Der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ hat, kaum dass er am Horn von Afrika den Dienst als Piratenjäger angetreten hat, sogleich acht Piraterieverdächtige arretiert, wie die Bundeswehr mitteilt. Eine Zelle war bereits vorbereitet, sie liegt auf dem vorderen Teil des Schiffes zwischen Containern.
Das Gefängnis ist sogar interkulturell sensibel ausgestattet. Man sollte es nur vermeiden, das Buch hinterher zu verbrennen.
Gleichwohl dürften die mutmaßlichen Piraten, wenn die zuletzt geübte Praxis beibehalten wird, am nächsterreichten somalischen Strand wieder ausgesetzt werden. Denn die Neigung zu Piratenprozessen hat doch sowohl in Kenia, als auch auf den Seychellen deutlich nachgelassen. Von Hamburg ganz zu schweigen, selbst wenn wieder einmal ein Vorfall mit deutschem Bezug sich ereignen sollte.
Anfang dieser Woche hatte ich Gelegenheit, diese Bilder zu machen und verschiedenen Leuten auf der „Berlin“ und der Fregatte „Lübeck“ Fragen zu stellen, als ich über einen Besuch des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Volker Wieker, berichtete (mit dabei auch die Kollegin von der „Welt“). Ein paar Erkenntnisse bei der Gelegenheit:
Die militärischen Schutzbesatzungen für zivile Schiffe (Vessel Protection Detachements, VPD), zunächst vor allem von Franzosen eingesetzt, machen Schule. Auch Holländer, Italiener setzen zunehmend darauf. Diese Maßnahme hat sich bislang als wirkungsvoll erwiesen: Noch kein Schiff, das von einer bewaffneten Mannschaft geschützt wurde, ist gekapert worden. Allerdings ist auch eine Folge eingetreten, vor der Gegner einer solchen Maßnahme gewarnt hatten, nämlich eine gewisse Eskalation. Piraten drehen nicht mehr automatisch bei, wenn sie bemerken, dass Bewaffnete an Bord sind. Es kommt zu Schusswechseln, ein deutscher Soldat sprach von einem längeren Feuergefecht, das er nicht selbst erlebt, von dem er aber von einem Beteiligten aus erster Hand gehört habe.
Daher ist es keineswegs abwegig, wenn die VPD auch mit größerem Kaliber ausgerüstet werden.
Die Schutzkomponente ist demgegenüber eher unterentwickelt. Die Soldaten haben ihre Schutzwesten. Ansonsten könnten sie sich höchstens ein Sandsacknest auf Deck bauen. Andererseits klingen sie recht zuversichtlich, was die eigene Reichweite und Treffsicherheit von der größeren Plattform aus gegenüber Kalaschnikows und Panzerfäusten von, Piratenskiffs aus abgefeuert, betrifft. Eine andere Frage ist die von Hygiene und Versorgung. Die Deutschen werden als VPD bislang ausschließlich auf Hilfstransporten des Welternährungsprogramms WFP eingesetzt, oft örtlich gechartete Frachter. Andeutungen reichen um zu begreifen, dass die Soldaten vollkommen autark sein wollen, was Wasser, Nahrung und auch die Behelfslatrine betrifft. Stärke des deutschen VPD: Ein Offizier, ein Portepeeunteroffizier, eine (in diesem Fall) Rettungssanitäterin und neun Mannschaften.
Anders als beispielsweise die Niederländer können die Deutschen bislang allerdings nicht als „autonome VPD“ eingesetzt werden. Es muss immer das eigene Schiff in Reichweite bleiben, maximal eine halbe Hubschrauberstunde entfernt. Das hat mit der „Golden Hour“ zu tun, der Vorschrift, dass ein Verwundeter binnen einer Stunde in die Versorgung eines Feldlazaretts oder ähnlichem überführt werden muss. Der VPD-Führer, ein junger Oberleutnant zur See, meint, dass man auch autonomer agieren könnte, ein sanitätsdienstlich als „Combat First Responer“ ausgebildeter Soldat im Team würde es auch tun. Mit sichtlichem Interesse hat der Generalinspekteur sich das angehört. Er sagt zu den autonomen VPD jedoch nur allgemein: „Die Niederländer machen damit jetzt ihre ersten Erfahrungen. Davon hoffen wir zu profitieren und unsere eigenen Lehren daraus zu ziehen.“
(Fotos: löw.)
Sehr interessanter Bericht....
Sehr interessanter Bericht. Vielen Dank!
Die autonomen VPD sollten eigentlich seit Beginn von ATALANTA möglich sein. Aber die erweiterte Sanitätsausbildung ist ja schon länger eines der großen Trauerspiele der Bundeswehr.
