Da ist wohl kommunikativ etwas schiefgelaufen. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Verteidigungsminister Christian Schmidt gibt die Parole aus, keine „Ausschließeritis“, was einen Bundeswehr-Stabilisierungseinsatz in Libyen betrifft (F.A.Z. von heute). Sein Minister Thomas de Maizière sagt: Das steht nicht an („Tagesspiegel“ von heute). Mit anderen Worten: Der eine fährt die Debatte hoch, der andere runter.
Dabei schließen sich die Aussagen, sieht man genauer hin, keineswegs aus:
Tagesspiegel: Sie wollen eine mögliche Anfrage nach deutschen Soldaten für eine Stabilisierungstruppe in Libyen konstruktiv prüfen.
TdM: Ich habe aber auch gesagt: Ich hoffe, dass eine solche Anfrage nicht nötig ist. Ich gehe davon aus, dass die künftige libysche Regierung selbst für die Sicherheit im Land sorgen kann und dazu keine Hilfe von außen braucht. Manche Analytiker im Westen haben ja einen jahrelangen Bürgerkrieg vorhergesagt. Der droht glücklicherweise wohl nicht.
Tagesspiegel: Was könnten Sie dem neuen Libyen denn bieten?
TdM: Soweit es um Beratung geht, ist vieles denkbar. Noch immer lagern in Libyen chemische Kampfstoffe. Das macht uns Sorge. Diese Kampfstoffe müssen vernichtet werden und dürfen nicht in falsche Hände kommen. Wir bieten Hilfe gerne an, wenn die Libyer sie wollen. Falsch wäre es aber, wenn wir uns aufdrängen und einmischen würden. Das sollten wir in jedem Fall vermeiden.
Tagesspiegel: Warum betonen Sie das Gebot der Zurückhaltung so stark?
TdM: Ich denke dabei auch an meine Erfahrungen aus dem deutschen Einigungsprozess. Viel Hilfe aus westlichen Bundesländern war damals gut und nötig. Manche Helfer traten da allerdings wie Kolonialherren auf. Das provoziert bloß Widerstand und Ablehnung. Und zwischen dem Westen und der arabischen Welt ist die Gefahr von Missverständnissen noch viel größer als damals zwischen Ost- und Westdeutschen. Natürlich war der Einsatz der Nato wesentlich für den Erfolg der Rebellen. Aber niemand in einer westlichen Hauptstadt weiß heute wirklich, was am besten für Libyen ist. Wer seine Hilfe aufdrängt, schürt doch bei den Libyern den Verdacht, es gehe ihm in Wirklichkeit um ökonomische Interessen.
Tagesspiegel: Außenminister Westerwelle ist deutlich skeptischer, was einen deutschen Beitrag zu einer Stabilisierungsmission in Libyen angeht …
TdM: Nein. Der Außenminister und ich vertreten die gleiche Position. Wir beide und unsere Häuser arbeiten in all diesen Fragen sehr gut zusammen. Wir sagen beide: Eine solche Anfrage steht nicht an. Wenn sie auf uns zukommen sollte, werden wir sie prüfen.
und:
Der Parlamentarische Verteidigungs-Staatssekretär Christian Schmidt (CSU) warnte vor einer „Ausschließeritis“, was einen möglichen Stabilisierungseinsatz der Bundeswehr in Libyen betrifft. „Es kann sein, wenn die Vereinten Nationen, die EU oder die Nato das für notwendig halten, dass man zu Stabilisierungshilfe auch mit militärischen Elementen aufgefordert wird. Natürlich würden wir dann im Rahmen unserer eigenen Interessen und unserer internationalen Verantwortung nicht abseitsstehen können.“ In dem Fall, so Schmidt, sollte das aber „keine reine Nato-Aktion“ sein, sondern „die arabische und nordafrikanische Nachbarschaft“ Verantwortung übernehmen. „Aber wenn Nato gefordert ist, dann sind auch wir gefordert.“
Sich dem eigentlichen...
Sich dem eigentlichen Militäreinsatz zu verweigern, war begründbar (allerdings nicht die Art und Weise, WIE das geschah). Sich nach dem Sieg der Rebellen über das Gaddafi-Regime zu weigern, im Rahmen eines internationalen Einsatzes den Libyern zu helfen, wäre allerdings schlichte Verantwortungsverweigerung. Genau das hat der parlamentarische Staatsekretär gesagt – und de Maiziere hat dem nicht widersprochen. Ich sehe die Kommunikationspanne nicht wirklich, man kann öffentliche Äusserungen auch überinterpretieren. Eine typische professionelle Deformation bei Journalisten.
