Zur Sicherheit

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Von den Alpen bis zum Hindukusch, von der Kieler Förde bis in den Golf von Aden: Die Kräfte der Bundeswehr sind längst über den halben Globus

ROE

| 10 Lesermeinungen

Die Meldungen des Einsatzführungskommandos über eine Serie von Feuerüberfällen am Wochenende auf deutsche Soldaten im Distrikt Chardara bei Kundus...

Die Meldungen des Einsatzführungskommandos über eine Serie von Feuerüberfällen am Wochenende auf deutsche Soldaten im Distrikt Chardara bei Kundus machen die unendlich verzwickte Herausforderung deutlich, vor der die Soldaten stehen. Sie werden immer wieder beschossen, die Angreifer mischen sich in Menschenmengen, dann werden verwundete oder angeblich bei den Schießereien getötete Kinder gebracht.

Das lenkt den Blick auf den – im Grunde alten – ROE-Streit, der auch gegenwärtig auf angelsächischen MilBlogs geführt wird (beispielsweise hier mit entsprechenden weiteren Links). Ein Argument lautet: Die Einsatzregeln schränkten die eigenen Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen, so sehr ein, dass die Soldaten selbst unzumutbar gefährdet würden. Eine noch weitergehende These: Auch die Zivilisten würden dadurch letztlich stärker gefährdet als sie ohne die ROE wären, weil erst dadurch der Anreiz entstehe, Unbeteiligte als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen, und im übrigen auch keine Nichtkombattanten auf der Straße herumstünden, wenn sie wüssten, dass keine Rücksicht genommen würde.

Eine These von vielleicht verlockender Konsequenz. Wir halten sie für abwegig. Offene demokratische Gesellschaften von heute, und zwar auch solche, die in dieser Hinsicht nicht so neurotisch reagieren wie die deutsche, würden einen rücksichtslosen Krieg nicht tolerieren. Und selbst die totalitär beherrschte sowjetische Gesellschaft hat die moralische Korruption durch das weitgehend rücksichtslose Vorgehen der Besatzungsarmee der achtziger Jahre letztlich nicht ertragen; auch wenn es am Ende nicht dies, sondern der ökonomische Kollaps war, der zum Rückzug geführt hat. Drittens ist auch der scheinbar pragmatische Aspekt durch jene Zeit widerlegt: Dass die Sowjets auch ganze Dörfer mit Artilleriefeuer dem Erdboden gleichgemacht haben, hat Mudschaheddin nicht davon abgehalten, dies bewusst zu provozieren, um Hass gegen die Besatzer zu schüren und wohl auch schon mit Blick auf die Propagandawirkung im Ausland.

Wir meinen: Die Alternative „ganz oder gar nicht“ klingt gut, stellt sich aber in dieser schönen Klarheit im Leben meistens nicht. Wobei wir uns dem sich verbreitenden Zweifel, ob der Einsatz mit angezogener Handbremse ein erfolgreiches Ende haben kann, auch nicht entziehen können. Aber darin sind wir uns sicher: Die Untauglichkeit der Methode „immer feste druff“ ist erwiesen.


10 Lesermeinungen

  1. Für den Blog bekommen sie das...
    Für den Blog bekommen sie das „Eiserne Fleißbienchen mit Eichenlaub“. Endlich kommt eine aktuelle internationale Bloggerdebatte im deutschsprachigen Raum an.
    „Ganz oder gar nicht“ greift aber zu kurz um die Lage umfassend zu beschreiben. Viele der neuen US-Truppen waren im Irak und haben gesehen wie eine geänderte Strategie mit weniger strikten ROE zum Erfolg führten. Dies würden sie in AFG ebenfalls gern umgesetzt sehen. Im Irak war allerdings die Bevölkerung weniger empfindsam auf Kallateralschäden während in AFG schon ein Gerücht genügt um Proteste auszulösen.
    McChrstal und Petreaus führten aus dem Irak die (nicht neue) populationcentric COIN in AFG ein. Dazu kam aber, anders als im Irak, der weitgehende Verzicht auf Steilfeuer und CAS.
    Jedenfalls wiederholen die USA keineswegs einfach die erfolgreiche Irakstrategie. Das führt zwangsläufig zu einer Entfremdung der kampferfahrenen Soldaten unterer Ränge(bis BTL-KDR) mit den strikten Vorgaben aus dem ISAFHQ.
    Ob diese Strategie funktioniert ist bis jetzt nicht bewiesen und wird sich wohl erst im Herbst zeigen wenn alle Truppen bereit sind.
    pi

  2. Causa Klein sagt:

    .... und wo ist der Wortlaut...
    …. und wo ist der Wortlaut der RoE für ISAF nun zu finden?
    Alle schreiben über die RoE – aber wo ist der Wortlaut?