Mit Einführung der Einsatzersthelferausbildung wurden die „Combat First Responder“-Lehrgänge noch strikter auf Spezialkräfte und Teile der spezialisierten Kräfte (EGB) beschränkt.
Anstatt dass der GI sich Problem und Lösung anhört und zeitnah eine – längst überfällige – Entscheidung trifft, schiebt er eine Entscheidung – auch hier – auf den St. Nimmerleinstag und flüchtet sich in typischen Gemeinplätze.
Einfach nur noch peinlich.
Und was ist mit Syrien? Keine...
Und was ist mit Syrien? Keine Freiwilligen?
Gefahren drohen nicht nur von...
Gefahren drohen nicht nur von Piraten, sondern auch von den über dreißig Staaten, die Raketen , die mit MVW bestückt werden können, entweder besitzenoder die den Besitz solcher Raketen anstreben. Doch unser Bündnis hat alles unter Kontrolle. Auf dem NATO-Gipfel in Chicago am 20. Mai konnte Anders Fogh Rasmussen, seit 2009 Generalsekretär des „mächtigsten und erfolgreich-sten Verteidigungsbündnisses der Geschichte“ eine frohe Botschaft verkündigen: ab dem 20. Mai des Jahres Zweitausendzwölf werde man das Bündnisgebiet und seine Bevölkerung gegen Angriffe weitreichender Raketen aus „Schurkenstaaten“ verteidigen können. Mindestens dreißig Staaten gäbe es mit der vorhandenen oder geplanten Fähigkeit, die eigene Allianz mit vernichtenden Angriffen zu bedrohen: heute könne er die „Anfangsbefähigung“ eines neuen Raketenschildes bekanntgeben. Der würde planmäßig weiter ausgebaut und in acht Jahren den Mitgliedern der Allianz vollkommenen Schutz gewähren.
Ob bei dieser frohen Botschaft die Herrscher der NATO-Heerscharen in laute Lobpreisungen ausbrachen oder auch nicht: schnell verbreitete sich die Kunde von diesem wundersamen Ereignis über die himmlischen Sphären durch die ganze Welt. Die Menschen freuten sich über sich die guten Worte von Kaiser Anders Fogh Rasmussen über seinen neuen Raketenschild: Fürchtet euch nicht mehr vor den bösen, todbringenden Raketen. Und sie begannen alsbald, sich wieder mit ihren wirklichen Sorgen zu beschäftigen, von denen sie wahrlich genug hatten.
Zwei Wochen später ist das Spektakel von Chicago Geschichte und das Rauschen im Blätterwald verstummt. Auch die meisten sicherheitspolitisch Interessierten Leser dürften sich aufgrund der ziemlich dürren Berichterstattung kaum ein Bild davon machen können, was in Chicago nun wirklich beschlossen wurde. Die Journalisten haben neue Themen, und nur wenige haben sich die Zeit genommen, um die Botschaft aus Chicago noch einmal gründlich zu lesen. Lothar Rühl, einer der alten Weisen Männer aus Deutschland, war so einer. Er hatte die Welt länger gesehen als die meisten seiner schreibenden Kollegen. Dazu hatte er nicht nur ein gutes Gedächtnis; er besaß auch die Gabe, schöne Geschichten auf die in ihnen enthaltenen Tatsachen abzuklopfen und unangenehme Fragen zu stellen: Was ist eigentlich neu daran? Was weiß man genau? Gibt es Widersprüche? Hat der schöne Plan Aussichten zu gelingen? Würde der Schild im Falle eines Falles uns wirklich schützen? Cui bono? Wer profitiert von dem schönen Schildprojekt? Und schließlich: Wer soll das bezahlen?
Lothar Rühl, der alte Fuchs, hat seine vernichtende Kritik an den Beschlüssen von Chicago gekonnt kaschiert. Er ist ja keineswegs grundsätzlich gegen Militärs, Rüstung und Verteidigungsausgaben, sondern eher ein Konservativer von altem Schrot und Korn, der regelmäßig seine Anmerkungen zum sicherheitspolitischen Weltgeschehen in der dieser Zeitung veröffentlicht.
