Tour durchs Valley

Tour durchs Valley

Wissenschaftler bloggen zu den Trends, Technologien und Menschen, die sie bestimmen, und den Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft

02. Jun. 2017
von Andreas Boes
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Raus aus dem Biotop!

Das Silicon Valley hat eine kritische Wachstumsschwelle erreicht – und zwar eine, die sich weder mit Geld noch mit Technik aus dem Weg räumen lässt. In der Bewältigung dieser Herausforderung könnte es eine neue Entwicklungsrichtung einschlagen.

Die wichtigste Erkenntnis unserer Reise 2015 war, dass das Silicon Valley ein Biotop ist, das einen regelrechten Katapultstart in die digitale Gesellschaft vollzieht. Bisweilen hatte man den Eindruck, der Rest der Vereinigten Staaten sei weiter weg von diesem Biotop als der Mars. Das beginnt sich nun grundlegend zu ändern. Während sich viele IT-Gurus noch im Raumschiff wähnen, beginnen die Klügeren zu verstehen, dass es eine Welt außerhalb des eigenen kleinen Biotops gibt, die sie überzeugen müssen, wenn ihr Projekt eine Zukunft haben will.

© DPADie neue und die alte Welt werden sich künftig immer stärker begegnen.

Damit tritt das Valley in eine neue Entwicklungsphase. Während sich der Weltbezug der dortigen IT-Giganten bisher im Wesentlichen auf das Internet beschränkte, versuchen sie nun ihren Einflussbereich darüber hinaus in die analoge Welt auszudehnen. Damit müssen sie, ob sie wollen oder nicht, über ihre eigene kleine Welt hinaus denken, und sich ernsthaft mit den realen Problemen der analogen Welt auseinandersetzen.

So gesehen wird auch das Valley zum Opfer seiner Erfolgsgeschichte. Mit neuen Cloud-Infrastrukturen und dem Internet der Dinge haben seine Akteure geeignete Mittel gefunden, mit denen sie eine Brücke in die „Old Economy“ schlagen können, was aus Sicht vieler gestandener Industrie- und Dienstleistungsunternehmen geradezu einem Generalangriff auf den Kern der Industrie gleichkommt. Und mit der Künstlichen Intelligenz verschaffen sie sich aktuell ein mächtiges Instrument, um sich eine bestimmende Position in den datengetriebenen Wertschöpfungssystemen der Zukunft zu sichern.

Soweit der Plan. Doch dieser hat eine Kehrseite. Die Welt außerhalb des Biotops ist nicht auf Disruption gepolt. Sie hat sogar Angst davor, auf den Kopf gestellt zu werden. Die Industrieunternehmen, die man vom Nutzen datengetriebener Geschäftsmodelle überzeugen will, fragen sich, was aus ihrer angestammten Kompetenz in der digitalen Welt wird. Ebenso wenig brechen die Menschen in Jubelstürme aus, wenn man ihnen prophezeit, dass das „Ende der Arbeit“ bevorstünde.

Auf diese Herausforderung reagieren die Protagonisten des Valley mit zwei grundsätzlich verschiedenen Haltungen. Die eine Gruppe ruft “Weiter so!”. Sie treibt ihren naiven Technizismus radikal voran und arbeitet auf den Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte hin, ab dem sich Maschinen mittels Künstlicher Intelligenz selbst verbessern und damit den technischen Fortschritt derart beschleunigen, dass alle wesentlichen Probleme der Menschheit – Armut, Hunger, Wassernotstand, Alterung und Tod – gelöst werden können. Auf dem Weg dahin, so die Empfehlung, müsse man sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen behelfen, um das vermeintlich unvermeidliche „Ende der Arbeit“ sozialpolitisch zu flankieren.

Die zweite Gruppe reagiert mit einer neuen Nachdenklichkeit. Hier setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass blinder Technizismus in eine Sackgasse mündet. Diese Gruppe beginnt daher, über Transformationsprozesse nachzudenken und die Welt außerhalb des eigenen Biotops zur Kenntnis zu nehmen. Insbesondere wird das Silicon Valley mit der sozialen Sprengkraft einer Wirtschaftsweise konfrontiert, die auf „schöpferische Zerstörung“ angelegt ist: Die soziale Ungleichheit nimmt zu, die Ängste vieler Beschäftigungsgruppen, „abgehängt“ zu werden, steigen. Damit die soziale Frage nicht zu einem Hemmschuh für das Silicon Valley wird, gilt es, soziale Bindungen wieder zu festigen.

Optimistisch gedacht, zeichnet sich damit für das Valley eine neue Lernfähigkeit ab. Denn bisher haben sich seine Protagonisten geradezu hermetisch abgeschottet gegenüber den sozialen Fragen der Gesellschaft und den Widrigkeiten der menschlichen Existenz. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre es spekulativ, wollte man voraussagen, wer letztlich die Oberhand behält.

