Hinweisen wollen wir auf drei lesenswerte aktuelle Reportagen vom Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Sie ergänzen einander in den unterschiedlichen Facetten, die sie beleuchten, als wäre das so geplant gewesen (was es nicht ist). Das sind: „Entweder die oder ich!“ von Marco Seliger aus Kundus, erschienen in der F.A.Z., sowie folgende Berichte der Agenturkorrespondenten Sabine Siebold (Reuters) und André Spangenberg (ddp) aus Kundus und Faizabad.
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Soldaten in Kundus vermissen Rückhalt in Deutschland – von Sabine Siebold – Kundus, 21. Okt (Reuters) – Die ständige
Bedrohung schweißt die deutschen Soldaten in Kundus zusammen. „Immer, wenn ich das Lager verlasse, kann es das letzte Mal sein“, sagt
einer von ihnen. Diese dauernde Todesgefahr sorge für eine kameradschaftliche, fast familiäre Stimmung, alle hielten zusammen. Und obwohl
Kundus mit Abstand der gefährlichste Einsatzort der Bundeswehr ist, findet sich kein Soldat, der mit den Kameraden im friedlichen
Masar-i-Scharif tauschen will, wo es Tanzkurse gibt und das Risiko überschaubar ist. „Das könnte ich mir nicht verzeihen – dass ich in Masar bin,
während meine Kameraden hier Leib und Leben riskieren“, sagt einer entschieden.
Was den Soldaten allerdings fehlt, ist mehr Rückhalt aus Deutschland – und zwar aus der Bevölkerung ebenso wie aus der Politik. „Der
Rückhalt in der deutschen Bevölkerung ist sehr, sehr wichtig für die Soldaten. Hier geht’s wirklich um Leben und Tod“, sagt Hauptmann Thomas
K. Seiner Einschätzung nach muss sich Deutschland der Debatte über den Afghanistan-Einsatz stellen – gerade nach dem Streit über den
Luftangriff auf zwei von den Taliban entführte Tanklaster, der vom Lager in Kundus aus angeordnet wurde. In Umfragen lehnen knapp zwei Drittel
der Deutschen den Einsatz ab.
„Die Soldaten sind freiwillig hier im Einsatz, die leisten Enormes, und sie haben schon das Bedürfnis und auch das Recht, dass das in der
deutschen Öffentlichkeit mehr wahrgenommen wird. Das wünschen sich die Soldaten sehr“, sagt der Chef der Infanterie-Kompanie, die seit Juli
in 18 Gefechte verwickelt war. Bisher befasse sich die deutsche Öffentlichkeit vor allem dann mit Afghanistan, wenn Soldaten verwundet würden
oder eine Wahl anstehe.
„Die breite Masse der Bevölkerung interessiert’s halt nicht so. Außer als Hochwasserhelfer haben wir nicht den besten Stand in der öffentlichen
Meinung“, vermutet ein anderer Soldat. Dies belege auch die Reaktion auf den Luftangriff. „Da hat sich keiner hinter uns gestellt. Das zeigt nur,
dass man sich darauf nicht verlassen darf“. Die Truppe in Kundus steht geschlossen hinter ihrem damaligen Kommandeur Georg Klein, der
wegen des Bombardements Anfang September in die Kritik geraten war. „Nach dem Luftschlag war wirklich mal drei Wochen Ruhe im Raum,
keine Hinterhalte, keine IEDs (Sprengfallen)“, sagt ein Soldat.
Die Debatte darüber, ob die Kämpfe in Kundus als Krieg zu bezeichnen sind, wirkt auf die Soldaten vor Ort bizarr. „Alle Soldaten meiner
Kompanie, auch ich, wir sind darüber einig, dass das hier ein Krieg ist“, berichtet Thomas K. „Wir sind mehrmals herausgefahren zu
kurzfristigen, ungeplanten Operationen und wir wussten: Da wird auf uns geschossen. Und so war’s auch“. Fast alle Soldaten im Camp teilen
seine Meinung – und finden auch, dass die Diskussion am Thema vorbeigeht. „Ehrlich, die haben hier ganz andere Sorgen zurzeit, ob man da in
Deutschland von Krieg spricht oder nicht“, sagt der Hauptmann. Ein anderer Soldat formuliert es härter: „Die Politiker, die sitzen 6000 Kilometer
weit weg, die fahren nicht raus, wo ihnen was um die Ohren fliegt“.