Daß seine Analyse des Gipfels in Chicago unter dem Titel „Noch ein langer Weg“ (FAZ vom 22.5.2012) nur zwei Tage nach dem Gipfel gedruckt wurde, lag aber wohl an seiner (zutreffenden) einleitenden Feststellung: die vorbereitete Erklärung des Gipfels von Chicago bot nichts Neues. Die von Rasmussen erklärte neue Initialfähigkeit zur Raketenabwehr war wenig mehr als Gipfelgetöse; sie wurde bereits 2009 (!) von der Regierung von Präsident Obama beschlossen; die entsprechenden US-Aktivitäten wie der Abschluß von Stationierungsverträge mit Polen und Rumänien, Vereinbarung von Hafenrechte in Spanien, die Einrichtung eines Führungsgefechtsstandes in Ramstein unter einem US-General, die Inbetriebnahme eines neuen Radars in der Türkei und dessen Funkanbindung an die Zentrale in Ramstein sind seit mehr als einem halben Jahr bekannt.
Die außer Frühwarnsatelliten, weitreichenden Radaranlagen und Kommandozentralen benötigte „Anfangsfähigkeit“ zum Bekämpfen der bedrohlichen Raketen schließlich stellt ein für solche Aufgaben optimiertes US-Kriegsschiff sicher, nämlich zunächst ein im spanischen ROTA stationierter Raketenkreuzer vom Typ Aegis. In den nächsten „Phasen“ sollen mehrere andere Einheiten, vielleicht sogar holländische und deutsche Raketenzerstörer, dazukommen. Den Voranschlägen des US-Haushalts kann man entnehmen, daß die für den weltweiten Einsatz bestimmten Raketenkreuzer – Kernstück des Schildes – zunächst mit dem erprobten Abwehrsystem SM-3 Block 1 ausgerüstet sind. Ab etwa 2015 sollen dann in Rumänien und Polen zwei Stellungen mit deutlich verbesserten SM-3-Raketen des Typs Block II in Betrieb genommen werden.
Mit der Bewertung der Eignung dieses neugeschaffenen „Schildes“ zum flächendeckenden Schutz Europas vor ballistischen Raketen hält sich der ehemalige Staatssekretär Rühl diplomatisch zurück. Aber seine Hinweise auf die Interdependenz von politischen und technisch operativen Komplikationen, die zu einem doppelten Risiko einer zu frühen oder zu späten Raketenabwehr führen könnten, ist deutlich. Mit der Lösung dieses Dilemmas hat seiner Meinung nach der Nordatlantikrat noch nicht einmal begonnen.
Ob wenigstens der Ansatz des von den USA konzipierten EPAA – des European Phased Adaptive Approach – Erfolg verspricht, bleibt daher aus Sicht von Lothar Rühl auch wegen der zahlreichen unbekannten Faktoren offen. Die ablehnende Haltung Rußlands wiegt in diesem Zusammenhang schwer. Mit dem Versuch von Rasmussen und anderen, die absolut friedlichen und defensiven Absichten der Schildstrategie zu betonen, ist es jedenfalls nicht getan.
Erstaunlich aber ist: das Hauptproblem der neuen NATO-Schildstrategie, die ja erst in acht Jahren wirklich wirksam werden soll, wird von Lothar Rühl allenfalls zwischen den Zeilen angedeutet. So wird seit Jahren eine öffentliche Diskussion über die Frage geführt, wann ein Präventivschlag gegen das iranische Nuklearpotential geführt werden muß. Die israelische Regierung glaubt, nur noch wenige Monate Zeit zu haben. Präsident Obama, dem im November dieses Jahres Präsidentschaftswahlen vor der Tür stehen, ist deutlich zurückhaltender. Zwar sieht auch er eindeutig rote Linien am Horizont, die der Iran nicht überschreiten darf. Dennoch: einen neuen Präventivkrieg auf bloßen Verdacht kann er weder wollen, noch werden die USA ihn riskieren. Denn nicht einmal die militärischen Erfolgschancen eines präventiven Angriffs nach dem Muster der Zerstörung des irakischen Reaktors Osirac durch israelische Kampfflugzeuge 1981 wären einigermaßen kalkulierbar.
Hinzu kommt: selbst wenn die Iraner den wahnwitzigen Plan eines nuklearen Angriffs auf Israel ausführen wollten – warum sollten sie Israel und den USA den Gefallen tun, diesen Angriff aufzuschieben, bis der „Abwehrschild“ fertiggestellt ist? Und wer bildet sich ein, die Israelis würden im Vertrauen auf den sicheren NATO-Schild eigene offensive Aktionen unterlassen, falls die Iraner nuklear bestückte Raketen gegen Jerusalem und Tel Aviv in Stellung bringen?
