Der Deutschlandfunk hat heute morgen verbreitet, die Bundesregierung erwäge, die Obergrenze für die in Afghanistan einzusetzenden Soldaten auf 7000 zu erhöhen. So solle der Handlungsspielraum der neuen Regierung auf der ins Auge gefassten Afghanistankonferenz vergrößert werden. Das Verteidigungsministerium hat sofort mit einer Sprechererklärung reagiert: „reine Spekulation, für die es überhaupt keine Grundlage gibt“.
Dass es sich um eine Spekulation handelt, halten wir für wahrscheinlich; im Grunde ist das durch die Formulierung vom „Erwägen“ auch so gekennzeichnet. Dass die Spekulation überhaupt keine Grundlage habe, ist weniger wahrscheinlich. Jemand wird die Zahl schon genannt haben.
Denn dass Bedarf an einer Erhöhung der Isaf-Obergrenze besteht, werden wenige der verantwortlichen Offiziere bestreiten. Die Grenze liegt jetzt bei 4500 Soldaten, und gut 4200 sind derzeit schon im Einsatz. Für Kundus hat der Isaf-Regionalkommandeur Nord und deutsche Kontingentführer in seinem internen Bericht Ende August dringenden Bedarf an einer weiteren dauerhaft dort vorgesehenen Infanteriekompanie angemeldet. Natürlich ließe sich das irgendwie auch aus dem bestehenden Mandat herausschneiden, unter allerlei Umschichtungen und kurzfristigen Rückbeorderungen. Das hatten wir alles ja schon einmal vor der letzten Mandatsverlängerung. Aber das war ein unerträglicher Zustand, weswegen das Mandat vor einem Jahr denn auch um 1000 erweitert worden war. Und einen Teil der QRF (Quick Reaction Force) dauerhaft als Infanteriekompanie in Kundus zu belassen, dürfte den Truppenführern auch als wenig sinnvoll erscheinen, denn das ist nicht der Sinn einer Reserve. Wohlgemerkt: Diese Anforderung zielt offensichtlich darauf, das gegenwärtige Profil beizubehalten – keine Ausweitung der Operationen. Wer dies wollte, bräuchte noch mehr kampfkräftige Einheiten in Kundus.
Hinzu kommen die Awacs. Derzeit sind bis zu 300 Soldaten in einem eigenen Beschluss mandatiert. Doch ist schon im Sommer vorgesehen gewesen, dass dies in das allgemeins Isaf-Mandat integriert werden soll, so wie vormals die Aufklärungs-Tornados. Bei einer Anhebung von 4500 auf 4800 liegt die Argumentation nahe, dass man dann auch gleich auf eine runde Zahl gehen könne. (Wenn allerdings im Dezember, wenn die Mandatsverlängerung ansteht, die Awacs-Flugzeuge immer noch in Geilenkirchen stehen, statt über Afghanistan den Luftraum zu entflechten, weil die Nato immer noch nicht in der Lage ist, mit Turkmenistan Überflugrechte zu vereinbaren, wird dieses Argument schwerfallen.)
Also eine runde Zahl. Welche? Da haben wir gerüchteweise schon drei gehört, die von verschiedenen Protagonisten bevorzugt würden: 5000, 6000, 10.000. 7000 hatten wir bislang noch nicht gehört, klingt aber auch gut. Mit anderen Worten: Es lässt sich jetzt trefflich spekulieren, aber am Ende wird es auf den politischen Willen der künftigen Regierung ankommen, ob sie einen großen Schritt wagt, der den Militärs wirklich Spielraum gibt, oder nur einen kleinen, oder gar keinen. Wichtiger – und wegen der politischen Debatte zwingende Voraussetzung für einen großen Schritt – ist, dass die Regierung die Kraft aufbringt, dem Einsatz besser als bisher Richtung und Ziel zu geben. Eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung dafür ist, dass zuvor die amerikanische Regierung ebendies tut.
Dieser Blog-Beitrag zeigt die...