  3. Causa Klein sagt:

    zu COIN empfehle ich mal als...
    zu COIN empfehle ich mal als ergänzende Lektüre:
    https://smallwarsjournal.com/blog/2009/08/7-observations-on-populationce/

  4. Causa Klein sagt:

    Nochmals zu COIN ... es begann...
    Nochmals zu COIN … es begann mit den Lehren aus dem Vietnamkrieg der Vereinigten Staaten von Amerika: siehe auch unter:
    https://www.cffc.navy.mil/gentile.pdf

  5. ähmm COIN begann nicht...
    ähmm COIN begann nicht einfach in Vietnam. Solange Militär zur Befriedung von unruhigen Gegenden eingesetzt wird, solange werden da auch Erfahrungen gemacht. Gut, nicht alle Methoden sind heute noch anwendbar aber Alexander der Große hat AFG befriedet. Die Römer die Provinz Judäa und auch die Kolonialgeschichte weißt einige bemerkenswerte Kampagnen auf. Richtig interessant sind aber wohl erst die Erfahrungen nach 1945. Vietnam der Franzosen, Algerien, Malaya, nochmal Vietnam usw.
    Einfach Vietnam als Ausgangspunkt nehmen ist zu einfach und vor allem ist es Wasser auf die Mühlen derer, die diese Konzepte, warum auch immer, ablehnen.
    pi

  6. Mehr Soldaten sind die...
    Mehr Soldaten sind die Lösung. Ganz ‚einfach‘. Hohe Personalstärke erlaubt es, gezielter vorzugehen, senkt die paranoide Belagerungsmentalität der Soldaten, da sie wissen, nicht alleine dazustehen, senkt die Möglichkeiten für Hinterhalte etc pp. Rücksichtnahme ist nur aus einer Position der Stärke durchführbar. Mit einem BTL Infanterie und der nötigen Rückendeckung hätte man auch die Tanklaster z. B. nicht Sprengen ‚müssen‘ sondern befreien können.
    Im Grunde kann nur mit flächendeckender, dauernder Präsenz ein Gewaltmonopol hergestellt werden. Und jedes zivile Gemeinwesen braucht erstmal ein Gewaltmonopol.

  7. Noergler sagt:

    "Eine These von vielleicht...
    „Eine These von vielleicht verlockender Konsequenz.“
    Auf der einen Seite besteht immer das „Der – oder ich“ Problem. Dennoch bin ich überzeugt, dass ein im demokratischen Deutschland aufgewachsener und ausgebildeter SoldatIn immer Hemmungen haben wird, auf Zivilisten zu schießen, selbst wenn diese aktiv einen Taliban schützen würden. Und das ist auch gut so.
    Man kann von niemandem verlangen, sein eigenes Leben nicht zu verteidigen. Wenn die Situation es erlaubt, den Kopf einzuziehen und den taktischen für den strategischen Vorteil zu opfern, sollte man das aber auf jeden Fall tun. Die meisten Berichte aus Afghanistan zeigen, dass die Taliban-Propaganda die Menschen sehr viel besser erreicht als ISAF PSYOPS.
    Das neue EKT-Video ist übrigens ziemlich ausdrucksstark. Vor wenigen Wochen noch hätte ich sowas auf Bundeswehr.de für unmöglich gehalten.

  8. hajuem sagt:

    "Die Einsatzregeln bestimmen...
    „Die Einsatzregeln bestimmen den Grad der militärischen Handlungsfreiheit.“ Auf deutscher Seite war die Rechtsposition des Soldaten auf sein individuelles Recht auf Selbstverteidigung reduziert. Damit aber wurde auch gegenüber dem Gegner keine Wirkung mehr erzielt. Im Gegenteil, der Gegner erstarkte! Und das eigentliche Ziel, der Bevölkerungsschutz wurde so sehr vernachlässigt, dass die kaum noch Beschützten wirksamere Beschützer forderten. Die deutsche Politik hat mit den für Afghanistan festgelegten Einsatzregeln eine neue Kategorie der Ineffizienz geschaffen. “ Siegen wird der, der militärisch fähig ist und nicht mit der Einmischung des Herrschers rechnen muß.“ (Sun Tzu)
    auxtroisglobes, der deutsche Großmeister vom Kriege (C v.C) hat ihrem Gedanken ein ganzes Kapitel gewidmet (3.Buch, 8.Kap). Die Überschrift lautet: „Überlegenheit der Zahl“. Die Amerikaner halten sich daran, nur mal wieder die Deutschen nicht.

  9. stoltesa sagt:

    Na ja, soo ausdrucksstark ist...
    Na ja, soo ausdrucksstark ist das EKT-Video nun auch nicht, aber ja, es ist ein Signal. Und wenn ich mal die Latenzzeit zwischen der Aufstellung des ersten EKT und heute zum Maßstab nehme, dürften die Vorschläge, die ich heute machen so im Jahr 2020 umgesetzt werden 😉

  10. hajuem sagt:

    Die "population-centric COIN"...
    Die „population-centric COIN“ ist in einem Punkt kontraproduktiv: Die Soldaten werden einem höheren Risiko ausgesetzt. Hohe Verluste aber unter den Soldaten untergraben die politische Durchhaltefähigkeit der Nationen, die in Afghanistan Truppen stellen und sie untergraben die Moral der dort eingesetzten Soldaten. Der geplante Abzug der Kanadier und die niederländischen Abzugsüberlegungen sind nicht zuletzt auch auf hohe Verluste zurückzuführen.
    So gesehen ist die Verlustvermeidung von politisch-strategischer Bedeutung. Sie aber ist, bei unveränderter Zielsetzung, nur über eine Verbesserung der Kampfausstattung erreichbar. Die Intensivierung des Schutzes durch Erhöhung der Kampfkraft könnte ein Weg sein, die „McChrystal-Strategie“ zu stärken.

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