Zur Sicherheit

General Waziri will Panzer

Ein Interviewtermin bei General Waziri, Kommandeur der zweiten Brigade des 209. Korp der Afghanischen Nationalen Armee (ANA), in Kundus. Wir dürfen den Leiter der internationalen Operations-, Verbindungs- und Mentorenteams (OMLT), Oberst Olaf Rohde in das Hauptquartier der Brigade begleiten – wir, das sind in diesem Fall der Autor dieser Zeilen zusammen mit dem Reporter des Saarländischen Rundfunks Christoph Grabenheinrich. Rohde kommt im Prinzip jeden Tag zur militärischen Morgenlage zu General Waziri, seinem „Menti“ (was im Jargon der internationalen Isaf-Truppe sozusagen der Passiv von Mentor ist). Dann besprechen sich die beiden, tauschen sich über die Lage aus, machen Pläne, diese Dinge. Heute geht es um das Vorhaben, in eine Nachbarprovinz zu fahren – der Deutsche sagt, er habe einen Hubschraubertransport organisiert. Die beiden sprechen miteinander vermittels eines Übersetzers Englisch-Dari.

 

Der General hat sich eingangs aufs Höflichste bei den Reportern entschuldigt, er müsse leider zunächst einige Sachen mit Oberst Rohde besprechen. Nun wendet er sich uns zu, und wir fragen: Wie beurteilen Sie die militärische Lage im Norden Afghanistans?

Willkommen zunächst bei der zweiten Brigade. Als ihr Kommandeur sind wir zuständig für Kundus, Tachar, Badachschan, Baghlan. Verglichen zum letzten Jahr ist die Sicherheitslage in diesen vier Provinzen sehr gut. Es ist ruhig. Wir wollen nicht sagen, dass es keine Missetaten und keine Aktivitäten von Aufständischen gibt. Aber tatsächlich ist die Sicherheitslage immer besser. Wir und unsere Mentoren arbeiten mit unseren Teams, um mehr Sicherheit und mehr Wohlstand für das Volk zu erreichen. Alle Schulen sind offen für die Kinder.

Das 209. ANA-Korps ist in den neun Provinzen im afghanischen Norden eingesetzt, es ist immer noch am Wachsen, die zweite Brigade soll im kommenden Jahr eine Stärke von rund 5000 Mann erreichen. Ziel ist es, für jede Provinz ein Infanteriebataillon – ein sogenanntes Kandaq – stellen zu können. In dieser Brigade werden zur Zeit 7 OMLT eingesetzt. Sie begleiten nicht nur die Ausbildung, sondern auch den Einsatz, gerade auch dann, wenn es zum Gefecht kommt. Sie helfen vor allem beim Planen und Organisieren von Einsätzen – das Kämpfen muss man den Afghanen nicht beibringen, wie allenthalben bekräftigt wird (zumindest bezogen auf die Armee). Im Kampf können die Mentoren, die in rund zwanzig Mann starken Trupps mit herausfahren, wichtige Komponenten beisteuern: Sie können mit ihren Luftkoordinatoren (JTAC) Feuerunterstützung durch Kampfflugzeuge oder Hubschrauber, gegebenenfalls auch Artillerie herbeirufen und das Feuer leiten.

Letztes Jahr war die Sicherheitslage nicht so gut. Die Aufständischen haben die Leute beunruhigt, gestört, verdrossen und geärgert. Es gab eine Menge Sicherheitsprobleme. Es ging sogar so weit, dass die Leute nicht bereit waren, mit uns zu kooperieren. Sie standen unter dem Druck dieser Aufständischen. Das galt auch für den Korridor der Hauptringstraße, für die wir auch zuständig sind. Eine Menge Autos von Zivilisten und Militärs wurden durch die Aufständischen in Brand gesteckt. Es gab viele Hinterhalte, Aufständische haben uns oft in Kämpfe verwickelt. Es gab viele Opfer unter der Zivilbevölkerung. Heute können wir zusammen mit den Koalitionskräften Sicherheit gewähren. Wir arbeiten hart dafür, nicht nur in den vier Provinzen, sondern besonders auch auf der Hauptstraße, die sehr wichtig für uns ist.