Nein, der Schild richtet sich – anders als frühere Erklärungen von Präsident Obama vermuten lassen – nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, gegen die Shahab-Raketen des Iran. Auch wenn sich diese Gefahr in der einen oder anderen Weise erledigen würde (durch Einlenken der derzeitigen Führung des Irans, durch politische Veränderungen in diesem Land oder durch einen Präventivschlag): auf die Bedrohungsanalyse der Allianz hätte das keinen entscheidenden Einfluß. Denn nach dem gültigen Strategischen Konzept der NATO von 2010 liegen die „unkalkulierbaren Gefahren für globale Stabilität und Wohlstand“ in der „Proliferation nuklearer und anderer Massenvernichtungswaffen und entsprechender Trägermittel.“
Auf der Grundlage dieses strategischen Konzeptes kann der Generalsekretär der NATO unwidersprochen behaupten, mehr als 30 Staaten in der Welt besäßen die erforderlichen Technologien zum Bau von Raketen mit Massenvernichtungswaffen oder strebten ihren Erwerb an. „Deswegen wird die NATO die Fähigkeit entwickeln, unsere Bevölkerung und unser Territorium gegen Angriffe mit ballistischen Raketen als Kern unserer kollektiven Verteidigung zu schützen.“
Vollmundige Worte – aber wer sind die mehr als dreißig Staaten, gegen deren mögliche Angriffe sich die NATO wappnen zu müssen glaubt? Es spricht Bände über den Zustand des NATO-Bündnisses, daß offensichtlich keiner der in Chicago anwesenden Regierungschefs sich die Mühe gemacht hat, die Liste dieser 32 angeblich bedrohlichen Staaten einzusehen (https://www.armscontrol.org/factsheets/missiles#1, Stand Januar 2012). Hätte man diese Liste – die von Afghanistan (!) mit einigen alten Scud-Raketen angeführt wird – gelesen, hätte man sich vermutlich nicht die Blöße gegeben, in Zeiten deutlich schrumpfender Verteidigungshaushalte in Europa erhebliche Ausgaben für die Abwehr einer imaginären Bedrohung als „smart defense“ zu bezeichnen.
Sorgfältig vermieden hat die NATO zudem, die benötigten (oder besser: geplanten) Gesamtzahlen an Führungssystemen und Waffen für den neuen Schild zu quantifizieren und die daraus abzuschätzenden Gesamtkosten auf die beteiligten NATO-Mitglieder aufzuteilen. Etwa vorhandene Berechnungen hat man jedenfalls der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt, weil das mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ende des „Schildes“ bedeutet hätte. Denn der technische Fortschritt, der in der Endausbaustufe die Abdeckung des gesamten europäischen NATO-Gebietes ermöglichen soll, hat seinen Preis: Die für die ortsfesten Stellungen vorgesehenen SM-3 des Block II B kosten mit rund 25 Millionen Dollar pro Stück fast drei mal so viel wie ihre heute bereits im Einsatz befindlichen Vorgänger des Blockes IA.
Den veröffentlichten Haushaltsvoranschlägen des Pentagons ist zu entnehmen, daß für Forschung und Entwicklung, Beschaffung und Betrieb allein des „Standard Missile“ bis 2016 zwischen 3 und 4 Milliarden Dollar jährlich anfallen. Die Kosten für Schiffe, Radare, Frühwarnsatelliten , Kommandozentralen etc. sind in diesen Beträgen ebenso wenig enthalten wie die ebenfalls geplanten Systeme für eine ergänzende Endphasenverteidigung gegen ballistische Raketen (THAAD und Patriot).
Die Gesamtansätze für Ballistic Missile Defense der USA belaufen sich in den nächsten Jahren auf ca. 10 Mrd. Dollar jährlich. Die Kosten für eine Endphasenverteidigung des gesamten NATO-Gebietes wären wegen der wesentlich größeren Zahl der benötigten Systeme weitaus höher.
Der NATO-Schild in der beschlossenen Form – die Prognose sei gewagt – wird scheitern – nicht nur wegen seiner Bedrohungsperzeption und seiner technischen und operationellen Risiken, sondern auch, weil er für die NATO (auch mit dem Hauptzahler USA) nicht finanzierbar ist. Er wäre nicht das erste gescheiterte Projekt in der langen Geschichte der Abwehrkonzepte gegen ballistische Raketen. Safeguard, SDI, und GPALS (Global Protection Against Limited Strikes) lassen grüßen.
Der vorläufig vorletzte Plan wurde auf dem NATO-Gipfel in Riga Ende 2005 verabschiedet. Das dazugehörige Acronym ist heute, sechs Jahre später, vermutlich nur noch wenigen Experten und noch weniger Journalisten bekannt: ALTBMD. Es steht für Active Layered Tactical Ballistic Missile Defense. Zu deutsch also aktive mehrschichtige Verteidigung gegen taktische ballistische Flugkörper. Das Vorhaben scheiterte besonders spektakulär, weil es das Gegenteil von dem bewirkte, was erreicht werden sollte.