An diesem Beitrag haben mitgearbeitet: Katrin Gül, Tobias Kämpf, Barbara Langes, Thomas Lühr, Kira Marrs, Elisabeth Vogl, Alexander Ziegler

02. Jun. 2017
von Andreas Boes
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01. Jun. 2017
von Barbara Langes und Thomas Lühr und Andreas Boes
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Work-Life-Balance? Gibt’s gar nicht!

Das Silicon Valley lebt vom Nimbus der Kreativität. Entrepreneure aus aller Welt ziehen deshalb in die Bay Area. Die Leitidee der Kreativität geht in den meisten Unternehmen mit einem Konzept der Organisation von Arbeit einher, das am Selbstverständnis des kreativen Künstlers orientiert ist. Das ist bekannt. Daneben entwickelt sich aktuell aber ein neues Konzept. Es setzt auf die Verbindung eines neuen Typs der Industrialisierung mit einer konsequenten Vereinnahmung der Menschen. Wir vermuten, dass hier der neue Trend zu suchen ist.

Dieses Konzept verbindet die Leitidee der Kreativität nicht wie üblich mit Freiheit, sondern mit dem Paradigma der Produktivität. Das ist überraschend, denn Entwickler, so die häufig vorgetragene Klage von jungen Unternehmensgründern, reden nicht gerne über Produktivität. Und sie mögen es auch nicht, wenn ihre Produktivität gemessen wird.

Interessanterweise bemühen sich hier aber Vorreiter wie Google oder Facebook und in ihrem Gefolge viele andere Unternehmen um die Durchsetzung neuer Produktivitätskonzepte in der Arbeit der Kreativen.  Aufschlussreich fanden wir beispielsweise ein Start-up aus dem Open Source-Umfeld, dessen Konzept konsequent auf die Leitidee “Productivity makes you happy!” orientiert ist. Hier wird sogar der Biorythmus der Beschäftigten durch ein gemeinsames Treffen beim Frühstück um 8.15 Uhr synchronisiert, damit pünktlich um 9.00 Uhr der Arbeitstag mit einem Gong und einem anschließenden „Stand-up-Meeting“ beginnen kann. Er endet exakt um 18.00 Uhr. Mehr sei nicht produktiv. Um die Produktivität zu steigern wird jede Aufgabe konsequent zu zweit erfüllt. Pair-Programming wird dies genannt.

© APFrühstück in der Mitarbeiter-Cafeteria auf einem Google-Campus

Während dieses Unternehmen seine Arbeitsorganisation mit einer strikten Aufteilung des Arbeitstages verbindet, lehnen andere  gerade dies konsequent ab. Zugespitzt sagt einer unserer Interviewpartner aus einem führenden IT-Unternehmen: “Wir glauben nicht an Work-Life-Balance”.

Dieses Unternehmen stellt vielmehr die “Selbstverwirklichung” der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Zentrum. Es geht davon aus, dass die Menschen ihr Potential erst voll ausschöpfen, wenn sie sich innerhalb der Unternehmensziele verwirklichen können. Hier werden die Ziele für alle Mitarbeiter ausgehend von der Strategie entwickelt. Sie sind für alle im Unternehmen offen einsehbar. Um sicher zu stellen, dass sich die Beschäftigten bei ihrer Selbstverwirklichung nicht ablenken lassen, nutzt das Unternehmen die Leistungsdaten über seine Beschäftigten konsequent. Es verfolgt einen so genannten „HR People Analytics“-Ansatz und wertet Daten zu sämtlichen Leistungs- und Qualitätsdimensionen in der Arbeit, aber auch zum Kommunikationsverhalten kontinuierlich aus. So will es den Erfolg der Beschäftigten steigern. In diesem Konzept inszeniert sich das Unternehmen als Familie und die eigene Familie wiederum wird zum Teil des Unternehmens. Doch wie gelingt es, dass die Beschäftigten dabei nicht ausbrennen? „Wir behandeln unsere Leute wie Erwachsene“ war die Antwort. Gemeint ist, dass die Menschen selbst für ihr Leben verantwortlich sind.

Vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Arbeitsmarktes und der vergleichsweise starken Machtposition der IT-Beschäftigten überrascht es, wie gut es den Unternehmen gelingt, die Kreativen für ihre Produktivitätskonzepte zu gewinnen. Das liegt vermutlich auch daran, dass sie sich konsequent nur auf einen bestimmten Typus von Beschäftigten konzentrieren: meist junge Menschen, die sich aufgrund ihrer Lebenssituation voll auf die Arbeit konzentrieren können und sich nach der Uni im Job bewähren wollen. Dieses Konzept erfüllt ihre grundlegenden Bedürfnisse, wie Erfolg, Teil einer Gemeinschaft zu sein, Wissen zu teilen und zu lernen. Doch dies ist nur die eine Seite des Valleys: Menschen, die sich nicht vollkommen der Arbeit verschreiben können oder wollen, erleben diese Konzepte oft als vereinnahmend. Ein Interviewpartner beschreibt dies so: „The company owns you“ – „Das Unternehmen besitzt dich“. Denn die Mehrzahl der neuen Produktivitätskonzepte sind geradezu darauf angelegt, dass Menschen ihre Lebensplanung und die Familiengründung auf später verschieben, um sich voll und ganz dem Erfolg des gemeinsamen Projekts zu verschreiben.