Waziri sitzt hinter einem massiven Holzschreibtisch, an der Vorderseite verziert mit einem Fächermuster, das die Schwinge eines Adlers darstellen könnte. Die Besucher sitzen auf den Sesseln an den Längsseiten des Zimmers, erhalten Tee und einen Glasteller mit Portionsfeldern, wie er in Afghanistan üblich ist, mit eingepackten Bonbons, Rosinen, Nüssen. Der General spricht stets mehrere Sätze, bis der Übersetzer mit immer häufigerem Aha-Murmeln auf sich aufmerksam gemacht hat. Waziri wartet kaum das Ende der Übersetzung ab, um seinen Vortrag fortzusetzen.

Sie werden sich sicher fragen, warum die Situation sich geändert hat. Wir, unsere OMLT-Mentoren und unsere deutschen Kollegen und die Koalitionskräfte haben von letztem Jahr bis jetzt zivile Aufbau-Kooperationen in dieser Gegend unternommen. Wir leiden viel in dieser Region, wir arbeiten viel in dieser Region und wir stehen vielen Problemen in dieser Region gegenüber. Jetzt haben wir es geschafft, gute Sicherheit zu gewährleisten. Weiterhin zeigen wir viel Präsenz. Ich will Ihnen etwas über die Aufständischen hier sagen. Die Aufständischen sind nicht in der Lage, uns von Angesicht zu Angesicht zu bekämpfen. Es gibt kleine Gruppen, die sind immer sehr mobil und wandern von einer Gegend in die andere. Deshalb haben wir manchmal Schwierigkeiten, mit ihnen Fühlung zu behalten. Diese Operation dauert fort. Wir sind immer noch im Planungsprozess.

Hinter dem General prangen Sträuße von (Seiden?)Blumen, vornehmlich in Rot. Aber die Rosen links und rechts des Zuwegs zum Stabsgebäude sind echt und blühen prächtig – gewiss werden sie mehrmals am Tag gewässert. Auf dem Schreibtisch Waziris steht ein vielfältiges Ensemble: Stiftbehälter, Keramikdöschen, Locher, Tacker, Akten, zwei Mobiltelefone, ein Funkgerät, ein kleiner Globus, ein Dell-Computerschirm, ein Päckchen schmaler Zigaretten, Schmucksteine, natürlich eine afghanische Flagge, etwas, was aussieht, wie ein elektrischer Bleistiftspitzer sowie vorn zu den Besuchern hin eine Marmorplatte, auf der – wie uns auf Nachfrage kopfschüttelnd erklärt wird, nicht ein Koranvers oder dergleichen, sondern natürlich der Name des Generals steht. Er fährt fort:

Letztes Jahr hatten die Leute richtig Angst vor der Regierung und den afghanischen Sicherheitskräften. Sie waren nicht bereit, mit uns zu kooperieren. Denn die Aufständischen haben die Leute misshandelt. Sie haben den wenigen, die bereit waren, mit den Sicherheitskräften zu kooperieren, gesagt, wir werden dich töten, wir werden deine Familie misshandeln und töten. Auf der Hauptstraße in diesen Provinzen, besonders zwischen Baghlan und Kundus, wurden viele Hinterhalte gelegt und Fahrzeuge – zivil und militärisch – in Brand gesetzt. Sie haben sich nicht darum gekümmert, ob es Opfer gab. Jetzt können wir gute Sicherheit auf diesem Highway bieten von Baghlan nach Kundus, von Kundus nach Tachar und von Tachar nach Badachschan. Unsere Fahrzeuge, selbst wenn sie nur zu zweit sind, haben auf diesen Strecken keine Probleme mehr. Wir haben diese Erfolge erzielt, indem wir zivile Projekte (mit den Militärmaßnahmen) verbunden haben, zusammen mit NDS (dem Geheimdienst) und Isaf. Das ist eine sehr langfristig angelegte Operation für die Hauptstraßen. Wir wollen, dass diese Haupt-Ringstraße 24 Stunden an sieben Tagen die Woche offen ist, für das Volk und für uns. Jetzt stehen wir vor der Winteroperation. Isaf, NDS, ANP (Afghanische Nationale Polizei), zusammen mit ANA (Afghanische Nationale Armee) planen die Winteroperation, die jetzt bald unter der Verantwortung der zweiten Brigade anfängt. Und sie wird sehr effektiv sein.

