Was für ein Zusammentreffen: Der einstige Verteidigungsminister Helmut Schmidt (er hatte noch weitere Ämter) und der heutige Minister Karl-Theodor zu Guttenberg auf einem Podium im Gespräch über Afghanistan, moderiert von Friedrich Merz. Allein die Konstellation reichte als Motivation, nach Hamburg an die Universität der Bundeswehr zu fahren, wo diese Veranstaltung der „Atlantik-Brücke“ am Donnerstagabend stattfand. Und das galt nicht nur für den Berufsberichterstatter. Die Eingangshalle, rings um einen erhöhten und mit rotem Teppich ausgekleideten Treppenabsatz („Roter Platz“) herum eng bestuhlt, war dicht gefüllt, vor allem mit jungen Soldaten.
Schmidt, als Namensgeber der Universität vor seinem eigenen Bronzekopf sitzend, zeigte sich sehr pessimistisch, was einen Erfolg der westlichen Staatengemeinschaft am Hindukusch anbelangt; wie gewohnt holte er geographisch und historisch weit aus. Guttenberg schwenkte gerne auf die auch ihm vertraute weite Umlaufbahn ein, dadurch im einzelnen vage bleibend, das aber wie gewohnt eloquent. Merz blieb ein angenehm zurückhaltender Moderator; er zeigte nicht einmal dann eine erkennbare Reaktion, als Schmidt sich knorrig die Anrede „Herr Bundeskanzler“ verbat, weil er sonst ständig denken müsse, Frau Merkel sitze hinter ihm.
Schlüsselsatz bei Schmidt, was das konkrete Afghanistanengagement betrifft: „Es wird langsam Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass man den Krieg irgendwann wird abbrechen müssen.“ Guttenberg dazu: Nicht den Krieg abbrechen, sondern in den Prozess der „Übergabe in Verantwortung“ einsteigen. Wieder Schmidt: „Übergabe setzt voraus, dass jemand da ist, der Verantwortung übernehmen kann.“ Afghanistan sei kein Staat, keine Nation, das sei es nie gewesen. Und Hamid Karsai sei nicht mehr als ein Oberbürgermeister von Kabul.
Aus dem Notizbuch:
Schmidt: Für den Problemkomplex Afghanistan – internationaler Terrorismus – Pakistan – zentralasiatische Staaten gebe es keine Lösung. Schon im Sommer 2008 habe er in einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Merkel, dem damaligen Verteidigungsminister Jung und dessen Generalinspekteur Schneiderhan die „weitgehende Aussichtslosigkeit“ des Unterfangens festgestellt. „Inzwischen zeichnet sich eine Tragödie klassischen Zuschnitts ab.“ Die Zahl der transkontinental agierenden Terroristen habe nicht ab-, sondern zugenommen. „Das deutsche Interesse gebietet es, dass Deutschland sich weder innerhalb der Nato noch der EU isoliert.“ Daher dürfe es auf keinen Fall einseitige Abzugsbestrebungen zeigen, woran auch die Entscheidungen in Kanada und den Niederlanden nichts änderten. Der Altkanzler bemängelt, dass in der langen Entscheidungsfindung der Regierung Obama über die revidierte Strategie keine europäische Vorstellung, von Deutschland und Frankreich entwickelt, in Washington vorgetragen worden sei.
Guttenberg erweitert den regionalen Komplex noch um Iran, Indien, China, Russland; dafür „haben wir noch keine überzeugende Lösung gefunden“. Gewiss sei aber das Scheitern, wenn man Afghanistan isoliert betrachte. Vorsichtiger Widerspruch, was die „Aussichtslosigkeit“ betrifft; jedoch, wenn es um die Vorstellung gehe, es gelte eine Krieg zu gewinnen, „bin ich ganz bei Ihnen“. Dass ein Erfolg nicht allein militärisch zu erreichen sei, hätten aber inzwischen auch die „ganz harten amerikanischen Kreise“ begriffen. Umgekehrt komme die Vorstellung einer Selbsttäuschung gleich, der sich die Deutschen zu lange hingegeben hätten, der zivile Aufbau lasse sich vom Militärischen trennen. In der innenpolitischen Vermittlung habe man den Fehler gemacht, nicht auf den schwer erklärlichen Ursprung des Afghanistaneinsatzes aus der terroristischen Bedrohung zu verweisen, sondern man habe „Gründe um Gründe nachgeschoben“.
