Zur Sicherheit

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Von den Alpen bis zum Hindukusch, von der Kieler Förde bis in den Golf von Aden: Die Kräfte der Bundeswehr sind längst über den halben Globus

Dann sind die Taliban immer noch da

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Die Reportage des dpa-Kollegen Maurizio Gambarini aus Nordafghanistan sei den geschätzten Lesern empfohlen: Operation Omed - Hoffnung für Afghanistan /...

Die Reportage des dpa-Kollegen Maurizio Gambarini aus Nordafghanistan sei den geschätzten Lesern empfohlen:

Operation Omed – Hoffnung für Afghanistan / Von Maurizio Gambarini, dpa

Kundus (dpa) – 44 Grad im Schatten, überall ist feiner Staub. Auf der Westplatte nahe Kundus liegt die Ortschaft Nawabad.
Sicherheitsexperten zufolge ist das einer der letzten Zufluchtsorte der Taliban im Distrikt Char Darah, im Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr. 15 000 Menschen sollen in den erdfarbenen Lehmhäusern wohnen. Marcel B., der Chef einer Kompanie des Ausbildungs- und Schutzbataillons aus Kundus, beobachtet den Ort durch sein Fernglas.
Kaum eine Seele zeigt sich am frühen Morgen auf den Wegen und Straßen.

Seine Leute und er haben an diesem Tag einen heiklen Auftrag. Gemeinsam mit 15 Beamten der Afghanischen Nationalpolizei (ANP) will die Bundeswehr in den Ort hinein, um mit den Einwohnern zu sprechen. Operation Omed ist der Name des Vorhabens. Das Wort für Hoffnung in der Landessprache Dari.

„So ein Drecksnest“, entfährt es einem Oberstabsgefreiten. Dann schultert er seinen Rucksack, seine Maschinenpistole, greift nach seinem Helm und verwandelt sich von einem freundlich lächelnden jungen Mann in einen furchteinflößenden Wüstenkämpfer. Mit ihm machen sich etwa 80 weitere Soldaten kampfbereit. Der Aufwand ist enorm.
Mehr als 50 Soldaten und Polizisten marschieren in die Ortschaft ein.

Vier Schützenpanzer Marder überwachen das Vorgehen, bereit einzugreifen, falls es knallt.
Eine kleine Hubschrauberdrohne des Typs Mikado brummt über den Köpfen der Soldaten und den schwer bewaffneten afghanischen Polizisten. Ein beruhigendes Gefühl für die Soldaten. Die Chancen stehen gut, dass ein Hinterhalt so frühzeitig erkannt werden kann.
Trotzdem steigt bei jedem, der mit dieser Kolonne nach Nawabad kommt, der Blutdruck.

Der Gegner kennt sich aus, er wohnt ja hier. Er konnte sehen, dass diese Streitmacht einen Kilometer vor dem Dorf die Nacht in der Wüste kampiert hatte. Niemand ist sich sicher, welche tödliche Überraschung möglicherweise auf ihn wartet. Die Taliban haben zwar keine Luftaufklärung und keine elektronische Kriegsführung, aber fast jeder könnte ein Späher sein.
Seit sich die deutschen Streitkräfte mit ihrem „Partnering“-Konzept auch außerhalb des Feldlagers in der Fläche ihres Gebiets im Norden Afghanistans zeigen, sind die Gotteskrieger geschwächt. Die Bundeswehrsoldaten gehen gemeinsam mit ihren afghanischen Partnern von Polizei und Armee gegen die Aufständischen vor und bleiben dann auch mit ihnen vor Ort. Offene Feuerkämpfe sind selten geworden, die Bevölkerung fasst langsam Vertrauen in die eigenen Sicherheitskräfte.

Die größte Bedrohung sind inzwischen versteckte Sprengfallen. Vor einiger Zeit gelang es den Taliban sogar, einen Schützenpanzer Marder in die Luft zu sprengen. Dabei wurde der Panzerfahrer getötet. 118 Mal gab es im ersten Halbjahr 2011 im Norden Afghanistans solche Bombenanschläge, 37 mehr als im Vorjahr.
Meist sind afghanische Soldaten und Polizisten Ziel der Terroranschläge. Die hoch gerüsteten Deutschen sind für die Attentäter nicht mehr die erste Wahl. Ihr Ziel ist es, die Afghanen einzuschüchtern, ihnen das Vertrauen in die eigene Stärke zu nehmen.

Und das Feld zu bereiten für die Zeit nach 2014. Wenn die ISAF-Kampftruppen das Land verlassen haben, so schreiben die Taliban in einem Flugblatt, seien sie noch da.
Die Hubschrauberdrohne hat im Dorfeingang hinter einer Lehmmauer zwei verdächtige Gestalten ausgemacht. Die afghanischen Polizisten sammeln die beiden Männer ohne Gegenwehr ein. So soll der Feind also aussehen. Weite Gewänder, einer in Weiß und einer in Schwarz gekleidet. Barfuß stehen sie da, die Füße sind total verschlammt, sie meiden jeden Blickkontakt.
Der Polizeichef erkennt sofort, dass sie nicht zum Dorf gehören.

