätte.
Wenn sich der Generalinspekteur Schneiderhan am 12. September „erstmals“ zu dem Luftangriff äußert, wäre er besser auf die genannten Mängel eingegangen, als wie viele vor ihm nur die Bombardierung der zwei Tanklastwagen zu verteidigen – und das mit den völlig nichtssagenden und wohlfeilen Worten, er gehe davon aus, daß der Entschluß des Oberst Klein „erst nach sorgfältiger Beurteilung der Gesamtlage und in der Absicht getroffen wurde, erheblichen Gefahren für die eigenen und verbündeten sowie für die afghanischen Sicherheitskräfte zuvorzukommen“.