Was also kann überhaupt erreicht werden, fragt der Moderator Merz. Schmidt: Man habe anfangs zwei Ziele in Afghanistan gehabt: Al Qaida dort zu erledigen, und die Taliban. Ersteres sei gelungen, gleich am Anfang; letzteres sei nicht zu erreichen. Von den rund 200 Staaten der Welt seien immerhin 40 – ein Fünftel – in Afghanistan engagiert. Aber es gebe auch 50 – ein Viertel – Staaten mit islamischer Prägung, und in vielen von ihnen regten sich „terroristische Grüppchen und Organisationen“ stärker noch als vor neun Jahren in Afghanistan. „Das Ziel ist nicht zu liquidieren ohne den Blick auf die anderen 49 Staaten.“ Am Hindukusch müsse man den Krieg abbrechen. „Jemand, der einen Krieg nicht gewinnen kann, muss rechtzeitig verhandeln.“ Ziel des Westens müsse es sein, einen dieses Jahrhundert bestimmenden Konflikt mit der islamischen Welt zu vermeiden.
Dieses Motiv vertieft Schmidt später noch: Die zu gegenwärtige und künftige Bevölkerungsexplosion finde nicht in Europa statt – im Gegenteil -, sondern in Afrika, Asien, in den islamischen Ländern. „Wir sollten überflüssige Herausforderungen des Islam vermeiden. Das gilt für Palästina wie für Afghanistan. Und an anderer Stelle: Man dürfe nicht Russland und China aus der Verantwortung entlassen. Und auch nicht Israel.
An dieser Stelle gab es den einzigen spontanen, wenn auch nicht rauschenden, Applaus aus dem Publikum.
Gut, das die HSU es mit...
Gut, das die HSU es mit Livestream übertragen hat.
Nebenbei war noch eine ganze Schar Politprominenz im Publikum. EX-GI Altenburg, Rudolf Scharping, viele internationale Konsulen(in HH gehören die einfach dazu) usw.
Rudolf Scharping hat einen wirklich guten Einwurf gebracht. Am 11./12. Sep 2001 hat sich Deutschland, mit europäischen Verbündeten abgestimmt, dazu entschlossen in der NATO den Bündnisfall erklären zu lassen. Die USA haben uns nicht gedrängt. Es war unser eigener Anrieb Solidarität mit den USA zu zeigen.
Das wird heute gern vergessen.
Der Ex-Linken Abgeordnete Paech hatte es schwer bei dem Publikum auf Sympathien zu stoßen. Bei ihm kam auch die Senilität eines ergrauten Professors zum Vorschein. Herr Merz hat ihn auch konsequent abgewürgt.
…am Rande Mittags noch Gebirgsjäger in Bad Reichenhall verabschieden und abends in HH mit Schmidt fast 2 Stunden diskutieren. Respekt.
pi
"Man dürfe nicht Russland und...
„Man dürfe nicht Russland und China aus der Verantwortung entlassen. Und auch nicht Israel.“ Zwei Damen der Hamburger Kaufmannsschicht vor mir: „Na los, jetzt aber“ (heftiges Klatschen der gleichzeitig aufstehenden Damen).
Ich möchte meinen, dass bei zu Guttenbergs Schlag gegen den jüngsten Budenzauber der Linke-Fraktion im BT ähnlich heftiger Applaus aufbrandete.
Schade fand ich es, dass nur über das Für und Wider diskutiert wurde. Die Frage, ob das gegenwärtige Engagement in finanzieller und personeller Sicht ausreichend ist um überhaupt erfolgreich zu sein wurde leider nicht beantwortet. Die im Vorlesungsstil vorgetragenen Fragen des Prof. em. sowie die ausschweifende Frage des äußerst beliebten Konventsvorsitzenden nahmen leider die Zeit um dies zu erörtern.