01. Jun. 2017
von Barbara Langes und Thomas Lühr und Andreas Boes
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31. Mai. 2017
von Kira Marrs
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Wer nach Teilzeit fragt, kriegt nur ein müdes Lächeln

Die Digitalisierung bringt eine Vielzahl von Veränderungen für die Unternehmen mit sich, die sich für mehr Chancengleichheit in der Zukunft nutzen lassen – das zeigen nicht zuletzt unsere Forschungsprojekte zum Thema „Frauen und Karriere“. In einer kollaborativen und vernetzten Arbeitswelt denken Unternehmen über neue Leitbilder für Führung nach, mobiles Arbeiten zu jeder Zeit und an jedem Ort bricht Präsenzkulturen auf und weibliche Talente sind unverzichtbar, will man den digitalen Umbruch erfolgreich meistern – Also: Alles Friede Freude Eierkuchen?

Nicht im Silicon Valley. Mit Blick auf die deutliche Unterrepräsentanz von Frauen in den Führungsriegen der Tech-Unternehmen und der Risikokapital-Gesellschaften gilt der Vorreiter für die digitale Zukunft nicht gerade als vorbildlich.

Daher waren wir überrascht, auf wie viele Frauen wir in den Büros der Tech-Unternehmen tatsächlich treffen, gerade auch in den hochqualifizierten Bereichen. Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass dies vor allem sehr junge Frauen sind und nur wenige Frauen eine Führungsposition innehaben. Wir gewinnen den Eindruck, dass vor allem Frauen in der Familienphase es hier sehr schwer haben.

© APEine der wenigen, bekannten Valley-Frauen in Führungspositionen: Sheryl Sandberg.

Die Unternehmen haben in der Zwischenzeit erkannt, dass sie ein deutliches Problem haben und reagieren darauf. Sie setzen sich eigene Zielvorgaben für die Erhöhung des Frauenanteils im Management, investieren in Coaching, Mentoring, Sponsoring und vieles mehr. Insbesondere deutsche Unternehmen, die im überhitzten Arbeitsmarkt des Silicon Valley noch nicht über den zukunftsfähigen „Brand“ verfügen, setzen bewusst darauf, dass sie ihren Beschäftigten eine bessere Work-Life-Balance bieten und zum Beispiel mobiles Arbeiten ermöglichen. Dadurch schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie erreichen mehr Frauen und erhöhen ihre Attraktivität für alle Beschäftigten, die dann dem Unternehmen länger treu bleiben.

Und dennoch: Auf die Frage nach Teilzeitarbeitsplätzen im Valley erhält man ein müdes Lächeln und betriebliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind extrem selten und wenn vorhanden, wie zum Beispiel bei Google, sehr teuer. Wir erfahren, dass „social freezing“, also das Einfrieren von Eizellen auf Kosten des Unternehmens, um die Karrieremöglichkeiten von Frauen zu verbessern, tatsächlich auch in Anspruch genommen wird.

Was soll man daraus schließen? Dass Frauen im „Alter“ plötzlich mehr Zeit für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zur Verfügung stehen wird? Also: „Schöne neue Welt“?

Ein HR-Manager erklärte mir, dass das Thema Frauen in Führung ganz oben auf der strategischen Agenda stünde. Aber es ginge nicht mehr nur um Diversität, sondern auch um Inklusion. Alle sollten eine Heimat im Unternehmen finden: Menschen mit Behinderung, Veteranen und auch Frauen. Ich beherrsche meine Gesichtszüge im Interview und kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Unternehmen im Valley vielleicht eher an ihrem Image arbeiten als Chancengleichheit und die Stärkung von Frauen als Wert für sich zu begreifen.

31. Mai. 2017
von Kira Marrs
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30. Mai. 2017
von Andreas Boes und Elisabeth Vogl
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Künstliche Intelligenz als Geheimwaffe

Kaum ein Trend wurde in den letzten Monaten so gehypt wie Artificial Intelligence (AI) – oder zu Deutsch Künstliche Intelligenz (KI). Im Silicon Valley wird immer mehr Risikokapital in Start-ups gepumpt, die das Thema treiben, und auch die Obama-Administration hat im Oktober 2016 AI als Thema von nationalem, strategischem Interesse ausgerufen. Insbesondere die großen Spieler haben AI ganz oben auf die strategische Agenda gesetzt. Google, Facebook, Microsoft, IBM oder Amazon – sie alle sehen in der Künstlichen Intelligenz eine Schlüsselinnovation. Ihre neue Leitorientierung lautet: „AI first”, also “künstliche Intelligenz zuerst”.

