Zur Sicherheit

Nebelwände und Realitäten

Der Zeitschrift „Loyal“ des Reservistenverbands hat General Volker Wieker sein erstes ausführliches Interview gegeben (Heft erscheint am 1. Mai, wir zitieren mit freundlicher Zustimmung der loyalen Kollegen). Fünf Aussagen sind uns als hier festhaltenswert aufgefallen:

1. Die Panzerhaubitzen sollen in Kundus zuvörderst dazu dienen, Nebelwände zu errichten, als Waffe nur Ultima Ratio, um sich vom Gegner zu lösen. Folglich wäre die Option, damit gezielt Aufständische zu bekämpfen, nicht vorgesehen.

„Durch den taktisch richtigen Einsatz der Panzerhaubitzen kann die Truppe vor Ort ihre Handlungsoptionen erweitern, zum Beispiel indem sie Aufständischen durch präzise und breit gelegte Nebelmunition die Sicht auf kritische Wegstrecken nimmt und damit amgezielten Auslösen von Sprengfallen gegenmarschierende Kolonnen hindert. Auch Verwundete können im Schutz des Nebels besser geborgen werden. Außerdemerhalten die Kommandeure vor Ort damit eine ständig zur Verfügung stehende Waffe als „Ultima Ratio“, die es der eigenen Truppe in Krisenlagen erlaubt, sich vomGegner zu lösen. Die  Verlegung weiterer Schützenpanzer „Marder“ ermöglicht uns, jede Infanteriekompanie der beiden aufzustellenden Ausbildungs- und Schutzbataillone einheitlich auszustatten und ihre Wirkung deutlich zu  erhöhen. Auch dies dient dem Schutz unserer Truppe und ermöglicht ihr eine bessere Auftragsdurchführung. Das bedeutet aber keinesfalls eine Abkehr vom eingeschlagenen Weg, wiemanche vielleicht unterstellen mögen. Vielmehr bleiben die existierenden Einsatzregeln gültig. Im Mittelpunkt steht unverändert der Schutz der Bevölkerung.“

2. Die Bundeswehrsoldaten kämpfen professionell, sie werden von den Taliban gezielt unter Feuer genommen, um die Heimatfront zu schwächen. Vor Verlusten schützt auch gute Ausrüstung nicht.

„Bei den Kampfhandlungen am Karfreitag handelte es sich um einen sehr komplexen, zeitlich und räumlich koordinierten Angriff. Art undWeise deuten auf eine zentrale Führung und eine sehr enge Koordinierung der Angreifer hin. Das hatten wir in Kunduz so noch nicht. Unsere Soldaten haben trotz eigener Verluste den Raum gehalten, ihre Tapferkeit steht außer Frage und ihre infanteristische Leistung ist nicht hoch genug einzuschätzen. Bei den Gefechten am 15. April handelte es sich um eine recht erfolgreiche Offensivoperation der afghanischen Armee, die durch unsere Militärausbilder unterstützt wurde – so wie es konzeptionell vorgesehen ist. Die Aufständischen haben abermit ihren Wirkmitteln – in einem Fall ein IED, in einemanderen eine rückstoßfreie 82-Millimeter-Handwaffe – gezielt auf deutsche Kräfte gewirkt, umgerade bei uns Verluste zu erzielen und damit die politische Diskussion in Deutschland weiter anzufachen. Ich hoffe, dass sie damit im Endeffekt keinen Erfolg haben. (…) Gerade in einem asymmetrischen Konflikt werden sie trotz der Verfügbarkeit moderner Aufklärungsmittel nicht verhindern können, dass die eigene Truppe in Hinterhalte gerät und es zu Gefechten auf kurzer Distanz kommt, bei denen schwere Waffen und Panzerschutz zwar helfen, aber nicht allein die Entscheidung bringen können. Außerdem kann auch das bestgepanzerte Fahrzeug durch eine Erhöhung der Sprengladung eines IED zerstört werden. Dass es in solchen Gefechten zu Toten und Verwundeten auf der eigenen Seite kommen kann, gehört zu den Realitäten eines bewaffneten Konflikts.“

3. Was die gegenwärtigen und bevorstehenden Isaf-Operationen betrifft, glauben wir, zwischen den zuversichtlichen Zeilen Skepsis zu erkennen, ob das Ganze nicht unter einem zu hohem Zeitdruck steht (Die Schlüsselworte sind hier „Zeit“, „durchhaltefähig“ sowie die Einschränkungen, ehe das ehrgeizige Ziel von einem Jahr genannt wird).