2005 ins Leben gerufen wollte die NATO mit dem ALTBMD Programm die bei den Mitgliedern vorhandenen und damals geplanten Abwehrsysteme gegen taktische ballistische Raketen, also im wesentlichen Patriot und das in Planung befindliche MEADS in einem gemeinsamen Führungs- und Informationssystem zusammenfassen. So sollte die Abwehrfähigkeit des Bündnisse gegen die Bedrohung eigener Einsatzkräfte durch taktische Raketen mit einer Reichweite von bis zu 3000 km verbessert werden. Geplant waren zwei Ausbaustufen. In der ersten Stufe wurden die vorhandenen Kommandozentralen, Sensoren und Abwehrmittel der sogenannten unteren Abwehrschicht (Lower tier) zusammengefaßt, wobei man sich teilweise auf die Strukturen der integrierten NATO-Luftverteidigung (NATINAD) stützen konnte. In der zweiten Stufe sollten dann Abwehrsysteme (wie THAAD) für die obere Schicht (Upper tier) dazukommen.
2006, also ein Jahr später, wurde in der NATO-Gipfelerklärung von Riga zwar noch stolz auf die Verbesserung des Schutzes eingesetzter Streitkräfte durch den Abschluß eines ersten ALTBMD-Vertrages hingewiesen. Zugleich aber wurde die Erosion der für die Raketenabwehr vorgesehenen Kampfverbände vor allem in Deutschland zügig fort.
Seit der Bukarester Gipfelerklärung 2008 ist folglich von ALTBMD und dem Schutz von „Truppen im Einsatz“ keine Rede mehr. Jetzt sind es die Bevölkerung und das Gebiet der NATO, die gegen Angriffe weitreichender ballistischer Raketen verteidigt werden sollen. 2010 wurde dann ALTBMD formlos beerdigt; organisa-torische Reste sollen 2012 in dem neuen Schildkonzept aufgehen, das jetzt die früher aus guten Gründen getrennten Komplexe „Theater Missile Defense“ und „National/Territorial Missile Defense“ mit einander verschmelzen soll. Die neue Zauberformel heißt „comprehensive missile defense architecture”, ein „umfassendes“ Schutzsystem also, für das gleich mehrere „Optionen“ entwickelt werden sollen.
Die Prognose sei gewagt: spätestens wenn die ersten Kostenvoranschläge auf den Tisch kommen, wird auch dieser virtuelle Raketenabwehrschild sang- und klanglos in der Versenkung verschwinden.
Die Frage bleibt: Was haben die Verantwortlichen in den USA und der NATO mit der Einrichtung des NATO-Raketenabwehrschildes bezweckt?
Daß die Rüstungsindustrie an den nun schon ein halbes Jahrhundert andauernden Experimenten hervorragend verdient hat, liegt auf der Hand. Für sie sind Abwehrsysteme gegen Nuklearraketen ein ideales Produkt: realistischen Tests sind Grenzen gesetzt; dafür müssen die Systeme ständig weiter entwickelt werden, denn die vermeintliche Bedrohung wächst ständig an; sollte die Abwehr dennoch im Ernstfall nicht den versprochenen Schutz gewähren, wird niemand mehr da sein, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Bei der US-Rüstungsindustrie kommt hinzu, daß in den USA sich mehrere Teilstreitkräfte und verschiedene große Konzerne den Raketenabwehrkuchen teilen. Jeder Konzern ist bemüht, eigene Projekte wegen der Begrenztheit der Haushaltsmittel abzusichern, indem sie diese zum NATO-Vorhaben erklären – auch wenn der Anteil der europäischen NATO-Staaten an Großvorhaben wie der Flotte von AEGIS-Kreuzern mit der SM-3 Bewaffnung verschwindend gering ist. Mit NATO-Verpflichtungen läßt sich im US-Kongreß immer wirkungsvoll argumentieren, wenn wieder einmal Kürzungen der Haushaltsmittel anstehen.
Die NATO als Organisation hat, wie gezeigt, mangels Bedrohung keinen Grund, einen für sie unbezahlbaren Raketenschild aufzubauen. Sie hat ihre eigentliche Existenzberechtigung ohnehin mit dem Ende des Kalten Krieges eingebüßt hat und tut nur noch so, als ob sie ein Bündnis gleichberechtigter Staaten zur Verteidigung des eigenen Wertesystems und des eigenen Bündnisgebietes ist. Sie ist längst zu einer großen Bürokratie degeneriert, die vor allem mit der Suche nach neuen Aufgaben (out of area oder out of business) und dem Erhalt der eigenen Strukturen beschäftigt ist. Da kommt ein Projekt wie Raketenverteidi-gung sehr gelegen.