Doch warum erhält das Thema gerade jetzt strategische Bedeutung? AI-Lösungen kommen in nahezu allen aktuellen digitalen Trends zum Einsatz: Im Internet der Dinge ebenso wie in neuen Ansätzen der Robotik oder bei sprachgesteuerten Assistenzsystemen wie Alexa, Assistant oder Siri. Der aktuelle Höhenflug von AI resultiert vor allem aus den Fortschritten im sogenannten Deep Learning, einer Teildisziplin des Machine Learning. Hierbei handelt es sich um Systeme, die mit Hilfe von selbstlernenden und -optimierenden Algorithmen eigenständig Lösungen für Probleme finden können. Dazu wird Lernsoftware mit Massendaten gefüttert und daraufhin trainiert, in den Daten Muster und Zusammenhänge zu erkennen, Rückschlüsse zu ziehen und Vorhersagen zu treffen. In der Öffentlichkeit sorgten selbstlernende Systeme jüngst für Furore, weil sie inzwischen auch Profis in komplexen Strategiespielen wie Go besiegen und damit ihre Leistungsfähigkeit demonstrieren.

© dpaIst auch im Alltag immer häufiger behilflich: Künstliche Intelligenz, hier in Form des Assistenzsystems Siri

Es ist nicht verwunderlich, dass AI-Ansätze erst im Zuge der Verbreitung von Cloud-Infrastrukturen ins Fliegen kommen und das Thema gerade jetzt so große Aufmerksamkeit erfährt. Denn um Algorithmen in unterschiedlichsten Anwendungsfeldern kostengünstig zu trainieren und aussagekräftige Modelle zu generieren, bedarf es umfangreicher Rechenkapazitäten und einer enormen Menge an Daten. Für ein valides Modell für das autonome Fahren müssen laut einem Interviewpartner etwa sechs Milliarden Kilometer Autofahrt aufgezeichnet werden. Tesla lässt daher den Autopiloten seiner Elektrofahrzeuge permanent alle Nutzungsdaten seiner Kunden aufzeichnen und über die Cloud an seine Rechenzentren senden. So gewinnt der Autohersteller einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz, die ihre Autos nicht “in” der Cloud beobachtet. Beides – Rechenkapazität und Massendaten – wird mit der zunehmenden Verbreitung von Cloud-Lösungen in neuer Qualität verfügbar. Gleichzeitig nimmt mit dem Aufstieg des Internets der Dinge die Menge an Daten rapide zu und es entstehen neue Möglichkeiten für datengetriebene Geschäftsmodelle.

Es überrascht nicht, dass die großen Cloud-Anbieter wie Google, Amazon, Microsoft und IBM Machine-Learning-Services und Produkte auf ihre Plattformen aufgenommen haben. Sie versuchen damit, eine strategische Position in den Wertschöpfungssystemen zu besetzen. Dabei spielen ihnen zwei Aspekte in die Hände: Zum einen verfügen sie über gigantische Datenmengen und zum anderen besitzen sie die Fähigkeit, aus diesen Massendaten Geschäfte zu generieren. Denn die Internet-Giganten können nicht nur Daten sammeln und analysieren, sondern vor allem monetarisieren – das ist ihre eigentliche Kernkompetenz. Dabei nutzen sie nicht nur ihre starke Stellung im Internet, sondern oft auch Crowdworking-Plattformen wie Amazon Mechanical Turk oder Crowdflower, um Arbeitskräfte zu rekrutieren, die ihre Algorithmen trainieren.

Die vermeintlichen Spielereien von Google und Co in den Anfängen des Internets entpuppen sich nun als strategische Kernkompetenz und zwar in allen Branchen: von Logistik und Mobilität, über Marketing und Medizin bis hin zur industriellen Fertigung. Wenn also die Cloud und das Internet der Dinge die Brücken sind, um die Digitalisierung in die „Old Economy“ zu treiben, ist AI die Geheimwaffe, mit der die Internet-Giganten versuchen, eine starke Stellung in den Wertschöpfungssystemen der Zukunft zu erobern.

30. Mai. 2017
von Andreas Boes und Elisabeth Vogl
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29. Mai. 2017
von Alexander Ziegler und Andreas Boes
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Ist das Internet der Dinge gescheitert?

Bei unserem letzten Besuch im Silicon Valley galt das Internet der Dinge als der nächste Mega-Trend. Anders als das deutsche Konzept der Industrie 4.0 zielt diese Vision nicht nur auf die Vernetzung der Fabriken ab. Sie will vielmehr digitale Abbilder der Wertschöpfungsprozesse in allen Branchen, von den Industrien, über die Dienstleistungsbereiche bis zum öffentlichen Sektor und hinein in den Privatbereich schaffen. Dabei geht es nicht nur um die Vernetzung technischer Systeme, sondern auch darum, Wertschöpfungsprozesse ausgehend von den Daten radikal neu zu gestalten.