Wir bekommen endlich die Gelegenheit zu einer zweiten Frage: Ob die die afghanische Armee in der Lage sein werde, in zwei Jahren die volle Verantwortung für die Sicherheit zu übernehmen?

Darauf lässt sich nur schwer eine Antwort geben. Ich kann Ja oder auch Nein sagen. Ich sage Ja, wenn die Isaf und die internationale Gemeinschaft den afghanischen Sicherheitskräften mehr Fähigkeiten bereitstellen, wie schwere Waffen, von denen wir gar keine haben. Und wenn sie immer mehr unsere Sicherheitskräfte an schweren Waffen, schweren Kampfpanzern und all der Ausrüstung und den Fähigkeiten ausbilden, die Streitkräfte brauchen, dann werden wir das Problem lösen können und die Sicherheitsverantwortung übernehmen können. Aber jetzt komme ich zu der Antwort Nein, und dieses Nein hat eine höhere Wahrscheinlichkeit. Denn es wird ein kurzes Jahr, drei kurze Jahre, und wir brauchen, dass  die internationale Gemeinschaft weiterhin bei uns bleibt. Jetzt zu den Details. Wir haben immer noch nur leichte Waffen. Wir brauchen Panzer, Luftwaffe, Artillerie, Feuerunterstützung. Wenn wir all das haben und unsere Leute daran ausgebildet werden, dann werden wir immer professioneller. Dann werden wir in der Lage sein, unabhängig die Sicherheitsverantwortung zu übernehmen. Wenn nicht, dann nicht. Es ist mehr Zeit nötig.

Die ANA ist neuerdings zunehmend mit amerikanischen Gewehren ausgerüstet, jetzt herrscht dort ein Mix von M16 und Kalaschnikow – nicht zuletzt deshalb war die Lieferung von amerikanischen Waffen nicht unumstritten. Ein Soldat, der den General im Außenbereich als Leibwache begleitet hat, schwört offensichtlich auf die wohlvertraute russische Waffe. Die Aufstellung einer Luftwaffe für die afghanischen Streitkräfte ist, wie es heißt, geplant. Über Panzer und Artillerie verfügen die Afghanen nicht, nur über Mörser. Dafür haben die Amerikaner eine große Zahl von Ford-Pickup-Geländewagen geliefert, auf deren Ladepritsche ein Maschinengewehr lafettiert werden kann – ein bewegliches und in technisch rudimentär ausgestatteten Ländern bei Regierung wie Rebellen weit verbreitetes Waffensystem.

Ich will ein Beispiel nennen, die zweite Brigade, die mit den deutschen Kollegen zusammenarbeitet. Wann immer wir zusammen operieren, geben uns die Deutschen technische Unterstützung, Feuerunterstützung, Luftunterstützung, denn wir können das nicht allein. In Operationen brauchen wir Luftmacht. Wenn die internationalen Truppen und die Deutschen dieses Land verlassen, dann sollten sie diese Fähigkeiten für die zweite Brigade zurücklassen. Wenn sie ganz gehen, heißt das, dass alle diese Fähigkeiten und Unterstützung uns verlassen, und wir werden dann allein sein. Das würde ein sehr großes Problem für uns sein.

Dritte Frage: Die Aufständischen gehen zu der Strategie über, Hochwertziele anzugreifen. Sie, Herr General, sind eines. Haben Sie deswegen Sorgen? Und wie hat es Ihr Leben verändert?

Die kurze Antwort lautet, wenn einer ein Militär ist und eine Uniform trägt, dann sollte er sich vor nichts fürchten. Aber wie Sie sagen, haben die Aufständischen eine Menge Taktiken und haben ihr Vorgehen geändert. Sie attackieren jetzt Hochwertziele. Nicht nur die hohen Militärs, auch die hochstehenden Zivilisten. Ich will Ihnen ein Beispiel geben, das ich selbst erfahren habe. Ich war in einem Treffen mit dem Kommandeur des Isaf-Regionalkommandos Nord, dem deutschen General Kneip. Er war zusammen mit dem Kommandeur des 209. ANA-Korps und dem Kommandeur der Pamir-Polizeikorps und dem Polizeikommandeur Nord. Wir waren in einem Treffen im Palast des Gouverneurs der Provinz Tachar. Als der Polizeikommandeur von Tachar zusammen mit dem Pamir-Kommandeur herauskam, ist eine Mine explodiert. Es machte Boom. Dabei wurde General Kneip verwundet.