Gruss,
Thorsten Haupts
...die zurückhaltenden...
…die zurückhaltenden äußerungen des verteidigungsministers sind wohltuend in dem allgegenwärtigen hilfe-aktionismus, der mir irgendwie opportunistisch daherkommt.
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noch hat niemand um „hilfe“ gebeten. und im übrigen ist der krieg auch noch nicht vorbei, wenn auch der tenor der berichte ein anderer ist.
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es gibt geländegewinne der regulären einheiten um ras lanuf, und tripolis könnte sich noch als falle herausstellen – wenn es wahr ist, dass sich die regierungstruppen entlang von ring- und ausfallstraßen eingegraben haben.
d.weise
Das klingt doch alles erstmal...
Das klingt doch alles erstmal recht besonnen.
Vielleicht sollte man das...
Vielleicht sollte man das alles weniger von deutschen Meinungsumfragen, Parteilinien und Befindlichkeiten abhängig machen, als davon, ob die Libyer das überhaupt wollen und brauchen, oder nicht. Wenn ich jetzt lese, wie in thinktanks und auf Konferenzen die „Zukunft Libyens“ geplant werden soll, frage ich mich, wie man denn auf das schmale Brett kommt, dort, und nicht in Libyen, würde darüber entschieden werden. Man kann natürlich Hilfe und Knowhow anbieten, aber das war es dann auch schon. Einen Westerwelle, der etwa „erfolgreiche“ FDP-Konzepte („Privatisierung, mehr Markt, weniger Staat“) wie in der deutschen Gesundheitspolitik nach Libyen exportieren möchte, braucht wohl hier wie dort kein Mensch. Natürlich ist es unrealistisch zu erwarten, Politiker (oder auch ihre Wähler) könnten Fehler eingestehen, erst recht, wenn sich diese auf ideologische basics beziehen. Aber vielleicht kann Deutschland nach seiner wenig rühmlichen Rolle ja wenigstens einfach mal den Mund halten, zur Abwechslung, statt sich aufzuspielen wie der Nabel der Welt.
Dass Kollegen ein Interesse...
Dass Kollegen ein Interesse daran haben, nach Ghaddafis Untertauchen diese Debatte zu führen, ist ja nachvollziehbar. Warum die Politik sich aber darauf einlässt, überrascht nicht unerheblich.
In Libyen wie andernorts wäre es sicherlich klüger, zunächst die regionalen Akteure (AU und die Arabische Liga) in die Pflicht zu nehmen. Ihre Akzeptanz ist vor Ort deutlich höher, sie laufen nicht in dem Maße Gefahr, als Besatzer stigmatisiert zu werden wie westliche Truppen. Auch finanziell kann das von Vorteil sein. Was die beispielsweise Amisom in Mogadischu gegen die islamistischen Rebellen erreicht hat (Kollege Scheen hat das in diesem Blatt in den vergangenen Wochen beschrieben), hätte die Nato dort nicht hinebkommen können.
Bevor die deutsche Politik neue Aufgaben sucht und keiner an sie herantritt – vielleicht erst einmal die Hausaufagen erledigen? Afghanistan sowieso. Und war da nicht noch was im Nordkosovo?
Syrien: NATO-Krieger scheitern...
Syrien: NATO-Krieger scheitern im Sicherheitsrat
Sie machen zwar großes Geschrei, haben aber verloren, die kriegführenden NATO-Staaten. Sie scheiterten jetzt im UN-Sicherheitsrat mit einer Resolution der NATO-Staaten Frankreich, Portugal, Deutschland und Großbritannien, die nach dem Libyen-Schema letztendlich einen Angriff auf Syrien rechtfertigen sollte. Diesmal legten China und Russland ein Veto ein. Offenbar wäre eine Enthaltung oder gar Zustimmung zu einem weiteren NATO-Krieg auch unter Androhung von wirtschaftlichen Nachteilen durch den Westen nicht zu vertreten gewesen. Zu eindeutig der Fahrplan des Westens, nachdem sogar ein dem libyschen NATO-Übergangsrat NTC ähnliches Gebilde in Syrien installiert wurde. Während Medwedew sich bei der Libyen-Resolution 1973 vom Westen noch einwickeln und erpressen ließ, weht auch in Russland nach der de-facto-Kandidatur von Wladimir Putin wieder ein anderer Wind. Putin hatte den Krieg gegen Libyen einen Kreuzzug genannt und gefragt, wer der NATO das Recht gäbe, Gaddafi zu stürzen und zu jagen.