© OBSVernetzte Geräte, die miteinander kommunizieren können.

Mit dem Internet der Dinge gehen daher Überlegungen zur Etablierung von datengetriebenen Geschäftsmodellen einher. Neuerdings entstehen zudem Schnittstellen zu den Methoden der Künstlichen Intelligenz. Denn, um komplexe Massendaten sinnvoll nutzen zu können, sind neue Konzepte der Datenanalyse und -aufbereitung erforderlich. Kurzum: Mit dem Internet der Dinge schien das Valley ein Konzept gefunden zu haben, um im Verbund mit Cloud-Infrastrukturen den ultimativen Brückenschlag in die industriellen Kerne und die Dienstleistungszentren zu schaffen.

Im Internet der Dinge, so unsere Hypothese, werden sich die Geschäftsmodelle der Unternehmen an der Nahtstelle zwischen neuer Ökonomie und traditioneller Wirtschaft fundamental neu gestalten. Denn was macht etwa ein Automobilhersteller in einer Welt der vernetzten Mobilität, in der plötzlich Kunden nur noch mit einer digitalen Mobilitätsplattform interagieren, die das Zusammenwirken aller verfügbaren Verkehrsträger zur Erzielung eines größtmöglichen Kundennutzens koordiniert? Dominiert der Erstausrüster weiterhin die Wertschöpfungskette oder ist er nur noch ein Zulieferer von Hardware mit geringem Einfluss auf die Entwicklung?

Unsere aktuellen Interviews zeigen, dass das Thema Internet der Dinge noch immer weit oben auf der Agenda steht. Aber es hat ein neues Stadium erreicht. Wo im Jahre 2015 noch Konzeptstudien und Powerpoint-Vorträge überwogen, sind mittlerweile neue Abteilungen in den Unternehmen für die Themen Cloud und Internet der Dinge entstanden. Neben  großen Anbietern wie Microsoft, SAP oder Amazon, haben sich viele Start-ups etabliert. Und auch etablierte Hardware-Unternehmen wie Intel oder Nvidia feiern mit Technologie fürs „Edge“ – Chips und Server für die Endknoten des Internet der Dinge – ein Revival.

Die Pioniere des Internets der Dinge führen derzeit Referenzprojekte mit den innovativsten Kunden in ihrem Umfeld durch. So wollen sie die Möglichkeiten und den Nutzen neuer Lösungen demonstrieren. Gelingt ihnen das, so versuchen sie die hier gewonnenen Erfahrungen zu verallgemeinern und in ein Produkt zu überführen, mit dem sie einen breiteren Kundenstamm avisieren können. Schaut man sich diese Projekte genauer an, so findet man viele interessante Lösungen, die viel Potential versprechen.

Dennoch scheint bei den Protagonisten der Szene die vormals aufgekratzte Aufbruchsstimmung inzwischen verflogen. Bei manchen  hat sich ob der bisherigen Erträge gar eine gewisse Larmoyanz breit gemacht. Sie verweisen auf eine Studie von McKinsey, die Gründe benennt, warum das Internet der Dinge im industriellen Umfeld bisher nicht ins Fliegen gekommen ist.

Interessanterweise machen die Anbieter des Internets der Dinge die besten Erfahrungen im europäischen Markt, weil die Unternehmen hier die größte Angst hätten, von der digitalen Entwicklung abgehängt zu werden. Gerade in Deutschland hat dies viel damit zu tun, dass es mit dem Projekt der Industrie 4.0 trotz aller Schwierigkeiten offensichtlich gelungen ist, die industriellen Kerne für das Thema zu sensibilisieren. Schlechtere Erfahrungen machen die Anbieter bezeichnenderweise in den Vereinigten Staaten – ein Indiz dafür, wie schwach das Valley mit dem Rest der Ökonomie hier verbunden ist.

Ist das Konzept des Internets der Dinge also gescheitert? Wir sind überzeugt: Es wird sich durchsetzen. Aber je konkreter es wird, desto mehr müssen sich seine Protagonisten mit den realen Transformationsproblemen der alten Welt auseinander setzen. Für Unternehmen, die in der Computer-Welt des Moore’schen Gesetzes, also des exponentiellen Wachstums leben, mag das frustrierend sein. Für Menschen aus der traditionellen Ökonomie ist dies eine alltägliche Arbeitserfahrung.

