Das Silicon Valley hat eine kritische Wachstumsschwelle erreicht – und zwar eine, die sich weder mit Geld noch mit Technik aus dem Weg räumen lässt. In der Bewältigung dieser Herausforderung könnte es eine neue Entwicklungsrichtung einschlagen.
Die wichtigste Erkenntnis unserer Reise 2015 war, dass das Silicon Valley ein Biotop ist, das einen regelrechten Katapultstart in die digitale Gesellschaft vollzieht. Bisweilen hatte man den Eindruck, der Rest der Vereinigten Staaten sei weiter weg von diesem Biotop als der Mars. Das beginnt sich nun grundlegend zu ändern. Während sich viele IT-Gurus noch im Raumschiff wähnen, beginnen die Klügeren zu verstehen, dass es eine Welt außerhalb des eigenen kleinen Biotops gibt, die sie überzeugen müssen, wenn ihr Projekt eine Zukunft haben will.

Damit tritt das Valley in eine neue Entwicklungsphase. Während sich der Weltbezug der dortigen IT-Giganten bisher im Wesentlichen auf das Internet beschränkte, versuchen sie nun ihren Einflussbereich darüber hinaus in die analoge Welt auszudehnen. Damit müssen sie, ob sie wollen oder nicht, über ihre eigene kleine Welt hinaus denken, und sich ernsthaft mit den realen Problemen der analogen Welt auseinandersetzen.
So gesehen wird auch das Valley zum Opfer seiner Erfolgsgeschichte. Mit neuen Cloud-Infrastrukturen und dem Internet der Dinge haben seine Akteure geeignete Mittel gefunden, mit denen sie eine Brücke in die „Old Economy“ schlagen können, was aus Sicht vieler gestandener Industrie- und Dienstleistungsunternehmen geradezu einem Generalangriff auf den Kern der Industrie gleichkommt. Und mit der Künstlichen Intelligenz verschaffen sie sich aktuell ein mächtiges Instrument, um sich eine bestimmende Position in den datengetriebenen Wertschöpfungssystemen der Zukunft zu sichern.
Soweit der Plan. Doch dieser hat eine Kehrseite. Die Welt außerhalb des Biotops ist nicht auf Disruption gepolt. Sie hat sogar Angst davor, auf den Kopf gestellt zu werden. Die Industrieunternehmen, die man vom Nutzen datengetriebener Geschäftsmodelle überzeugen will, fragen sich, was aus ihrer angestammten Kompetenz in der digitalen Welt wird. Ebenso wenig brechen die Menschen in Jubelstürme aus, wenn man ihnen prophezeit, dass das „Ende der Arbeit“ bevorstünde.
Auf diese Herausforderung reagieren die Protagonisten des Valley mit zwei grundsätzlich verschiedenen Haltungen. Die eine Gruppe ruft “Weiter so!”. Sie treibt ihren naiven Technizismus radikal voran und arbeitet auf den Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte hin, ab dem sich Maschinen mittels Künstlicher Intelligenz selbst verbessern und damit den technischen Fortschritt derart beschleunigen, dass alle wesentlichen Probleme der Menschheit – Armut, Hunger, Wassernotstand, Alterung und Tod – gelöst werden können. Auf dem Weg dahin, so die Empfehlung, müsse man sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen behelfen, um das vermeintlich unvermeidliche „Ende der Arbeit“ sozialpolitisch zu flankieren.
Die zweite Gruppe reagiert mit einer neuen Nachdenklichkeit. Hier setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass blinder Technizismus in eine Sackgasse mündet. Diese Gruppe beginnt daher, über Transformationsprozesse nachzudenken und die Welt außerhalb des eigenen Biotops zur Kenntnis zu nehmen. Insbesondere wird das Silicon Valley mit der sozialen Sprengkraft einer Wirtschaftsweise konfrontiert, die auf „schöpferische Zerstörung“ angelegt ist: Die soziale Ungleichheit nimmt zu, die Ängste vieler Beschäftigungsgruppen, „abgehängt“ zu werden, steigen. Damit die soziale Frage nicht zu einem Hemmschuh für das Silicon Valley wird, gilt es, soziale Bindungen wieder zu festigen.
Optimistisch gedacht, zeichnet sich damit für das Valley eine neue Lernfähigkeit ab. Denn bisher haben sich seine Protagonisten geradezu hermetisch abgeschottet gegenüber den sozialen Fragen der Gesellschaft und den Widrigkeiten der menschlichen Existenz. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre es spekulativ, wollte man voraussagen, wer letztlich die Oberhand behält.
An diesem Beitrag haben mitgearbeitet: Katrin Gül, Tobias Kämpf, Barbara Langes, Thomas Lühr, Kira Marrs, Elisabeth Vogl, Alexander Ziegler