Aus Sicht der politischen und militärischen Führung der USA scheint es für den NATO-Abwehrschild gegen ballistische Raketen drei Gründe zu geben (zu denen die „Bedrohung“ der NATO durch die Raketen von „Schurkenstaaten“ mit Sicherheit nicht gehören):
• Einmal ergänzt er die israelischen Bemühungen auf dem Gebiet der Raketenabwehr, wo ohnehin eine enge Zusammenarbeit mit den USA besteht. So soll die Entwicklung einer landgestützten Version der SM-3 ursprünglich auf den Wunsch Israels auf Leistungssteigerung ihres Arrow-2 Systems zurückgehen. Israel ist – im Gegensatz zu Europa – ein Land, das sich wirklich bedroht fühlen kann.
• Zweitens wird es den USA ermöglicht, ihr weltweites Stützpunktnetz zu komplettieren, das vielseitig genutzt werden kann. Genau das ist es natürlich, was den Russen mißfällt, auch wenn der Schwerpunkt ihrer Einwände sich vordergründig gegen die mögliche Beeinträchtigung ihrer Zweitschlagsfähigkeit richtet
• Und drittens ist der Aufbau eines „Schildes“ mit weiterentwickelten SM-3 Raketen ein Baustein für den Kampf um die Vorherrschaft im erdnahen Weltraum. Die Meldung vom Abschuß eines defekten US-Aufklärungssatelliten (193/NROL21) am 21. Februar 2008 durch eine von dem US-Raketenkreuzer Lake Erie abgefeuerte SM-3 Rakete wurde von den russischen Medien denn auch mit der Überschrift versehen: „Pentagon zeigt seine kosmischen Zähne“. Offensichtlich haben die Russen die Botschaft verstanden.
Vielen Dank, Herr General Dr....
Vielen Dank, Herr General Dr. Hagena, für Ihren Versuch der Wiederbelebung dieses Blogs.
Mit folgendem Verweis hier mein Wiederbelebungsversuch.
Zum Thema „Sparzwang gefährdet Sicherheit der Bundeswehr. Einsparungen im Verteidigungsetat führen zur Gefährdung von Soldaten und Zivilisten in Afghanistan.“ berichtet die Financial Times Deutschland:
https://www.ftd.de/politik/deutschland/:alarmruf-des-wehrbeauftragten-sparzwang-gefaehrdet-sicherheit-der-bundeswehr/70047600.html
Lieber Herr Osmers,
war drei...
Lieber Herr Osmers,
war drei Tage unterwegs und kann deswegen erst heute auf IUhren interessanten Hinweis auf die Financial Times reagieren. Ich hatte eigentlich kaum noch damit gerechnet, daß irgendjemand meinen Beitrag noch liest.
In der Tat wäre éin Forum für sicherheitspolitische Fragen ein „Desiderat“. Es gibt ja immer wieder Ereignisse und Meldungen, bei denen die Meinung der hier sich Äußernden von Interesse wär. Ich denke z.B. an die unsägliche (vom AA veranlaßte) Tilgung einer Grabinschrift für acht Flieger der Legion Condor auf einem Friedhof von Madrid und ihre Begründung, oder die jüngsten Aussagen des Generalinspekteurs zur Tradition und den Traditionsrichtlinien in den „Leitsätzen“ für Soldaten. Die Ausführungen des Bundespräsidenten bei seinem ersten Auftritt an der Führungsakademie der Bw hätten ebenfalls eine krtische Kommentierung verdient. Der „Veteranentag“ – daß er nur für Angehörige der Bundeswehr gilt, scheint sich für die Öffentlichkeit fast schon von selbst zu verstehen – wäre auch ein Thema. Die Überlebenden des zweiten Weltkrieges werden als betagte Männer, die mit zahlreichen „Abzeichen“ geschmückt vorwiegend über Heldentaten aus vergangenen Zeiten“ bezeichnet.
Das ist bei den meisten Medien vermutlich keine böse Absicht. Bei sicherheitspolitischen Mitarbeitern wird eben zuerst gespart, und selbst große Tageszeitungen beschränken sich oft genug zumal bei komplizierten Themen auf Agenturmeldungen. Was dabei häufig herauskommt, kann man in der Berichterstattung über den „Raketenschild“ studieren. Ein positives Gegenbeispiel ist der Beitrag von Professor Tomuschat mit dem Titel „Töten im Krieg“ (FAZ vom 18.4.2012)
Da, wo man – wie in der FAZ – qualifizierte redaktionelle Mitarbeiter hat, sind Sicherheitspolitik, Rüstung und das Innenleben der Bundeswehr Gebiete, die neben anderen bearbeitet werden müssen und in der Priorität naturgemäß nachgeordnet sind. Das Desinteresse der Gesellschaft ist da nicht verwunderlich.
