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Von den Alpen bis zum Hindukusch, von der Kieler Förde bis in den Golf von Aden: Die Kräfte der Bundeswehr sind längst über den halben Globus

Auf Zivilisten schießen

| 14 Lesermeinungen

Folgende Meldung hat die Nachrichtenagentur dapd veröffentlicht: Deutsche Soldaten haben beim ISAF-Einsatz in Afghanistan auch auf Zivilisten geschossen. Das...

Folgende Meldung hat die Nachrichtenagentur dapd veröffentlicht:

Deutsche Soldaten haben beim ISAF-Einsatz in Afghanistan auch auf Zivilisten geschossen. Das räumte ein Soldat im Interview mit der Nachrichtenagentur dapd ein. „Doch, ich habe auch auf Zivilisten geschossen, von denen ich aber definitiv sage, das waren in Wirklichkeit feindliche Kämpfer. Die haben Stellungswechsel gemacht, die waren gerade dabei, uns zu umgehen“, sagte der Bundeswehrangehörige.

Hierzu drei Anmerkungen:

Wenn Soldaten in einem Gefecht auf feindliche Kämpfer schießen, dann schießen sie nicht auf Zivilisten, sondern auf feindliche Kämpfer. Diese schlichte Tautologie ignoriert, wer durch Formulierungen wie „räumte ein“ und Überschriften wie  „Deutsche Soldaten schossen in Afghanistan auf Zivilisten“ einen Skandal insinuiert.  Dass es sich bei der beschriebenen Situation um ein Gefecht handelt, geht schon aus dem dürren, herausgeklaubten Zitat hervor, mit dem die Agentur ihren Skandal belegen will, denn dort ist von „Stellungswechsel“ und „umgehen“ die Rede.

Wahr ist allerdings, dass die Unterscheidung für die Soldaten hochproblematisch ist. Denn bekanntlich tragen die feindichen Kämpfer in Afghanistan nicht Uniform und sind daher äußerlich nicht von Zivilisten zu unterscheiden, sondern nur durch ihr Verhalten. Das Verhalten ist zumal in der Hitze des Gefechts und auf die Schnelle oft nicht eindeutig zu bewerten. Auf dieses Problem wollte der zitierte Soldat offensichtlich hinweisen. Das Dilemma ist schwerwiegend: Schießt man auf einen Unbewaffneten, der sich (durch Rennen in die falsche Richtung, durch Telefonieren etc) verhält wie ein Kämpfer, so kann es einen tatsächlich Unbeteiligten treffen. Schießt man nicht, sondern lässt einen scheinbar Unbewaffneten an sich heran, so kann man durch ihn in den Tod gerissen werden wie zuletzt ein deutscher Soldat am 7. Oktober. Das Dilemma ist auch diskussionswürdig. Aber Diskussion ist etwas anderes als Skandalisierung.

Und schließlich ist das Problem weder neu, noch ist es auf die Bundeswehr beschränkt. Die Amerikaner hatten es – und wie darauf mit Einsatzregeln zu reagieren sei – schon im Irakkrieg und dann immer wieder in Afghanistan diskutiert, zum Beispiel hier. Und in Deutschland ist es spätestens seit der Taschenkartendiskussion 2008/2009 präsent. Ganz zu schweigen vom Luftschlag bei Kundus am 4. September 2009.


14 Lesermeinungen

  1. hhkfdieter sagt:

    Gute Anmerkungen, danke....
    Gute Anmerkungen, danke.

  2. Plindos sagt:

    Wenn man sich z. B. den...
    Wenn man sich z. B. den Content der u. a. Edition ansieht samt Erscheinungsjahr, dann ist das O-Problem doch schon länger evident. Es ist „einfach“ eine eminent politische Eentscheidung ob man die Truppe in so „etwas“ hineinschickt. Dem Schützen-Arsch an der frontline mit Moralin zu kommen, egal von welcher Seite, ist wenig hilfreich. Seit den „desastres de la guerra“ von Francisco Goya weiß eh jeder Troupier was das heißt in die chose hineinzugehen. Ob Napoleon Ier seinen Coup 1808 in Spanien gelandet, wenn er geahnt hätte, wie seine Truppen dezimiert und ohne greifbare Ergebnisse bluteten, ist die Frage. Hinterher ist man (eventuell) klüger.
    Clausewitzens diesbezügliche klassischen Erkenntnisse weisen letztlich s. o. auf die Politik zurück.
    ..
    Schröfl, Josef & Pankratz, Thomas (Eds.) (2004): Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik. (Asymmetric Warfare, a New Phenomenon of International Policy?) Baden-Baden: Nomos.