Das Klatschen bei der...
Das Klatschen bei der kritischen Erwähnung Israels war unheimlich.
@Trompel: Warum? Weil es aus...
@Trompel: Warum? Weil es aus dem traditionell konservativen Milieu des Offiziercorps und der ähnlich veranlagten Hamburger Oberschicht kam? Weil diese per se israelfreundlich sein sollten? Weil beispielsweise die israelische Siedlungspolitik nicht zu kritisieren ist?
Erklären Sie sich bitte.
@Horst
Genau. Wenn Angela...
@Horst
Genau. Wenn Angela Merkel erklärt, dass jeder Angriff auf Israel ein Angriff auf uns ist und der Minister, der auch israelfreundlich ist, anwesend sind, dann ist das Klatschen nicht angemessen. Nebenbei, nur gegen Israel aber nicht gegen gegen China und Russland klatschen ist Mist. Plumper Anti-Zionismus.
Naja, der StaBü in Uniform darf klatschen, wenn er will. Da haben sie am Ende Recht.
Und das ach so konservative Milieu ist längst ein pluralistisches Abbild unserer Gesellschaft. Natürlich wird immer bürgerlich-konservativer gedacht, aber Denkverbote gibt es keine mehr.
pi
Na, ja. Wurde denn gezeigt wer...
Na, ja. Wurde denn gezeigt wer bei der (kritischen) Erwähnung Israels geklatscht hat? Könnte genauso gut der örtliche Ableger der KPD gewesen sein.
@pi
Es macht allerdings einen...
@pi
Es macht allerdings einen Unterschied ob Russland und China ihrer passiven Haltung wegen kritisiert werden oder ob BK a.D. Schmidt Israel vorwirft, aktiv das Ansehen des Westens zu schädigen (indirekt durch die „bedingungslose“, um das Wort des Abends aufzugreifen, Unterstützung Israels durch den Westen). Ich wage zu behaupten, dass Realisten beider Lager, von dem Festhalten an wirtschaftlich unsinnigen Siedlungen voller religiöser Fundamentalisten mittlerweile etwas ermüdet sind. Keiner der StaBü in Uniform hinterfragt hier das Existenzrecht des Staates oder verniedlicht die palästinensischen Angriffe auf Israel. Aber ein Schritt der israelischen Politik in Richtung „der klügere, demokratischere, militärisch und wirtschaftlich überlegenere gibt nach“ wäre durchaus mal wieder an der Zeit.
Nachtrag: "beide Lager"...
Nachtrag: „beide Lager“ bezieht sich auf das politische Spektrum unserer Gesellschaft (stark verallgemeinert). Nur um Missverständnissen vorzubeugen.
Nachgeben hat Israel bisher...
Nachgeben hat Israel bisher nur geschadet. Libanonrückzug…
In dieser Gegend gelten andere Regeln als in Europa. Nachgeben ist ein Zeichen von Schwäche und ein Sieg für die andere Seite. So ein Sieg motiviert zu neuen Forderungen gegenüber Israel.
Die passive Haltung der Großmächte schadet uns und hilft ihnen. Daher kann man zu Recht diese Haltung kritisieren.
pi
Dann kann ich aber auch nur...
Dann kann ich aber auch nur betonen, dass auch in China andere Regeln gelten. Das Streben nach Harmonie und die bisherige militärische Nichteinmischung widersprechen schließlich auch einem Engagement in AFPAK. Das China auf der anderen Seite in den islamischen Ländern stark wirtschaftlich aktiv ist und sich deswegen lieber neutral präsentiert steht auf einem anderen Blatt.
Fakt ist doch, dass der kleine Leutnant von der Straße nicht unbedingt erkennt was Sie gerade erwähnten. Nämlich dass man in der isr. Regierung der Meinung ist wegen dieser penislängebasierenden keine-Schwäche-zeigen-Politik der Region, wenig Zugeständnisse machen zu müssen. Aber militärisch kann der Laden ja scheinbar auch nicht komplett in Schuss gehalten werden. Was also tun?