29. Mai. 2017
von Alexander Ziegler und Andreas Boes
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27. Mai. 2017
von Andreas Boes
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Die neue Nachdenklichkeit im Silicon Valley

Im Vergleich zu unserem letzten Besuch im Jahre 2015  wirken unsere Gesprächspartner im Silicon Valley ungewohnt nachdenklich. Vor zwei Jahren wähnte man sich hier auf der Gewinnerseite der Geschichte und war überzeugt, die Welt mit revolutionär neuen Technologien retten zu können. Und jetzt? Die hehren Ziele gelten zwar noch immer. Mark Zuckerberg hat das gerade wieder in seiner Rede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Harvard deutlich gemacht. In dieser Rede und ebenso in den Interviews wird die Überzeugung deutlich, dass das Valley ein überlegenes Modell des Wirtschaftens repräsentiert, das sich letztlich durchsetzen wird. Aber mittlerweile werden die Töne reflektierter und differenzierter.

© APWird nachdenklicher: Ehrendoktor Zuckerberg

Unsere Gesprächspartner machen sich Gedanken darüber, dass ihre Art des Wirtschaftswachstums zwar tolle Produkte liefert und die Börsenwerte durch die Decke treibt. Aber sie sehen auch, dass sie nicht im gleichen Maße Beschäftigung schafft, wie das in der „Old Economy” der Fall war. Und sie nehmen vermehrt Anteil daran, dass ihre Wachstumsstrategie Tausende von Beschäftigten in den alten Industrien ihren Job kosten könnte. Dass gar generell die Aussichten für alle Beschäftigten, die nicht als Fachkräfte in der digitalen Ökonomie beschäftigt sind, ohne aktive Gestaltung eher düster sind.

Für uns eine überraschende Wendung: Wo vorher die naive Überzeugung vorherrschte, dass eine Technologie nur sexy genug sein müsse, um automatisch die Welt zu verändern, denkt man nun über langwierige Transformationsprozesse nach und fragt sich, wie man die Entscheider der „Old Economy” vom Nutzen der eigenen Produkte überzeugen kann. Kurzum, das Valley beginnt erwachsen zu werden: Was vorher mit spielerischer Leichtigkeit zu haben schien, braucht nun harte Arbeit und ein konsequentes Ringen um den Fortschritt.

Dieser Stimmungswandel hat zwei Ursachen. Zum einen ist den Akteuren hier der Wahlsieg von Donald Trump in die Glieder gefahren. Er hat auf eine brutale Art die große Schwachstelle des Silicon Valley offengelegt: Die soziale Frage. Wer, wie die Internet-Wirtschaft, Wirtschaftswachstum von Beschäftigung entkoppelt und für Millionen von Menschen in den „rust belts” nicht mehr zu bieten hat als das laue Versprechen auf ein Grundeinkommen, läuft Gefahr, die Bindung an die Menschen zu verlieren.

Die zweite Ursache liegt im Erfolg des Valleys begründet. Begnügte man sich bis vor kurzem damit, die neuen Technologien im Internet voran zu bringen, so haben sich die Unternehmen der Bay Area nun den Brückenschlag in die „Old Economy“, insbesondere in deren industriellen Kerne, auf die Fahne geschrieben. Sie kommen damit in eine neue Entwicklungsphase. Hat es ihnen bislang gereicht, sich im eigenen Erfolg zu spiegeln und an den exponentiellen Wachstumsraten der Computertechnologie zu erfreuen, müssen sie nun Kunden in den traditionellen Unternehmen von der Nützlichkeit ihrer Produkte überzeugen.

Der angestrebte Brückenschlag in die „Old Economy“ konfrontiert sie mit etwas für sie bislang völlig Unbekanntem. Wie setzt man einen Transformationsprozess in „klassischen“ und lange gewachsenen Sozial- und Kundenbeziehungen um? Diese Frage stellt die Internet-Unternehmen vor neue Herausforderungen. Während das Valley sein aktuelles Konzept der disruptiven Innovationen auf der „grünen Wiese”, also vorwiegend in den Strukturen von Start-ups und jungen Internet-Unternehmen und unter dem „Schutzschirm“ von Risikokapitalgebern entwickelt hat, steht es nun vor der Aufgabe, Disruption in gewachsenen Strukturen voran zu treiben. Damit die Internet-Unternehmen ihren Siegeszug weiter fortsetzen können, müssen sie sich nun mit den „Widrigkeiten“ der realen Welt herumschlagen. Es wird spannend sein, zu sehen, welche Wirkung dies auf das Silicon Valley hat. Das muss ihm nicht zum Nachteil gereichen. Die Stanford-University hat jedenfalls gerade ein großes interdisziplinäres Projekt gestartet, das die Beschäftigungsmöglichkeiten in der digitalen Welt erforschen soll.