China tat nun etwas vernünftiges und teilte mit, dass man sich nicht in die inneren Angelegenheiten Syrien einmische.
Gegen den NATO-Antrag waren China und Russland, dafür Deutschland, Frankreich, USA, Großbritannien, Portugal, Kolumbien, Nigeria, Gabun, Bosnien-Herzegowina, enthalten haben sich: Brasilien, Indien, Südafrika und Libanon.
Die weitere Kriegsgefahr ist damit nicht gebannt. Nun wird die NATO über kurz oder lang zu anderen bewährt-berüchtigten Mitteln, wie Operationen unter falscher Flagge, einem verdeckten oder offenen Krieg greifen.
Postwendend wird gemeldet, Syrien hätte die Grenze zum – wohlgemerkt sich enthaltenden – Libanon überschritten und mit Panzern auf eine Batteriefabrik gefeuert, weil es seit langem Flüchtlinge aus Syrien in Libanon verfolge. Das Strickmuster ist bekannt, der kleine Libanon könnte nun eine Aggression durch Syrien behaupten und „die NATO um Hilfe rufen.“ Wir können sicher sein, dass die Provokationen in und um Syrien zunehmen werden.
Und jetzt noch zwei Stücke aus dem Tollhaus der US-Arroganz, die die Welt offenbar für total meschugge hält.
Die US-Botschaft in Beirut sagte dem libanesischen Verteidigungsministerium, die libanesische Armee solle eine Rolle beim Schutz von syrischen Flüchtlingen spielen, die in Libanon residieren. Zu Befehl, Barack.
Susan Rice, die US-Botschafterin war nach der Niederlage im Sicherheitsrat außer sich vor Wut und warf den Ungehorsamen im Sicherheitsrat völlig undiplomatisch vor, sie hätten nicht zugestimmt, weil sie nur „Waffen an Syrien verkaufen wollen.“ Das sagt der größte Waffenexporteur und Militärhaushalt der Welt, der in alle aktuellen Kriege verwickelt ist.
@Politikverdruß: es wird...
@Politikverdruß: es wird immer unübersichtlicher, aber ich bin es zufrieden, daß es gegen eine Syrienresolution Vetos gab, denn da auch noch drin herumrühren (naja gut, inoffiziell oder „von der Seite her“ wird das wohl immer versucht) verbessert für die Leute in der Region längerfristig meines Erachtens genau garnichts. Und bessere Eliten bringt es auch nicht an die Macht. Also für die Katz. – In Libyen scheinen Städtekämpfe zwischen den Pro- und Anti-Gaddafi-Bevölkerungsteilen in vollem Gange zu sein, quod erat expectandum.
Sonntag, 9. Oktober...
Sonntag, 9. Oktober 2011
Libyen: 265 verschwiegene NATO-Luftangriffe auf Zivilisten
Die Medien schweigen weiter über Bani Walid und über die hohen Verluste in Sirte
Es fällt wieder auf. Seit Tagen berichteten die Medien nicht mehr über Sirte und Bani Walid. Die NTC-„Rebellen“ waren nicht in der Lage die Städte einzunehmen. In diesen Fällen verstummen die Medien der NATO. Wir kennen das seit dem Beginn der Aggression. In den letzten Tagen wurden die Rückschläge für die NATO mit dem schlechten Wetter begründet. Die Verteidiger des Landes sind seit dem Fall von Tripolis zu einer Partisanentaktik übergegangen. Im ganzen Land, das oft als unter der Kontrolle des NTC dargestellt wird, wird weiter gekämpft. Khamis Gaddafi, der die Moskauer Militärakademie absolviert hat, hat die Erfahrungen der sowjetischen Partisanen gegen die Nazi-Truppen augenscheinlich hervorragend in die Neuzeit umgesetzt. Im ganzen Land einschließlich Tripolis, Misrata, Bengasi gibt es Widerstand und die NTC-Leute sind nicht imstande den Widerstand zu brechen.
Die Bilanz der Luftangriffe
Im EU-Fernsehen gibt es keine Luftangriffe in Libyen. So fragt auch niemand nach den zivilen Opfern. Aber wir kennen die Zahlen.
Vom 1. bis 8. Oktober flog die NATO 802 Einsätze mir 265 Luftangriffen. In der Mehrzahl auf Bani Walid; jene Stadt die in den Medien bis heute nicht auftaucht, weil sie erbitterten Widerstand leistet.