Dieser Blog-Beitrag zeigt die Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten deutscher Sicherheitspolitik für Afghanistan deutlich auf.
Es geht offensichtlich nicht – und wen wundert es -um eine aufrichtige Auseinandersetzung mit Erfahrungsberichten zuständiger Kommandeure, es geht nicht um eine ungeschminkte politische Lagebeurteilung auf der Grundlage militärischer und fachkundiger Meldungen aus dem Einsatzland, es geht um das, was man oberflächlich verstehen und diskutieren kann, es geht also wie immer um Obergrenzen, die dann haushalterisch abzusichern sind.
Es geht also (noch) nicht darum, in einer grundlegend veränderten politischen und militärischen Lage die politischen, juristischen und militärischen Rahmenbedingungen für den Einsatz deutscher Staatsbürger in Afghanistan dieser veränderten Lage fürsorglich anzupassen und so die Voraussetzungen für größere Überlebenschancen und bessere Auftragserfüllung zu schaffen. Das ist ein erneutes Armutszeugnis deutscher Sicherheitspolitik. Und weil deutsche Sicherheitspolitik so schlecht ist, schießen Zahlen-Spekulationen ins Kraut.
Wenn der Generalinspekteur nicht in der Lage oder nicht mutig genug ist, sachkundig zu beraten, oder wenn ggf. die „Sicherheitspolitischen Experten“ nicht in der Lage sind, seinen mutig vorgebrachten militärfachlichen Rat zu verstehen, dann sollte man das Herz haben, eine Obergrenze politisch auf 10.000 festzulegen. Das würde grundsätzlich die Möglichkeit schaffen, flexibel und fürsorglich auf Lageverschärfungen zu reagieren und die Operationen – auch offensiv – so zu gestalten, dass den Aufständigen Zug um Zug der Boden entzogen und ein gesicherter Aufbau möglich wird. Wenn dann die Ausrüstung ständig so verbessert wird, dass unsere Soldaten im Kleinkrieg gegen die Taliban oder in kriegsähnlichen Situationen beim Kampf gegen Aufständige mit noch größerer Aussicht auf Erfolg bestehen können, wären wir einen großen Schritt weiter. Erfolg im Hinblick auf selbsttragende Sicherheit Afghanistans ist nicht billig zu haben!
Es gibt Anständige, es gibt...
Es gibt Anständige, es gibt Aufständige und es gibt Aufständische, das sind die Gefährlichsten.
Mit einer Aussage Ihres Beitrags möchte ich mich noch kritisch auseinandersetzen. Sie sagen „Wichtiger…ist, dass die Regierung die Kraft aufbringt, dem Einsatz besser als bisher Richtung und Ziel zu geben. Eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung dafür ist, dass zuvor die amerikanische Regierung ebendies tut.“
Ich finde es sehr dankenswert, dass auch Sie fordern, dass endlich nach acht Jahren Einsatz konkrete politische Ziele formuliert werden sowie ein militärstrategisches Konzept erarbeitet wird, das dann vom Parlament verabschiedet und damit Grundlage für konkrete und tragfähige politische und militärische Entscheidungen werden kann.
Ich vermag allerdings nicht einzusehen, warum ein erarbeitetes strategisches Konzept der amerikanischen Regierung eine notwendige Voraussetzung für die Formulierung einer deutschen Zielsetzung sein soll. Wir stellen zwar vergleichsweise wenige Truppen, sind aber immerhin drittgrößter Truppensteller und tragen Verantwortung für eine Region Afghanistans. Wir müssten unsere militärstrategischen Vorstellungen längst verantwortungsbewusst eingebracht haben. Da wir das bedauerlicherweise bisher nicht geleistet haben, wird es höchste Zeit, dass wir versuchen, in die Formulierung der neuen amerikanischen Strategie unsere deutschen Vorstellungen aktiv einzubringen. So souverän sollten wir als Staat inzwischen sein. Für eine solche politische Kraftanstrengung fehlen allerdings derzeit die geeigneten Politiker und ein diesbezüglich schon leistungsfähiges Parlament.