30 amerikanische Soldaten gefallen, dazu sieben afghanische und ein Übersetzer: Die Bilanz des Hubschrauberabsturzes eines Spezialkräftekommandos vom Wochenende ist verheerend, auch wenn der Vorfall in den heutigen Nachrichten und Zeitungen kaum mehr erwähnt wird. Er wird überschattet von den „Angst“-Überschriften über den Börsennachrichten. Doch es ist der verlustreichste Vorfall seit Beginn des Afghanistaneinsatzes vor bald zehn Jahren, und er könnte durchaus über das Menschliche und das Militärisch-Taktische hinaus Folgen haben. Je nachdem, was die Ursache war.
Über die Ursache kann vorerst nur spekuliert werden. Die Taliban rühmen sich, den CH-47 „Chinook“ abgeschossen zu haben, aber das heißt nicht viel. Das würden sie auch tun, wenn er abgestüzt wäre, was, soweit wir sehen, auch noch nicht ausgeschlossen ist. Aber die Meldungen deuten in der Tat auf eine Kampfhandlung hin. Wenn es der Treffer einer „dummen“ Panzerfaust war, dann würden sich in erster Linie Fragen der Taktik und der Absicherung stellen, wozu uns hier die Kompetenz fehlt. War es der Treffer einer „intelligenten“ Rakete, die die Abwehrmaßnahmen des Hubschraubers überwunden hat, dann könnte der Vorfall strategische Bedeutung haben; man denke an die kriegsentscheidende Wirkung der Stinger im sowjetischen Afghanistankrieg. Schließlich gab es vereinzelt Meldungen, es werde auch dem Verdacht nachgegangen, dass die Taliban einen Selbstmordbomber eingeschleust haben. Das würde das Vertrauen der Nato zu den Afghanen schwer erschüttern, gerade weil die afghanischen Spezialkräfte von den Militärs oft gelobt werden. Wir halten diese Variante aber für weniger wahrscheinlich, weil sich die Taliban sonst wohl dieses propagandawirksamen Erfolges ausdrücklich gerühmt hätten.
Eine Verbindung von dem Absturz des „Chinook“ zu früheren Meldungen, Iran rüste und schule afghanische Aufständische im Boden-Luft-Kampf zieht in einer Meldung der Nachrichtenagentur „Bloomberg“ der britische Parlamentsabgeordnete Mark Prichard:
Establishing the type of weapon used in the attack is necessary to gauge whether a more sophisticated threat has emerged in Afghanistan, Mark Pritchard, a U.K. Member of Parliament and vice-chairman of the Conservative Parliamentary Defence Committee, said by phone. „Most NATO aircraft are fitted with effective defensive suites counter-measures,“ said Pritchard. „The investigation will also need to examine what on-board and stand-off counter- measures, if any, were deployed in support of this particular mission.“ (…) Iran has been training Taliban fighters in the use of surface-to-air missiles and investigators will need to determine whether that training has now been matched with updated weaponry, British MP Pritchard said.
Noch eine Agenturmeldung vom Tage: Ein afghanischer Offizieller spricht von einer „Falle“
Kabul, 8. August (AFP) – Zwei Tage nach dem tödlichen Absturz
eines US-Hubschraubers ist in Afghanistan ein weiterer
NATO-Helikopter verunglückt. Bei der Bruchlandung am Montagmorgen
in der den USA unterstehenden östlichen Provinz Paktia sei jedoch
niemand verletzt worden, teilte die NATO mit. Ersten Erkenntnissen
zufolge habe es keinen Beschuss von Taliban-Kämpfern gegeben. Die
NATO leitete Ermittlungen zur Unglücksursache ein.
Am Samstag waren beim Absturz eines US-Hubschraubers in der
zentralöstlichen Provinz Wardak 30 US-Soldaten, sieben afghanische
Sicherheitskräfte und ein Übersetzer ums Leben gekommen. Es
handelte sich um den schwersten Verlust bei einem einzelnen Vorfall
seit dem Einmarsch in Afghanistan im Jahr 2001. Einem afghanischen
Regierungsvertreter zufolge waren die US-Truppen von den Taliban in
eine Falle gelockt worden. Die ISAF machte bisher keine Angaben zur
Absturzursache.