„Wo ist hier in Nawabad das Haus vom Taliban-Kommandeur?“, will er wissen. Die Gefangenen sagen erstmal nichts. Kurzerhand werden sie gefesselt. Gemeinsam mit einem deutschen Oberleutnant verhört der Polizeichef nun die Gefangenen.

Währenddessen erwacht Nawabad. Der Verkehr nimmt zu. Deutsche und Afghanen teilen sich die Arbeit. Während die Bundeswehr sichert, durchsuchen die Polizisten jedes Fahrzeug. Selbst als ein Warnschuss abgegeben werden muss, weil ein Motorradfahrer das Haltezeichen der Soldaten missachtet, bleibt alles ruhig und besonnen. Die Zusammenarbeit scheint zu klappen. Die Polizisten sind Herr der Lage.

Wäre es überall so, die Zukunft des Landes schiene gesichert.

Schon am nächsten Tag zeigt sich eine andere Seite des Einsatzes, denn die Afghanen fallen als Partner völlig aus und überlassen den Soldaten der Internationalen Schutztruppe Isaf die Arbeit. Aus Chanabad, etwa 20 Kilometer östlich von Kundus, wird ein verdächtiger Gegenstand gemeldet. Ein zur Bombe umgebauter Kochtopf wurde in der Nähe der Wohnung des örtlichen Polizeichefs gefunden. Die ANP traut sich nicht an die Sprengladung heran, also wird die Bundeswehr zur Hilfe gerufen.

Aus dem Feldlager in Kundus brechen sieben gepanzerte Fahrzeuge auf. Mit dabei sind Sicherungssoldaten, Sprengstoffexperten und Sanitäter. Am Fundort der Bombe herrscht derweil ein ziemliches Durcheinander. Hunderte Afghanen gehen ihren Geschäften nach und bevölkern den gefährlichen Platz. Absperrung und Absicherung gibt es noch nicht. Die deutschen Soldaten springen von ihren Autos und sichern das Gebiet ab. Dabei gibt es Zank und Streit. Jeder will noch schnell über die Brücke und niemand sieht ein, wegen einer Bombe zu warten. Der Krieg hat die Menschen abgestumpft.
Ein Oberstabsfeldwebel, der Sprengstoffexperte, setzt einen kleinen Roboter ein, um die Fundstelle zu untersuchen. Auf seinen Gummiketten nähert sich der Roboter vorsichtig dem verdächtigen Objekt. Die Kamera wird in Position gebracht. Die Zeit vergeht, die Männer schwitzen bei 43 Grad im Schatten. Dann sind sich die Experten sicher. Der Topf ist randvoll mit Sprengstoff gefüllt.

Afghanische Polizisten sind einstweilen kaum zu sehen. Der Polizeichef, dem diese Bombe zugedacht war, hat sich in sicherer Entfernung auf der anderen Flussseite niedergelassen. Ein grüner Teppich wird herangetragen, seine Untergebenen und er liegen im Schatten und schauen entspannt zu, wie der Entschärfungstrupp seine Arbeit macht.

Schließlich ist der Sprengsatz entschärft und der Kochtopf ausgegraben. Ebenso eine Batterie zur Zündung, die mit vergraben wurde, und die Antenne, mit der die Bombe gezündet werden sollte. Das weiße Pulver, mit dem der Topf gefüllt war, brennen die Sprengmeister am Ufer kontrolliert ab.

Den Zuschauern ist es derweil langweilig geworden, die Polizisten trollen sich zurück in ihre Unterkunft. Bei den Soldaten breitet sich Frust aus. „Die Afghanen könnten doch soviel lernen, wir würden ihnen alles zeigen“, wundern sich die Sprengstoffexperten. „Stattdessen lassen sie uns die gefährliche Arbeit allein machen.“ Im Lager des Wiederaufbauteams der Bundeswehr in Kundus ist die Meinung dazu unterschiedlich. Oberstleutnant Lutz K. sagt, das Partnering mit den Afghanen sei die Hauptaufgabe. „Wir helfen und sichern, aber die Arbeit sollen die Einheimischen schon selber machen. Wenn sie den Sprengkörper nicht selber wegräumen, dann bleibt er eben liegen.“ Hauptmann Marcel B. ist fast täglich draußen im Feld. Er lasse die Bomben lieber von seinen Männern und Frauen bergen, sagt er. „Bevor wir hier alle verletzt werden, räume ich das weg.“ Am Schluss bleibt den Soldaten nur eins: Omed – Hoffnung. Die Hoffnung, dass die Afghanen es irgendwann selbst schaffen.