Das Mobiltelefon des Generals läutet mit dem Ton einer klassischen Telefonklingel, Waziri drückt den Anruf weg – keine Selbstverständlichkeit, wie uns bedeutet wird. Ebenso, dass während des Interviews kein Personenverkehr herrscht und der große Flachbildfernseher in der hinteren Ecke des Zimmers nicht läuft.

Ich war da und habe alles gesehen. Es gab viele Verluste bei den Deutschen und den Afghanen. Ich hatte mit meinem Mentor zusammen Glück, dass uns nichts passiert ist. Wir sind auch vorher schon gezielt angegriffen worden. Ich habe dem ins Auge gesehen. Oder nehmen Sie die Ermordung von Rabbani. Er war für die friedliche Integration. Aber da war einer mit einer kleinen Sprengladung in seinem Turban, und gerade als er Rabbani begrüßt hat, hat er auf den Knopf gedrückt, und er war tot und Rabbani war tot. Das kann noch gar keiner richtig fassen. Natürlich bin ich als Brigadekommandeur ein sehr wertvolles Ziel für sie. Aber lasst uns auf das Glück setzen. Wenn wir weiter Glück haben, werde ich am Leben bleiben. Ich werde weiter kämpfen, das wird keinen Einfluss auf meine Moral und meine Motivation haben. Würde ich mich davor fürchten, würde ich nicht bleiben, ich müsste meinen Job aufgeben.

Wenn wir ganz Afghanistan ansehen, nicht nur den Norden: In den vergangenen zehn Jahren hat es zunächst nur sehr geringen Erfolg gegeben, erst in den letzten zwei, drei Jahren ist etwas mehr Erfolg zu sehen. Haben Sie eine Erklärung, warum es so lange gedauert hat? Ist das genug, tut die Regierung genug?

Natürlich ist die internationale Gemeinschaft schon zehn Jahre hier. Aber es hat durchaus Entwicklung und Veränderungen in dieser Zeit gegeben. In diesem Land hat es drei Jahrzehnte Krieg gegeben, und nur ein bisschen Frieden in den letzten zehn Jahren. Es ist ein dreißigjähriger Krieg, und es wird mehr als dreißig Jahre dauern, um alles aufzubauen. Denn in den dreißig Jahren ist alles zerstört worden. Wir starten von Null. Nicht nur im Zivilen, auch in der Armee. Jetzt haben wir eine gute Zahl an Soldaten und afghanischen Sicherheitskräften. Natürlich hat es in manchen Jahren nicht so viel Fortschritt und Entwicklung gegeben, aber doch in den letzten Jahren. Manchmal gab es Sicherheitsprobleme, und deswegen konnte die Regierung nicht in den verschiedenen Provinzen vorankommen. Jetzt haben wir eine bessere Sicherheitslage und können wir mehr Sachen machen. Aber wir brauchen mehr Zeit und die internationale Gemeinschaft, denn wir brauchen mehr Wechsel in diesem Land.

Der Übersetzer, ein Sprachmittler in Diensten der Bundeswehr, spricht ein geläufiges Englisch, formuliert stets respektvoll mit Wendungen wie „der General sagt“, „Er möchte hinzufügen dass“. Nebenbei erkundigt er sich in einer Gesprächspause beim hinten sitzenden Presseoffizier nach den Arbeitsbedingungen im Public Affairs Office der Isaf – Sprachmittler sind gefragte Kräfte, sie können gute Preise verlangen und verdienen ein Vielfaches von Lehrern und Staatsdienern.