27. Mai. 2017
von Andreas Boes
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27. Mai. 2017
von Thomas Lühr und Katrin Gül und Barbara Langes
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Die neue Präsenzkultur

Was ist der „Arbeitsplatz der Zukunft“? Das ist eine der spannenden Fragen, denen wir im Rahmen unserer Forschungen zur digitalen Transformation nachgehen. Was uns hier im Silicon Valley überrascht, ist die Wiederkehr der Präsenzkultur. Die passt auf den ersten Blick so gar nicht in das Bild einer modernen, digitalen Arbeitswelt. Natürlich machen hier viele von den Möglichkeiten mobiler Arbeit Gebrauch. Das Home Office ersetzt die Anwesenheit im Büro aber nicht, sondern ergänzt sie. Die meisten Unternehmen und Entwicklungsstandorte, die wir besuchen, legen im Gegenteil sehr viel Wert auf persönliche Kommunikation, eine enge Zusammenarbeit im lokalen Team vor Ort sowie den Austausch und die Vernetzung auf dem Campus – zumindest in den innovativen Bereichen der hochqualifizierten Wissensarbeit.

„Relation-based Company“ nennen das unsere Gesprächspartner und beschreiben damit eine Gegenbewegung zum „virtuellen Unternehmen“. Die ausgeprägte Präsenzkultur ist jedoch nicht das Resultat einer bürokratischen Bevormundung. Das könnten sich die Arbeitgeber im Valley vor dem Hintergrund der Machtposition der hochqualifizierten Experten auf dem Arbeitnehmer-Arbeitsmarkt überhaupt nicht erlauben. Stattdessen geben sich die Unternehmen sehr viel Mühe, das Arbeitsumfeld reizvoll zu gestalten: Das fängt an bei der obligatorischen Tischtennisplatte im Office, geht weiter über innovative Büroraumkonzepte, die den Mitarbeitern alle Freiheiten für ein kreatives Arbeiten geben und endet dabei, dass die Unternehmen sich gegenseitig die Sterne-Köche für ihre jeweiligen Kantinen abwerben. Auch die großzügigen und persönlich gestalteten Büroarbeitsplätze selbst fallen ins Auge – und erinnern an eine gemütliche Studenten-Bude.

Klassische Büroarbeitsplätze sind aber keineswegs verschwunden. Auch im Valley gibt es eine nebenher existierende  Welt der „Cubicals“ und weniger kreativen und standardisierten Tätigkeiten an den unteren Rändern der Wertschöpfungskette. Hier sind dann auch Formen mobiler Arbeit und das Home Office sehr viel stärker verbreitet. Diese beiden Arbeitswelten mit ihren jeweils unterschiedlichen Anwesenheitskulturen verbindet vor allem eines: der Fokus auf die Produktivität in der Arbeit.

© PivotalDass im Büro Menschen persönlich zusammentreffen, wird wieder häufiger

Denn Produktivität und Kundenorientierung werden zu immer wichtigeren Größen in der Arbeitswelt des Silicon Valley seit die Unternehmen hier sich dazu entschlossen haben, nicht nur die Internetbranche, sondern auch die Industrien der alten Welt zu erobern. So gewinnen auch Formen agiler Arbeit zunehmend an Bedeutung. Es gibt etwa agile Methoden in der Projektorganisation wie „Scrum“ – hier entstehen  Produkte Schritt für Schritt nach vorgegebener Taktung im Team. Solche Methoden sind in den Entwicklungsabteilungen der Bay Area zwar schon immer sehr verbreitet gewesen. Sie werden inzwischen aber viel konsequenter angewendet als noch vor ein paar Jahren. Das erkennt man unter anderem daran, dass die Takte für die Entwicklung lauffähiger Softwareteile sich von früher zwei oder vier Wochen auf teilweise nur noch eine Woche verkürzen.

Agile Arbeitsformen erfordern aber eben Präsenz, eine enge Zusammenarbeit und die tägliche Abstimmung im Team. Bei Pivotal zum Beispiel, einem der aufstrebenden Spieler des Valley, arbeiten die Entwickler ausschließlich im Modus des „Pair Programming“. Das heißt: Sie sitzen jeden Tag zusammen vor einem Bildschirm und programmieren Software – gemeinsam im permanenten kommunikativen Austausch. Solche „kollaborativen“ Entwicklungsmethoden verbreiten sich im Valley immer mehr, „weil sich mit ihnen einfach die besseren Ergebnisse erzielen lassen“, wie einer unserer Gesprächspartner erklärt.

© PivotalArbeit bei Pivotal im „Pair Programming“

Mit dem Trend zur „Relation-based Company“ entsteht aber auch eine neue Herausforderung: Die Rückkehr der Präsenzkultur steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Verkehrssituation in der Bay Area. Für die weitere Entwicklung des Silicon Valley und den „Arbeitsplatz der Zukunft“ in der digitalen Arbeitswelt wird somit eine ganz andere, für viele heute schon altmodisch anmutende Form der Mobilität entscheidend sein, als die virtuelle im Netz.