Mit diesem unfröhlichen Eintrag melden wir uns zurück aus den Sommerferien und danken den Lesern und Teilnehmern, vor allem den unermüdlichen Kommentatoren des Libyen-Krieges, die dieses Blog inzwischen schanghait haben. Nicht zuletzt mit Blick auf diese muntere Debatte hatten wir davon abgesehen, die Kommentarfunktion einzufrieren, während wir für vier schöne lange Wochen abgetaucht sind.
Mich erinnert der Vorfall an...
Mich erinnert der Vorfall an den Abschuss eines Chinook während der Operation Red Wing im Jahr 2005. Damals feuerten die Taliban während der Landung eine RPG-Granate durch die geöffnete Rampe in den Innenraum und töteten insgesamt 16 Soldaten.
Bis wir genauere Informationen haben, bleibt das natürlich reine Spekulation.
Da schließe ich mich meinem...
Da schließe ich mich meinem Vorredner an. Hubschrauber sind während Start und Landung extrem verwundbar, da langsam. Ein CH-46 dazu noch sehr groß. Bei einer Entfernung unter 150 Metern zum Schützen wäre dies noch nicht einmal ein Glückstreffer.
Der Einsatz einer Flugabwehrrakete MANPAD wäre in so einem Fall die reinste Verschwendung, könnte man mit ihr doch auf weit größere Distanzen das Ziel vernichten.
@Löwenstein: Zur Frage nach Taktik und Absicherung. M. E. ließe sich ein Treffer durch MANPAD nie, einer durch RPG nur bedingt vermeiden. Bei ersterer ist die Entfernung zum Ziel so hoch, dass eine frühzeitige Aufklärung des Schützen schwer erscheint. Hier stehen nur die Abwehrmaßnahmen des Hubschraubers gegen die Rakete. Die zweite Möglichkeit ist ebenso verzwickt. Trotz des Geleitschutzes durch Kampfhubschrauber und die beobachtenden Doorgunner genügt eine einzelne Person mit RPG. Dass sich diese in bebautem Gelände sehr leicht verstecken kann liegt auf der Hand.
Stephan Löwenstein erinnert...
Stephan Löwenstein erinnert zu recht an die Bedeutung des Einsatzes der Stinger (tragbare Boden-Luft-Lenkrakete, im Englischen meist als MANPAD (man portable air defense) bezeichnet, die das Ende der Afghanistan-Intervention der
Sowjets einläutete. Seine Leser haben ihm und seiner Familie den verdienten Urlaub von Herzen gegönnt; aber die Gelegenheit sollte doch genutzt werden zu fragen, wie lange die FAZ glaubt, mit nur einem sicherheitspolitischen/ militärischem Fachjournalisten – der noch dazu auf anderen wichtigen Hochzeiten zu tanzen hat – auskommen will.
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Im jüngsten Fall scheint es sich zwar um eine vor allem gegen Panzer optimierte
ungelenkte RPG (rocket propelled grenade) gehandelt zu haben. (vgl. dazu auch den ausführlichen Bericht im Independent https://www.independent.co.uk/news/world/asia/us-special-forces-die-after-taliban-shoot-down-helicopter-2333255.html), die für Flugzeuge vor allem bei Start und Landung gefährlich sind. Angeblich werden Taliban im Iran aber bereits im Einsatz von Lenkflugkörpern (LFK) ausgebildet. Gegen diese meist mit einem Hitzesuchkopf ausgerüsteten Waffen sind inzwischen zwar die meisten NATO-Kampf- und Transportflugzeuge und Hubschrauber mit Abwehrmitteln ausgerüstet; trotz deren ständiger Weiterentwicklung sollte sich niemand der Illusion hingeben, daß damit ein 100-prozentiger Schutz gewährleistet wird.