  3. Wie einige Erregungswellen der...
    Wie einige Erregungswellen der vergangenen Monate wird auch diese von Agenturen und Online-Medien befeuert, die Zitate aus dem Zusammenhang heraus verfälschen, um schnell und griffig formulieren zu können.
    Es ist bezeichnend, dass es eine junge Nachrichtenagentur ist, die jedwede Aufmerksamkeit (und Kunden) brauchen kann, die mit solch reißerischen Formulierungen daherkommt.
    „…auf Zivilisten geschossen“ – dies wird dann u.a. von der Online-Abteilung der ehemals renommierten WELT weiterposaunt: „Bundeswehr feuert angeblich gezielt auf Zivilisten“ heißt es da. Also nicht: auf „angebliche Zivilisten“. oder auf „mutmaßliche“, wie das schöne Unwort heißt.
    Qualitätsjournalismus ist das jedenfalls nicht…

  4. HansMeier555 sagt:

    Sind deutsche Politiker,...
    Sind deutsche Politiker, Diplomaten, Spitzenbeamte und ihre Spin-Doctoren eigentlich Zivilisten oder legitime Ziele im Sinne des Kriegsrechtes?

  5. LOsmers sagt:

    Zum wiederholten Mal: es...
    Zum wiederholten Mal: es rächt sich, daß die Bundeswehr alle Erfahrungen der Wehrmacht im Partisanenkrieg resp. Bandenkampf verschmäht (wie sie ja auch auf alle soldatischen Traditionen pfeift und in kaum glaublicher Arroganz glaubt, in dieser Hinsicht sich selbst genügen zu können.)
    .
    Also: wer als „Zivilist“ mit der Waffe in der Hand aufgegriffen wird, auf „frischer Tat ertappt wird“, hat die Folgen nach dem Kriegsvölkerrecht zu tragen.
    .
    Tragbare Telefone gab’s nicht. Der Befehl „Wer telefoniert, wird erschossen“ war gegenstandslos und wäre verbrecherisch gewesen.
    .
    „Wer als ‚Zivilist‘ Stellungswechsel macht, wird erschossen“ – absurd und in der Wehrmacht ebenfalls als Kriegsverbrechen unnachsichtig zu ahnden.
    .
    Sich als Soldat in ungeklärter Lage durch „Telefonieren“ oder „Stellungswechsel“ von Zivilisten bedroht zu fühlen, rechtfertigt in keinem Fall den scharfen Schuß.
    .
    Hier den Gefechtsregeln der angelsächsichen Verbündeten zu folgen verbietet sich. Auch wenn man sich bedroht fühlt. Das ist soldatisches Risiko.
    .
    Und entspricht ethisch deutscher Tradition – siehe oben. Auch wenn es unter dem Gesichtspunkt der Politischen Korrektheit unerwünscht, gar verboten ist, sich darauf zu berufen.

  6. @LOsmers

    es ist mehr als ...
    @LOsmers
    es ist mehr als zwiespältig, wenn Sie auf die Erfahrungen der Wehrmacht im Partisanenkrieg zurückgreifen. Denn Sie verschweigen beredt die Usancen des „Kriegsbrauchs“.
    Es wäre sicher nicht besonders hilfreich, würde die Bundeswehr „nach Kriegsbrauch“ gegen Dörfer und deren Bewohner verfahren, aus denen heraus unsere Soldaten beschossen werden.

  7. Wer ist...
    Wer ist ANALFABET?
    politiker????????
    Jurnalisten????????
    wir die zivil Bevölkerung wissen , das der Taliban Zivil Person ist.
    Wenn die Medien wissen nicht wieso sind unsere Soldaten in Afghanistan , selber Schuld.
    Medien und Politiker machen sich mit ihre inkompetente Beiträgen lächerlich.
    Wieso haben die Politiker diese Einsatz zugestimmt. Sie sind SCHULDIG.

  8. Plindos sagt:

    Die Problematik trat dann...
    Die Problematik trat dann weiter im Guerilla-Krieg gegen Bayern mit dessen Verbündetem Frankreich (Napoleon) in Tirol auf, S. Andreas Hofer. Als nächstes konnten die vereinigten deutschen Truppen, an der Spitze Preußen, mit den Franktireurs 70/71 ihre diesbezüglichen Erfahrungen zu diesem „Phänomen“ sammeln. Zivil geht es bei dieser Art von Krieg, vornehm ausgedrückt, garantiert nicht zu, und zwar auf beiden Seiten. Es ist mit dem Öffnen der Pandorabüchse zu vergleichen.
    ..
    LOsmers@: Ob sich die Wehrmacht in der damaligen SU, Italien, Juguslawien, Griechenland, Frankreich oder in Polen nach Ihren Vorstellungen immer „sauber“ verhalten hatte, wage ich füglich zu bezweifeln. Von dem Verhalten der Waffen-SS-, oder den dorthin jeweils gesandten, deutschen Polizeieinheiten in Anti-Partisanen-maßnahmen eingesetzt, einmal ganz abgesehen.