7 Lesermeinungen

  1. ThorHa sagt:

    Was mich mehr erschüttert als...
    Was mich mehr erschüttert als einzelne Rückschläge, ist das grausame Versagen der Kriegsstrategen für Afghanistan. Aufstandsbekämpfung ist nun wahrhaft nichts neues in der Geschichte. Warum also brauchte man 10 Jahre, um ein Konzept zu entwickeln, das zumindest eine Chance auf Gelingen bietet? In Geschichtsbüchern könnte das Kapitel über Afghanistan eines Tages heissen: Zu wenig zu spät. Und das ist das eigentlich Traurige – was machen eigentlich die ganzen Eierköpfe in den militärischen und politischen Think Tanks tagein, tagaus? Inkompetente Führung ist schlimmer als gar keine Führung …
    Gruss,
    Thorsten Haupts

  2. colorcraze sagt:

    @ThorHa: von Eierköpfen...
    @ThorHa: von Eierköpfen erwarte ich mir mathematische und technische Konstruktionen, an militärische Fragen würde ich sie eher nicht ranlassen…

  3. detlef.weise sagt:

    zitat: "Der Gegner kennt sich...
    zitat: „Der Gegner kennt sich aus, er wohnt ja hier.“ na ja, und da soll sich doch niemand über die mangelnde dienstbeflissenheit der afghanen wundern.
    .
    sobald die ausländischen truppen wieder weg sind, machen die afghanen weiter wie vorher. das hat lord elphinstone gelernt, die sowjetunion auch und nun die NATO.
    .
    was ärgerlich ist: das wunschdenken von technokraten ohne militärische kenntnisse kostet junge deutsche das leben.
    d.weise

  4. Roland sagt:

    Zwei Zitate praktisch...
    Zwei Zitate praktisch hintereinander stehend:
    „Seit sich die deutschen Streitkräfte…Partneringkonzept…sind die Gotteskrieger geschwächt.“
    „118 Mal gab es im im ersten Halbjahr 2011 im Norden…Bombenanschläge…37% mehr als im Vorjahr.“
    Oh, Maurizio !

  5. testo001 sagt:

    Alle wissen, daß nach dem...
    Alle wissen, daß nach dem Abzug zwei Jahre später alles so sein wird wie vor 2001. Die Mädchenschulen werden in den Sommerferien kaputtgebombt (was schon 2008 der Fall war), die Afghan National Army wird sich einen feuchten Kehricht darum scheren Talibs zu jagen. Warum sollte die Soldaten das auch? Wenn ein Talib herausfindet wo ein Soldat wohnt steht’s schlecht um ihn oder seine Familie.
    Alles verstehen, dieser Krieg ist nicht zu gewinnen weil wir mit unserem westlichen Denken da unten nicht an das Volk herankommen. Alle. Nur Merkel, Westerwelle und einige andere Volksverräter in unseren Parlamenten sind bockig wie kleine Kinder und sagen wir bleiben dort…

  6. ThorHa sagt:

    "Volksverräter"
    Menschen mit...

    „Volksverräter“
    Menschen mit solchem Vokabular sind üblicherweise Dummköpfe.

  7. wolfowitz sagt:

    Es gibt das schöne...
    Es gibt das schöne Taliban-Zitat: „Ihr habt die Waffen und wir haben die Zeit.“
    Da die westlichen Truppen sich stark verdünnt in einem kulturell völlig fremden Land befinden und zu Recht auf Leben und Gesundheit der einheimischen Zivilbevölkerung achten müssen, können sie trotz der besseren Ausrüstung keinen entscheidenden Sieg gegen die Taliban erringen, die als tüchtige asymmetrische Kämpfer „hit and run“-Angriffe ausführen oder sich gleich auf IED o.ä. verlassen.
    Da das Halten Afghanistans für den obendrein zunehmend von Finanzsorgen geplagten Westen nicht (mehr) von existenzieller Bedeutung ist, versucht man, durch „Nationalisierung“ den Konflikt an einheimische Kräfte zu delegieren, um in ca. 2 Jahren diskret verschwinden zu können, ohne dann offen als Verlierer oder Verräter der afghanischen Partner dazustehen.
    Dies ähnelt der „Vietnamisierung“ in der Endphase des Vietnam-Krieges: es ist schon jetzt klar, daß die vom Westen für Karsai aufgebauten „afghanischen Polizei und Militär“-Einheiten ohne ausländische Unterstützung sofort zerfallen werden. Diese Menschen können und wollen nicht aus ihrem Land verschwinden und müssen an ihre Zukunft (und die ihrer Familien) denken.
    Dann steht einem offenen Sieg der Taliban nichts mehr im Wege, es sei denn, andere Warlords oder Stammesführer sehen ihre Interessen gefährdet und sind stark genug, sich mit den Taliban anzulegen.
    Jedenfalls werden alle durch viel Engagement, Mut und Tapferkeit errungenen Erfolge westlicher Truppen in 2 Jahren nur noch Schall und Rauch sein.
    Wer will den dort kämpfenden (und teils auch verwundeten) Soldaten ehrlich sagen, daß ihr Einsatz letztlich umsonst ist?

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