Der zweite Golfkrieg hat gezeigt, daß schon die im Cockpit angezeigte Annäherung einer feindlichen Lenkwaffe fatale Folgen haben kann. Der Pilot eines britischen Tornados, der einem auf ihn abgefeuerten LFK ausweichen wollte, bekam bei der abrupten Ausweichbewegung im Tiefflug Bodenberührung.
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Es bedarf keiner prophetischen Gaben um vorherzusagen, daß unter den geographischen und infrastrukturellen Gegebenheiten von Afghanistan eine auf LFK gestützte Luftverteidigung der Taliban das Ende der gesicherten Versorgbarkeit bedeuten würde.
...in der druckausgabe der FAZ...
…in der druckausgabe der FAZ unter der rubrik politische bücher wird heute ein buch besprochen, das sich wie ein dejá vu lesen dürfte: „Afgantsy. The Russians in Afghanistan 1979-1989“ von Rodric Braithwaite.
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wenn es sich um den abschuss durch eine RPG7 o.ä. handeln würde, dann könnte man (stichwort stinger) von einer bitteren ironie der geschichte reden.
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so richtige offensivmeldungen sind es nicht mehr, die von ISAF kommen. der abzug dürfte eine logistische herausforderung werden.
@detlef.weise
Das könnte man...
@detlef.weise
Das könnte man bei einem Abschuss mit RPG eben nicht, da sich diese überall verfügbare Massenwaffe fundamental von einer tragbaren Flugabwehrrakete STINGER o.ä. unterscheidet.
@Chris
ich meinte weniger die...
@Chris
ich meinte weniger die technologie, als vielmehr die herkunft derselben…
es wird auch spekuliert, bei...
es wird auch spekuliert, bei den gefallenen Soldaten handle es sich um dieselbe einheit, die auch Bin Laden getötet hat. Stimmt das?
Ich habe meine Zweifel, ob es...
Ich habe meine Zweifel, ob es irgendeinen Sinn macht, aus einem einzelnen Vorfall in einem Krieg bereits Schlussfolgerungen weitreichender Natur abzuleiten. Vor allem dann, wenn genaue Umstände eines sind – unbekannt. Nur dann, wenn der Transporthubschrauber mit einer tragbaren Luftabwehrwaffe abgeschossen wurde, hat der Vorfall vielleicht emblematische Bedeutung. Sonst ist er für den Krieg vollkommen bedeutungslos (für die Toten und ihre Angehörigen natürlich nicht).
Gruss,
Thorsten Haupts
@ThorHa: Die Amerikaner sehen...
@ThorHa: Die Amerikaner sehen das, nach einer Meldung n AFP wohl differenzierter:
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Afghan chopper crash a major blow to US commandos
by Staff Writers
Washington (AFP) Aug 7, 2011
„…The loss of around two dozen elite commandos in a helicopter downed by the Taliban has dealt a major blow to US special forces, a key element in the strategy to wind down the Afghan war.
A navy special forces member interviewed by the Navy Times expressed „shock and disbelief,“ saying: „There’s no precedent for this. It’s the worst day in our history by a mile….“
In der gleichen Meldung wird versichert, bei den SEALS habe es sich nicht um
Teilnehmer an der gezielten Liquidierung von bin Laden gehandelt, wohl aber um Angehörige des „TEAM 6“ das als Elite der Elite gilt und eine Stärke von rund 300 Mann hat.
@HermannHagena
Ich bin bei...
@HermannHagena
Ich bin bei sehr kurzfristigen Reaktionen auf einen Ausbruch des Ungewöhnlichen egal in welchem Lebensbereich, zunehmend vorsichtig. Und wenn diese Reaktionen dann auch noch anonym „zitiert“ werden … Kurz – ich würde gerne auf rationale Einschätzungen nach genauerer Kenntnis der konkreten Absturzursachen warten, bevor ich einen isolierten Vorfall in einem Krieg bewerte.
Gruss,
Thorsten Haupts