Die internationale Gemeinschaft hat eine große Anstrengung unternommen, dieses Land musste ja bei Null anfangen. Aber manche der Gaben dieser Länder kommen nicht direkt an in Afghanistan, sie kommen mit den Menschen aus diesen Ländern, die natürlich zuerst ihren eigenen Ländern dienen. Wenn man dieses Geld direkt an die afghanische Regierung geben würde, dann könnte die Regierung das direkt für die Projekte ausgeben. Das wäre effektiver. Ich gebe Ihnen ein kleines Beispiel. Die zweite Brigade wird von mehreren Unternehmen unterstützt. Aber die zweite Brigade hat keine Verträge mit diesen Unternehmen, die amerikanischen oder internationalen Geldgeber haben die Verträge gemacht. Der Aufbau der Brigade ist beinahe fertig, und immer noch wissen wir nicht, was in diesen Verträgen steht. Wir können ihnen nicht sagen, baue dieses oder jenes für uns, wir brauchen dieses oder jenes. Wir haben keinen Einblick in das, was sie tun, wir können nur sehen, was sie tun. Nein, es wäre effektiver, wenn sie uns fragen würden und es einen afghanischen Vertrag gäbe. Wir wissen, was wir brauchen.

Erst vor zwei Wochen war ein türkischer Unternehmer bei mir und hat gesagt, wir haben einen Vertrag mit amerikanischen Leuten und wir bauen etwas, wir werden 500 Mann hereinbringen und mit ihnen während der Bauphase in zwei Schichten Tag und Nacht beschäftigt sein. Dann könnt ihr es benutzen. Ich war wirklich schockiert. Ich mache mir wirklich Sorgen deswegen. Jetzt bauen die uns die Sachen hin, solange die Koalitionstruppen und die internationale Gemeinschaft da sind. Wenn sie weg sind, werden die Mittel gestoppt.

In seinem Anfangsgespräch mit Oberst Rohde hat General Waziri bereits über einen zivilen Auftragnehmer geschimpft, der Treibstoff liefern sollte. Spielchen habe der mit ihm treiben wollen! Aber nicht mit ihm, Waziri! Er habe ihn herausgeworfen! Fast konnte man den Zornausbruch auch ohne Übersetzer verstehen. Die Geste ist eindeutig. Kaum ist es zum sozusagen offiziellen Teil gekommen, dem Interview, ist die Gestik sparsam geworden. Erst recht, wenn die Reporter die Kamera heben, dann liegen die Hände auf der Tischplatte und der Blick geht starr geradeaus. Doch jetzt kommt Waziri auch uns gegenüber auf den Fall zu sprechen, und da wird er wieder lebhaft:

Zum Beispiel haben wir so viele Generatoren im Verantwortungsbereich der zweiten Brigade. Wir brauchen für jede Nacht tausend oder zweitausend Liter Treibstoff. Der kommt von der internationalen Gemeinschaft. Wenn die weg ist, werden wir nicht mehr jede Nacht zweitausend Liter Treibstoff bereitstellen. Was wird aus uns in der Zukunft? Wenn es kein Treibstoff gibt, gibt es keine Elektrizität, und hier wird nichts mehr sein. Mit unserer eigenen Wirtschaft werden wir nicht in der Lage sein, alles bereitzustellen. Wenn die internationale Gemeinschaft uns selbst für den Vertrag sorgen lassen würde, dann könnten wir auch selbst für unsere Zukunft vorsorgen.

Uns ist vorab mitgeteilt worden, dass Waziri ein Paschtune ist, Jahrgang 1956, und seit Ende der siebziger Jahre Soldat. Wir wollen mehr wissen.

Gestatten Sie einige Fragen zu Ihrer Person, Herr General: Wo kommen Sie her und aus welchen Gründen sind Sie in die Armee eingetreten?

Mein Name ist Mahammad Zammar und mein Nachname ist Waziri. Ich wurde in Paktika geboren. Von Kindheit an wollte ich Mitglied der Armee sein, ich habe seither immer daran gedacht. Nachdem ich meine zivilen Studien beendet habe, habe ich an der Militäruniversität  Militärökonomie studiert. Nach einigen Jahren habe ich meinen Abschluss gemacht und wurde Leutnant. Unsere frühere Armee war eine sehr gute Armee, sehr stark. Darin habe ich in mehreren Positionen gearbeitet. Schritt für Schritt war ich Zugführer, Kompanieführer, Kommandeur eines Kandaq und eines Regiments.