Herr General Dr....
Herr General Dr. Hagena,
danke für Ihre Antwort.
Sie bieten ein ganzes Paket von Themen an, die eigentlich hier erörtert und diskutiert werden müßten, in diesen geschichtsvergessenen Zeiten, in denen Tradition, Wahrhaftigkeit, Ehre und Anstand Begriffe geworden sind, über die mitleidig gelächelt wird. Wie über die von Ihnen ironisch so genannten „Abzeichen“ der Veteranen des letzten Weltkriegs.
Da Ihre Antwort mich zu einem Zeitpunkt erreicht, zu dem ich mich von der F.A.Z. verabschiede*), würde ich mich freuen, wenn Sie mich per EPost (Hinweis auf „Links“ etc.) über Ihre Beiträge gelegentlich auf dem Laufenden hielten.
Ihr Lüder Osmers (LOsmers@t-online.de)
*) Im FAZ.NET nimmt die Zensur der Leserbeiträge durch irgendwelche Praktikanten nicht mehr tolerable Ausmaße an, und wer – wie ich – durch unliebsame Äußerungen „aufgefallen“ ist, dem wird mittels IP-Adresse der Zugang gänzlich gesperrt; die Adresse manuell zu ändern, nur um die Sperrung durch die F.A.Z. zu umgehen, schenke ich mir.
herr osmers,
schade, daß Sie...
herr osmers,
schade, daß Sie dem forum den rücken kehren. und nach wiederauflage des libyen-drehbuchs (briten und franzosen in syrien festgesetzt) auch schade, daß Sie hier nicht ein weiteres „kriegstagebuch“ wie beim letzten mal veröffentlichen.
daß Ihre beiträge unterdrückt werden, kann nicht im sinne einer offenen diskussion sein, in der man durchaus schon mal unterschiedlicher meinung sein kann und darf.
alles gute,
d.weise
Einen guten Abend an die Runde...
Einen guten Abend an die Runde hier.
Auch ich habe ihren glänzenden Beitrag gelesen verehrter Herr General Hagena.
Und das, obwohl Sie selbst mir einmal in der Vergangenheit schrieben, daß weniger oft mehr sein kann….
Gelegentlich schaue ich hier noch rein und war nun sehr erfreut ihren Beitrag zu sehen.
Das was Sie ansprechen,I. die Kosten eines Abwehrsystems und II. wem die NATO wirklich nützt, sind sehr interessante Fragen. Wenn man bedenkt, wie hoch die Ausgaben der USA für Rüstungsgüter sind, kann man sich sicherlich auch vorstellen, daß damit eine große Anzahl von Arbeitsplätzen verbunden sind, die sich allerdings, so las ich neulich, nicht mehr alle in den USA, sondern, entsprechend den verschiedenen Rüstungsgütern, in unterschiedlichen Ländern, wie bsplw. Indien und der Türkei befinden.
Werter Herr Osmers.
Auch ich würde es bedauern, wenn Sie dem Blog hier ständig den Rücken zukehren würden. Ihr >Libyenkriegstagebuch<, wie bereits von Herrn Weise beschrieben, war wirklich eine gute Darstellung - und: Es wurde hier auch gezeigt! Und nicht zuletzt würden wir unser gemeinsames Zuprosten im Januar nicht mehr abhalten können.... Zu ihrer Thematik der Zensur kann ich nicht viel schreiben. Ich habe einmal vernommen, daß die IP Adresse sich immer wieder erneut ändert, wenn man nicht dauernd im Netz ist. Ansonsten wünsche ich allen Lesenden hier einen angenehmen Dienstag . Grüße: H.T.
Danke für die freundlichen...
Danke für die freundlichen Worte, lieber Prekarianer. Lüder Osmers hat recht, wenn er von einem Wiederbelebungsversuch sprucht, und Sie haben recht, wenn Sie die Länge des Beitrags monieren. Daß das ganze natürlich mit Piraterie nichts zu tun hatte und rin funmktionierender Zensor eigentlich hätte eingreifen können, weil nmun wirklich off topic, kommt noch dazu.