Neben klaren Worten wünschen sich die Soldaten allerdings auch eine bessere Ausrüstung von der Politik, die sie in den gefährlichen Einsatz
schickt. Ganz oben auf dem Wunschzettel von Thomas K. stehen mehr schwer gepanzerte Fahrzeuge, also Radpanzer vom Typ Dingo und
Fuchs-Transportpanzer, von denen es eindeutig zu wenige gebe. Der Bestand sei so knapp, dass die Wagen teils nachts instandgesetzt werden
müssten.
Auch die Panzerhaubitze 2000, die mehr als 30 Kilometer weit schießen kann, hätten viele Soldaten gern in Kundus. Der Bundesregierung ist
die Waffe, die die Niederländer bereits im Süden Afghanistans im Einsatz haben, bisher zu kriegerisch. „Ob das nach Krieg aussieht oder nicht
ist mir relativ wurscht, wenn es hilft. Es geht einfach darum, die Möglichkeiten zu haben“, kontert ein Soldat. Er wünscht sich auch mehr
CH-53-Hubschrauber und Marder-Schützenpanzer sowie einen einsatzfähigen Kampfhubschrauber.
Dem Zusammenhalt der Soldaten tun die Ausrüstungsprobleme bisher keinen Abbruch. Seit einem Selbstmordanschlag Anfang September hat
Thomas K. in seiner Kompanie drei verwundete Soldaten, die wegen ihrer Verbrennungen nicht rausfahren dürfen. Sie wurden damals auf
eigenen Wunsch nicht heimgeflogen und verrichten nun Arbeiten im Lager. „Die Soldaten wollten gern hierbleiben, und wir haben uns dafür
entschieden, sie hierzubehalten – damit sie in der Gemeinschaft bleiben“, erklärt der Hauptmann.
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„Ein Löwe hat keine Angst“ – Afghanistans Armee kämpft gegen die Taliban und gegen Ausbildungsmängel –Von ddp-Korrespondent
André Spangenberg–
Faisabad (ddp). Der afghanische Oberstleutnant Hajatullah spornt seine Soldaten an. „Das schaffst du“, ruft
er einem Rekruten zu, der mit verbundenen Augen ein Maschinengewehr russischer Bauart zerlegt und wieder zusammensetzt. Im Hintergrund
schaut ein Oberfeldwebel der Bundeswehr „seinen“ Schützlingen über die Schulter und korrigiert da, wo es notwendig ist. Noch ist die 1.
Kompanie des 1. Kandak im nordostafghanischen Faisabad. Doch in kurzer Zeit schon werden sie ihre Kameraden unterstützen, die seit mehr
als zwei Monaten im Raum Kundus gegen die Taliban kämpfen.
„Es gibt nichts Sinnvolleres als die OMLTs, um die afghanische Armee bei ihrem Aufbau zu begleiten“, sagt der Chef des OMLT-Teams in
Faisabad, Bundeswehr-Oberstleutnant Uwe Losch. OMLT steht dabei für Operational Mentoring and Liaison Teams, also operative Berater- und
Verbindungsgruppen, die der afghanischen Armee im Aufbau eng zur Seite stehen. Die jeweils vierköpfigen OMLTs begleiten „ihre“ Einheiten bis
hin in die Einsätze.
Dass diese „Begleitung“ mehr als nur graue Theorie umfasst, mussten die deutschen OMLT-Berater erst vor wenigen Wochen erfahren.
Teile des 1. Kandaks, das etwa einem Bataillon entspricht, wurden von Faisabad in die benachbarte Provinz Kundus verlegt. „Wir waren noch
keine halbe Stunde da, schon standen wir im Gefecht“, erinnert sich Losch.
Spätestens mit ihrem Kampfeinsatz hatten sich die deutschen OMLT-Soldaten den Respekt der afghanischen Einheit verdient. „Der Kampf
schweißt zusammen“, weiß Kandak-Kommandeur Hajatullah. Für ihn sind diese Gefechte nicht die ersten Auseinadersetzungen mit den Taliban.