Waziri scheint selbst etwas englisch zu verstehen, denn er korrigiert den Übersetzer, der zunächst mit der Reihenfolge der Verwendungen durcheinander geraten war.

Ich war in dieser Armee auch stellvertretender Kommandeur eines Korps. Wegen der besonderen Sicherheitslage hier wurde ich als Brigadekommandeur eingesetzt. Zuvor war ich stellvertretender Kommandeur in Herat. Ich habe seit vielen Jahren meine Arbeit in der Armee gemacht, in vielen verschiedenen Regionen und Provinzen. Ich habe in Kandahar gearbeitet, in Jalalabad, in Kunar, Bagdis, Herat, Zabul, Lahman, Zamar. Überall. Das ist mein letzter Job in Kundus. Wie gesagt, ich bin nicht nur für Kundus verantwortlich, sondern auch für Badachschan, Baghlan, Tachar. Jetzt ist es Zeit für den nächsten Tee.

Das bedeutet: Das Interview ist zu Ende, aber wir dürfen noch bleiben. Es tritt ein der J2-Offizier Waziris, „der Counter-Insurgency-Offizier, um ein wenig Aufklärung zu betreiben“, wie uns übermittelt wird. Der General werde prüfen, ob alles in Ordnung ist. Dann geht es zu wie im Taubenschlag. Es klopft, ein Uniformierter mit einer Kladde in der Hand tritt ehrerbietig näher und legt sie dem Kommandeur vor, der blickt drauf, blättert etwas darin, unterschreibt, der Untergebene geht heraus, schließt die Tür, es klopft wieder, das Ganze wiederholt sich. Manchmal dauert es einen Moment, bis der nächste Adlat eintritt, dann blickt Waziri schweigend und entschlossen nach rechts aus dem Fenster. Wir nutzen eine der Pausen für noch eine Frage: Ob es nicht schädlich sei, dass der ihm zugeordnete Mentor alle halbe Jahr wechselt.

Das ist nicht so gut. Ich finde einen guten Freund, und nach sechs Monaten geht er wieder. Wenn meine Mentoren hierher kommen, nicht nur die Brigadementoren, sondern alle, dann fangen sie gleich an zu arbeiten. Sie warten nicht, bis sie vertraut werden, sondern sie arbeiten sofort los. Mein Ziel war diesmal, dass diese Zeit (wohl: sich einzuarbeiten) für den Mentor kurz wird. Um jemanden kennenzulernen, dauert es Zeit. Wenn jemand neu kommt, weißt du nicht, wer er ist, welche Haltung er hat, wie er sich benimmt. In sechs Monaten kennst du jemanden voll und ganz.

Nun wird der General geradezu dialektisch: Man müsse die Sache auch von der anderen Seite betrachten. Ein neuer Mentor kenne ihn, Waziri, schließlich auch noch nicht. Könne er ihm nicht das Blaue vom Himmel herunterlügen, ihm alles Mögliche über seine Ehrlichkeit erzählen und gleichzeitig auf eigene Rechnung arbeiten? Es würden dann doch Wochen und Monate vergehen, bis der Mentor das merke, und dann sei er schon bald wieder an der Reihe zu gehen – alles werde er dem Neuen schließlich auch nicht vermitteln können. Tatsächlich gilt Waziri bei der Isaf als eifriger, ja, fast übereifriger Kämpfer gegen Korruption in seinem Zuständigkeitsbereich und bei seinen Untergebenen. Gilt das auch für ihn selbst? Man wisse jedenfalls nichts Gegenteiliges, heißt es im PRT.

Jetzt nickt er Rohde zu und fährt fort:

Meinen Mentor kenne ich nun vollständig. Wenn der neue Mentor nach sechs Monaten kommt, muss ich von vorne anfangen. Manchmal habe ich Pläne für die Zukunft, und ich sage meinem Mentor, ich werde das mit dir zusammen machen. Wenn der Neue kommt, wird er es nicht auf dieselbe Weise machen wie er es tut. Er hat seine eigene Ansicht und seinen eigenen Weg. Das ist meine persönliche Sicht.

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