  9. Plindos sagt:

    Eine kleine Story...
    Eine kleine Story (disclaimer): In Kalamata, Griechenland umstellte, weil einige Wehrmachtsangehörige in einen Hinterhalt gerieten und fielen, die Wehrmacht, als sog. Sühneaktion, die Altstadt. Danach, so erzählte es mir jemand, der die Aktion als kleiner griechischer Junge mitbekam, wurden die Häuser durchkämmt und alle waffenfähigen Männer im Alter von 16 -60 Jahren auf einem Platz zusammengetrieben und in Reihen aufgestellt. Mein Gewährsmann wollte, er hatte keine Ahnung was vor sich ging, seinen Vater zum Mittagessen nach Haus holen. Ein mit einer MP bewaffneter Soldat bekam mit wie er seinen Vater am Ärmel zupfte und ansprach. Mit einem Augenwink liess er zu, daß jener aus der Reihe verschwinden durfte. Alle Andern wurden summarisch erschossen.

  10. Sehr geehrter Herr...
    Sehr geehrter Herr Löwenstein,
    da Sie nur auf den ersten Absatz unserer Meldung verweisen und daraus weitergehende Schlüsse ziehen, füge ich zu Ihrer Orientierung die dapd-Meldung in Originallänge bei. Daraus werden verschiedene Aspekte deutlich, etwa, dass wir immer von Gefechtssituationen gesprochen haben. Die Zivilisten, von denen der Soldat spricht, haben wir jedoch – im Gegensatz zu Ihnen – nicht bereits als feindliche Kämpfer eingestuft. Auf jeden Fall wird aus der Meldung in voller Länge deutlich, dass die dapd nicht skandalisieren, sondern eine notwendige Debatte anstoßen wollte.
    Wir zeigen ein grundlegendes und unbedingt zu diskutierendes rechtliches Problem auf. Wer ist unzweifelhaft geschützter Zivilist? Wer ist direkt an Feindseligkeiten beteiligter Zivilist? Und wer ist Kämpfer? Diese Fragen stellen sich für die deutschen Soldaten in der Realität des Einsatzes inzwischen fast täglich. Mit gravierenden Konsequenzen für sich selbst, für die „Zivilperson“ oder für die Kameraden.
    Dass es mir um die Debatte geht, habe ich auch durch einen weiteren, erklärenden Beitrag deutlich gemacht, den wir am Monatg veröffentlichten. Darin verweise ich die für diese Fragen maßgeblichen Genfer Konventionen und die aktuellen Richtlinien, die das Internationale Komitee des Roten Kreuzes formuliert hat. Es geht dabei um die Einordnung von Zivilisten, die sich direkt an feindseligen Akten beteiligen. Ich kann diese Richtlinien (ICRC: Interpretive Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law) nur jedem, der sich für diese Materie interessiert, zur Lektüre empfehlen.
    dapd-Originalmeldung vom 25.10.2010:
    Deutsche Soldaten schossen in Afghanistan auf Zivilisten
    Deutsche Soldaten haben beim ISAF-Einsatz in Afghanistan auch auf Zivilisten geschossen. Das räumte ein Soldat im Interview mit der Nachrichtenagentur dapd ein. „Doch, ich habe auch auf Zivilisten geschossen, von denen ich aber definitiv sage, das waren in Wirklichkeit feindliche Kämpfer. Die haben Stellungswechsel gemacht, die waren gerade dabei uns zu umgehen“, erklärte der Bundeswehrangehörige.
    Der Soldat führte in Afghanistan ein Einsatztagebuch, das ab Montag zusammen mit kommentierenden Interviews in mehreren Teilen von der Nachrichtenagentur dapd veröffentlicht wird. Darin schildert er auch das Gefecht bei dem Dorf Isa Khel am Karfreitag, bei dem drei Fallschirmjäger fielen und weitere zum Teil schwer verwundet wurden. Nach dem Kampf hätten sich Soldaten darauf verständigt, zukünftig auf Zivilisten zu schießen, die während eines Gefechtes telefonieren oder schreiend zwischen Gehöften hin und her laufen, sagte er.
    „Die normalen Zivilisten hocken sich bei einem solchen Gefecht in die Ecke oder legen sich auf den Boden und warten, bis es vorbei ist.“ Man habe die Erfahrung gemacht, dass im Gegensatz dazu feindliche Kämpfer ihre Waffe in dem einen Gehöft zurückließen, unbewaffnet in ein anderes Haus liefen und mit einer dort parat liegenden Waffe weiter auf die deutschen Truppen feuerten. „Auf den schreienden Zivilisten, der von Compound zu Compound rennt, wird geschossen, weil man sagt, dass der zum Feind dazugehört und nur so gestoppt werden kann“, erklärte der Soldat.
    Zivilisten sind in Kriegszeiten grundsätzlich durch das humanitäre Völkerrecht geschützt. In den vergangenen Jahren haben sich aber in einer zunehmenden Zahl von Konflikten auch Zivilisten an Militäraktionen beteiligt. Daher hat das Internationale Komitee des Rotes Kreuzes (IKRK) Richtlinien entwickelt in denen dargestellt wird, wann auch sie bekämpft werden dürfen. Als Beispiel nennt das IKRK einen Lastwagenfahrer, der Munition oder Waffen direkt zu einer Kampfstellung an der Front transportiert. Er würde mit großer Gewissheit die Schutzrechte eines Zivilisten verlieren.
    dapd/my/oja/lü

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