Tote Zivilisten
Die Zivilisten in den Städten werden wahllos aus der Luft und vom Boden aus angegriffen. Viele NATO-Medien unterdrücken jetzt sogar die Bilder von den Pickups die wahllos in die Stadt feuern. Doch auch Panzer und Artillerie sind im Einsatz. Wer mir Bomben und Granaten in eine Stadt feuert begeht Kriegsverbrechen.
Der Schutz der Zivilbevölkerung – der angebliche Grund der Invasion –wird so ad absurdum geführt.
Wieder mal „Nach Angaben der Rebellen….“
Der NTC behauptet heute, man wäre in der Stadt Sirte und kämpfe um das Tagungszentrum. Solche Berichte gab es auch schon vor 10 Tagen. Behalten wir immer im Gedächtnis wie oft schon die Eroberung der Stadtzentren verkündet wurde oder die bevorstehende Gefangennahme von libyschen Repräsentanten. AP berichtet, dass die NTC/NATO-Leute die Stadt beschießen, um Scharfschützen von den Dächern zu vertreiben.
Wie Desinformation durch Ablenken und Verschwiegen funktioniert
Wenigstens Al Jazeera hat Erfolge zu vermelden. Das macht meist, man merke sich diesen Namen und das Gesicht, Zeina Khodr, die skrupelloseste Märchentante der NATO, die selbst den deutschen Armbruster noch in den Schatten stellt.
Sie moderierte im August malerisch mit dem Stahlhelm auf den Kopf die gefälschten Siegesfeiern vom in Katar aufgebauten „Grünen Platz“ und bringt heute in ihrem Sender angebliche Bilder aus Sabamiyah, einem Stadtteil von Sirte, den der NTC heute übernommen haben soll. Originalton:
„Die Gaddafi-Getreuen sind aus dem Stadtteil geflohen und haben nur „Grüne Bücher“ und Poster des gestürzten Führers zurückgelassen.“
Das klingt belanglos, ist es aber nicht. Wie sieht ein Schlachtfeld wohl aus, wenn es von einer Seite eingenommen wird? Da gibt es keine Leichen? Tote Zivilisten, zerbombte Häuser, Schulen, Infrastruktur? Wo sind eigentlich all die Fotos von den eingenommenen Städten, Dörfern, Oasen? Wenn sie erzählt, es gäbe nur Propagandabücher und keine Opfer ist das eine vorsätzliche Lüge.
Die Täuschung der Massen ist allumfassend. Keine Bilder – keine Proteste.
Doch wer es wissen will kann es wissen. In Libyen tobt landesweit ein Aggressionskrieg der NATO unter Zuhilfenahme inländischer Kollaborateure. Weite Teile, wenn nicht die größte Fläche, Libyens sind nicht von der NATO besetzt.
Der Krieg wird aus der Luft ausschließlich von NATO-Kampfflugzeugen geführt. Am Boden operieren eben nicht Regimenter von Badelatschenträgern die mit schweren Maschinengewehren aus der Hüfte schießen, so wie sie es in Rambo-Filmen gesehen haben. Die Bodentruppen bestehen aus NATO Special Forces, Privatarmee-Söldnern aus NATO-Staaten und arabischen regulären Truppen. Bekannt geworden sind Abschüsse von NATO-Transportern mit Privatsoldaten aus verschiedenen US-Bundesstaaten und NATO- und arabischen Hubschraubern, die Gefangennahme von Soldaten aus Holland, Großbritannien, Frankreich, Katar, Italien und vielen anderen Ländern
Das von den Medien präsentierte Bild von Libyen hat nichts mit der Realität zu tun. Libyen führt einen verlust- aber erfolgreichen Partisanenkampf gegen die NATO.
@Politikverdruß: man kann es...
@Politikverdruß: man kann es ja nicht überprüfen, aber jedenfalls fällt es auf, daß Libyen als Thema total fallengelassen wurde und überhaupt nicht versucht wird, da noch irgendwelche Informationen zu gewinnen. Herr Osmers hatte ja anfangs den typischen Verlauf der Berichterstattung im Kriegsfall beschrieben (mit Propaganda hier und Propaganda da), aber der scheint einem anderen Zeitalter anzugehören, heutzutage scheinen eher Verschweigen und Ablenken die angewandten Mittel zu sein.
@colorcraze: herr osmers hat...
@colorcraze: herr osmers hat sich resigniert vom forum abgewandt. schade. Ihre einschätzung teile ich: in den großen medien liest man kaum noch etwas über den konflikt. habe heute in der druckausgabe der FAZ eine kurzmeldung über die gegenoffensive der regierungsarmee in sirte gelesen – das wäre doch auch mal einen längeren bericht wert.
d.weise