Zur Länge: ich hatte auf Bitten des „Blättchen“, das sich in der Tradition der Weltbühne (Jacobsohn, Tucholsky und Ossietzky) sieht, den Auftrag, etwas über Chicago zu schreiben, und als ich den Entwuirf fertig hatte, dachte ich, stell ihn bei Löwenstein ein und fange vielleicht zwei Fliegen mit einer Klappe. So hat er mir zwar den Kontakt mit zwei sicherheitspolitischen Weggefährten, aber keine kritisch-konstruktiven Vorschläge gebracht – und die Wiederbelebung war ein Versuch mit ungtauglichen Mitteln am untaugluchen Objekt – obwohl ich listig den Grandseigneur der Community, Lothat Rühl, als Stichwortgeber instrumentalisiert hatte. Er nimmt es mir hoffentlich nicht übel!
Fakt aber ist und bleibt: seit über vier Monaten herrscht Schweigen im Walde bzw. im Löwenstein-Blog und man darf rätseln: darf er nicht mehr? war ihm das Lesen der Beiträge zu viel? Zugegeben, er hatte in der Zeit an ein paar dicken Brocken zu kauen, die nichts mit Sicherheit zu tun haben. Aber bei ein paar Geschichten müßten ihn doch gereizt haben, 75 Jahre Guernica z.B. und die kluge Bemerkung von Guido Westerwelle, die in Madrid begrabenen Flieger hätten kein besonderes Gedenken verdient, angesichts des Leides, daß i n s – b e s o n d e r e sie über die spanische Zivilbevölkerung gebracht hätten. Also wird die Grabinschrift übermalt.
Auch seinen Beitrag heute auf Seite 8 zur Gauck-Rede an der Führungsakade-demie hätte man ja gekürzt ins Netz stellen können. Ich kenne den Oberst, der seinerzeit den Satz von dem freundlichen Desinteresse erfunden hat. Desinteresse kann vielleicht höflich sein, aber nie freundlich. Vielleicht ist es aber ein Fehler, sich bei Worten etwas denken zu wollen oder gar anzunehmen, der Redende habe sich etwas bei seinen Worten gedacht.
Also alle Appelle an Lueder Osmers, weiterzumachen und sich doch schon einmal Gedanken über ein Syrien-Tagebuch zu machen (denen ich mich natürlich anschließe, sind wohl für diesen Blog in den Wind gesprochen. Irgendwann wird auch die jetzige muntere off-topic Plauderei beendet werden. Da könnte ja jeder kommen.
In diesem Sinne und Horridoh! HH
Verehrter Herr Hagena.
Leider...
Verehrter Herr Hagena.
Leider komme ich erst heute dazu ihnen zurückzuschreiben.
Es lag mir fern ihren Beitrag wegen der Länge zu beanstanden; meine Bemerkung war eher mit einem Augenzwinkern gemeint. Vielmehr fand ich ihren Betrag wirklich lesenswert, auch wenn er nicht zum Thema passte , welches aber nunmehr seit , wie Sie selber schreiben, über 4 Monaten sozusagen auf dem Trockenen verharrt.
Das Leben geht weiter, und wenn man den Blog als Kommentator beleben will dann habe, zumindest ich, kein Problem damit, wenn auch andere Themen, die zumindest zum großen Ganzen gehören, angesprochen werden.
Ihr Beitrag hätte ebenfalls sehr gut in der >Strategie & Technik< stehen können, die ja seit Beginn des Jahres 2012 >Europäische Sicherheit & Technik< heißt. Nebenher bemerkt, habe ich den Eindruck, dass sich das Heft seitdem in Richtung unkritischerer Haltung (was den Westen angeht) bezüglich der Konfliktherde im Nahen Osten gewandelt hat. Natürlich ist es ein Unterschied, ob man das Wort freundlich oder höflich zu einem Thema benutzt und ich finde es ausgesprochen gut, wenn sich Menschen, die etwas zu sagen haben überlegen, mit welchen Worten sie etwas sagen. Die Absicht (von Grünen beantragt.) eine Straße in Dresden nach >Guernica< zu benennen ist ja nun zunächst mit einem denkbar knappen Ergebnis von 35:34 Stimmen abgelehnt worden. Die Bürger (und einige ihrer Vertreter) der neueren bundesrepublikanischen Länder haben den Schuldkult wohl doch noch nicht so ganz verinnerlicht. Möglicherweise hat dazu auch ein General beigetragen, der ein Buch über den Flieger Mölders geschrieben hat. Ein General muß listig sein können. Wenn er dazu dann noch seine Versuche ganz im Sinne des großen Friedrich selbstkritisch hinterfragen kann( Was war richtig, was war falsch), ja dann, dann wird ein großer Truppenführer sichtbar. In diesem Sinne wünsche ich eine erkenntnisreiche Restwoche. Ihr H.T.