„Die Umsetzung der Direktive des ISAF-Kommandeurs General Stanley A. McChrystal in konkrete Operationen und nachhaltige Erfolge benötigt insbesondere eines: Zeit. Für uns, für die Bundeswehr, gilt: Im Spätsommer wollen wir mit der Umstrukturierung unserer Truppen soweit sein, dass sie in der Lage sind, gemeinsam mit den afghanischen Sicherheitskräften den neuen Ansatz von ISAF zu verfolgen. Es gibt keinen anderen Weg zumErfolg in Afghanistan, als die Afghanen in die Lage zu versetzen, eigenständig für die Sicherheit in ihrem Land sorgen zu können.“ Die Operation Moshtarak verlaufe „Sehr zufriedenstellend. Wir hatten es dort mit einer Taliban- Hochburg entlang des Helmand- Flusses zu tun. Dank der US-amerikanischen Verstärkungskräfte konnten die Aufständischen vertrieben werden, auch der anschließende politische Stabilisierungsprozess und die Bemühungen umein sicheres Umfeld und um Wiederaufbau sind beispielhaft für kommende Operationen. Allerdings müssen sie auch durchhaltefähig angelegt sein. (…)“ Wann werden die Operationen beendet sein? „Das hängt davon ab, wann die afghanischen Sicherheitskräfte eigenständig für die Sicherheit ihrer Landsleute sorgen können, es hängt davon ab, inwieweit die Aufständischen nach ihrer Vertreibung in der Lage sind, sich zu reorganisieren, und es hängt vom Willen der Bevölkerung ab, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir reden hier über die Dauer von mindestens einem Jahr.“

4. Laufbahnrecht und Stan-Verfahren sind Zementklötze am Bein des Transformierers.

„Eine kontinuierliche Modernisierung  und Anpassung der Streitkräfte  an den Einsatzbedarf  macht Sinn. Die Frage allerdings  ist, ob unser Instrumentarium  für die Streitkräfteplanung ausreicht,  die Transformation effizient  umzusetzen. (…) Zum Beispiel das STAN-Verfahren,  haushalterische Rahmenbedingungen  und die Ausrüstungsplanung.“  Der Stärke- und Ausrüstungsnachweis  (STAN) bestimmt,  welches Personal nach Funktionen  und Ausbildung und welches  Material in den Einheiten  als planmäßige Ausstattung  festgelegt sind, „und damit macht er die Bundeswehr  unflexibel. Der Personal und  Materialbedarf von Einsatzverbänden  kann sich, abhängig  von der Lageentwicklung, schnell  ändern. Darauf müssen moderne  Streitkräfte schnell reagieren  können. Beispiel Personal: Es  würde uns helfen, wenn wir  Dienstzeiten flexibler gestalten  könnten. Es sollte möglich sein,  die Dienstzeit etwa eines SaZ 8,  wenn wir ihn brauchen können  und er das will, umein, zwei oder  drei Jahre zu verlängern. Auf  diese Weise könnten wir die Zahl  der notwendigen Einstellungen  in die Bundeswehr reduzieren  und gleichzeitig länger die  Kenntnisse und Erfahrungen aufwändig  ausgebildeter Soldaten in  Anspruch nehmen. Zugleich gilt  es, Ausbildungszeiten zu optimieren  und Stehzeiten in den Verbänden  zu verlängern.“    

5. Aufgaben und Mittel im Wehretat stehen nicht im Einklang!

„Für den Einzelplan 14 weist der Finanzplan  von 2011 bis 2013 einen  jährlichen Umfang von rund 31  Milliarden Euro aus. Der Haushalt  wird jedoch jährlich beschlossen,  sodass abzuwarten bleibt, wie  sich der Wehretat auf der Grundlage  der Chefgespräche tatsächlich  entwickeln wird. Auch wenn  die Kürzung bislang moderat aussieht:  Der Substanzverlust wäre  wesentlich höher, weil zumBeispiel  die Ausgaben für die Einsätze  steigen. Mit dieser Finanzausstattung  werden jedenfalls die  Aufgaben der Bundeswehr, die  daraus resultierende Ausrüstungsplanung  sowie die Streitkräftestrukturen  nichtmehr in  Einklang zu bringen sein.

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