Seit mehr als 25 Jahren trägt er eine Uniform und war schon als Mujaheddin-Kommandeur im Kampf. Heute sagt er: „Ein Löwe kennt keine
Angst.“ Diese Erfahrung haben auch die deutschen Militärberater am Hindukusch gemacht. Furchtlos seien die afghanischen Soldaten schon,
doch fehle es zuweilen an umfassender Ausbildung, der richtigen Ausrüstung und logistischem Denken. Kurzfristige Operationen – ähnlich der
Guerilla-Taktik im Feldzug gegen die Russen – steckten heute noch in den Köpfen vieler Kommandeure. So werde aus deutscher Sicht zuweilen
zu schnell mit zu wenigen Kräften geplant – und die Operation zu früh abgebrochen. Genau hier liegt ein Ansatz der OMLT.
In Faisabad beraten die deutschen OMLT das Kandak von Hajatullah im Infanteriekampf. Schließlich begann erst vor 14 Monaten die Aufstellung
des Bataillons – zunächst wurden Offiziere und Unteroffiziere eingestellt, vor einigen Monaten kamen die ersten Soldaten. Sie brachten eine
dreimonatige Grundausbildung aus Kabul mit. „Mit der Waffe umgehen konnten sie, aber treffen eher nicht“, sagt ein Ausbilder. So gehört auch
eine gemeinsame Schießausbildung zum OMLT-Programm.
Immer wieder wird die Ausbildung durch Kämpfe unterbrochen. So schätzt Hajatullah das Verhältnis von Ausbildung und Einsatz auf 30 zu 70.
Das sei noch „optimistisch“, heißt es bei der Bundeswehr. Denn bei dem im Norden Afghanistan aufgestellten 209. ANA-Korps gebe es erst zwei
Brigaden. Da werde bei Krisen auf alle verfügbaren Soldaten zurückgegriffen. So sind heute zwei Drittel von Hajatullas Soldaten in der Region
Kundus im Kampf.
Dass die Afghanen ihr Land künftig selbst sichern können, davon ist der Kommandeur überzeugt. Noch aber sei jede Hilfe beim Aufbau der
eigenen Sicherheitsstrukturen willkommen. „Gerade die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr ist sehr gut“, sagt Hajatullah. Man kämpfe
„gemeinsam gegen die Feinde Afghanistans“. Für die Bundeswehr ist das das 2008 gestartete OMLT-Konzept die Basis einer „Exit-Strategie“:
Die Hilfe soll dazu führen, dass die deutschen Soldaten ihren Auftrag beenden und das Land verlassen können.
Danke für den Hinweis auf die...
Danke für den Hinweis auf die gut geschriebenen Reportagen. Folgendes wird sehr deutlich:
Die deutschen Soldaten sehen sich – meiner Ansicht nach mit Recht – im Kriegseinsatz. Für einen initiativ und ggf offensiv geführten Kriegseinsatz gegen die immer besser werdenden Taliban-Kleinkrieger fehlt es an ausreichend viel Kampftruppe und zum Teil an tauglichem Kriegsgerät. Die deutsche Politik hat es zum Nachteil für unsere Soldaten sträflich versäumt, die politischen, juristischen und militärischen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Auftragserfüllung in einer solchen Lage zu schaffen.
Die deutschen Soldaten fühlen sich mit Recht von Politik und Bevölkerung zu wenig unterstützt. Die Ursachen sind das fehlende militärstrategische Konzept für Afghanistan, unehrliche Information über den Charakter des Einsatzes aus „Feigheit vor dem Bürger“, unzureichende politische und öffentliche Diskussion unseres Afghanistan-Engagements und die notorische Schönfärberei von Herrn Jung.
Und es wird sehr deutlich, dass es noch viel Zeit und großer Anstrengung bedarf, bis Afghanistan selbst für seine Sicherheit sorgen kann.
Insgesamt sind die Rahmenbedingungen für den Einsatz der deutschen Bürger in Afghanistan bedauernswert. Grund genug für die politischen Verantwortungsträger, für bessere Einsatzbedingungen zu sorgen.
Ich denke ja oft das ist...
Ich denke ja oft das ist vorausseilender Gehorsam der Bundeswehr. Ich zumindest habe keinerlei Aufschrei in der deutschen Bevölkerung bezugs der Tanklaster wahrgenommen. Nur bei den Außenpolitikredakteuren der Journaille der NATO-Länder.
Angst vor dem Einsatz schweren Geräts haben auch nur Generalstäbler und das BMVg, in der Bevölkerung macht das keinen Unterschied.
Denn: Die Gegner des Einsatzes unterstellen ja sowieso vietnamkriegartige Einsätze allerorten.