27. Mai. 2017
von Thomas Lühr und Katrin Gül und Barbara Langes
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26. Mai. 2017
von Andreas Boes
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Pizza für die Programmierer

Das Silicon Valley hat sich in den letzten Jahren von einer Oase der Kreativität zu einer regelrechten Innovationsmaschine gewandelt. Die Kulturen in den Unternehmen sind bei aller zur Schau getragenen Lässigkeit meist sehr auf Wettbewerb fokussiert. Dennoch verfügen die IT-Spezialisten hier über eine große Macht. Dies liegt an den Besonderheiten des Arbeitsmarktes. Die Strategien der Unternehmen zur Rekrutierung und Bindung von hochqualifizierten Mitarbeitern sind ein zentrales Thema. Das gilt besonders für die Berufsgruppen, die über die aktuell hoch bewerteten Qualifikationen verfügen: Datenspezialisten oder Experten für Künstliche Intelligenz werden gehandelt wie Profisportler und teilweise mit Handgeldern im siebenstelligen Bereich abgeworben.

Haben Unternehmen eine solche begehrte Fachkraft gefunden, machen sie fast alles, um die Person zu halten. Sie behandeln IT-Spezialisten wie Künstler. „Meine Diven können hier abends so viel Pizza auf unsere Kreditkarte bestellen, wie sie wollen. Hauptsache, sie fühlen sich wohl“, sagt zum Beispiel eine Managerin in einem unserer Forschungsinterviews.

© Picture AllianceWerden nicht nur mit Pizza vom Arbeitgeber gut versorgt: Junge IT-Talente

Die Besonderheiten des Arbeitsmarktes im Valley führen zu einem besonderen System der beruflichen Karriere. Die IT-Profis sind zwar fest beschäftigt, aber in ihrem Selbstverständnis nicht zuallererst Angestellte eines Unternehmens. Sie sind vor allem Teil eines professionellen Netzwerks – über Unternehmensgrenzen hinweg. Man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich. Beschäftigungsphasen bei einzelnen Arbeitgebern sind für sie Episoden einer „boundaryless career“, einer grenzenlosen Karriere.

Diese Art Karriere zu machen erreicht gerade durch die zunehmende Verbreitung von Open-Source-Technologien eine neue Stufe. Die Unternehmen gehen zunehmend dazu über, sich an Open-Source-Projekten zu beteiligen. Diese sind nach dem Allmende-Prinzip organisiert, das bedeutet, dass sich alle Nutzer frei bedienen können. Der Quellcode der Software wird offengelegt, so dass er von allen verwendet und weiterentwickelt werden kann.

Der aktuelle Siegeszug der Open Source-Bewegung verstärkt die Machtposition der Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt im Valley aus verschiedenen Gründen. Einmal nutzen die IT-Spezialisten diese Communities wie normale Beschäftigte eine berufsständische Organisation. Sie tauschen sich aus, helfen sich gegenseitig und erhöhen dadurch ihre Arbeitsmarktchancen. Zum zweiten nutzen die Entwickler ihre starke Position gegenüber den Unternehmen und verlangen, mit den neusten Open-Source-Technologien zu arbeiten.

Unisono hören wir insbesondere von den Chefs der Start-ups, dass sie ihre Mitarbeiter nur halten können, wenn sie in Open-Source-Umgebungen entwickeln können. Das hat einen interessanten Effekt. Die Open-Source-Entwickler machen wie Künstler ein kreatives Werk und sie möchten es ausstellen –  es für alle sichtbar in die Welt bringen. Dafür bieten die Projekte mit ihrem offenen Quellcode genau die richtige Bühne, so dass die ganze Welt die Genialität des Programmierers bewundern kann. So ähnlich wie sich „normale” Beschäftigte in Gewerkschaften zusammenschließen, um bei Löhnen und Arbeitsbedingungen mehr Verhandlungsmacht zu haben, nutzen diese IT-Experten ihre Open-Source-Projekte, um ihre Position im Arbeitsmarkt zu stärken. Erfüllt ein Unternehmen ihre Forderungen und Ansprüche nicht, können sie sehr leicht zu einem mit der gleichen Technologie wechseln. Die „Arbeitsproben“ aus der Open-Source-Welt sind die Visitenkarte und ihr Kapital auf dem Arbeitsmarkt.

So viel zur Schokoladenseite. Nicht ausgeblendet bleiben darf aber, dass das Funktionieren eines solchen Arbeitsmarktes auf Kompensation beruht. Zu nennen sind hier die Arbeitskräfte, die für begrenzte Zeit aus Indien oder anderen Ländern mit guter IT-Bildung ins Valley kommen und die Arbeitskräfte, die in Indien, China oder Kenia bleiben und über den Informationsraum in die globalen Wertschöpfungsketten der Unternehmen integriert werden. Sie bekommen deutlich niedrigere Gehälter als die IT-Gurus in Amerika. Und kompensieren dadurch die hohen Forderungen der wie Profisportler oder Künstler agierenden Fachkräfte im Valley. Ihre Handgelder müssen halt von irgendwem finanziert werden.

Die „Tour durchs Valley“ ist Teil des Verbundprojekts digit-DL und wird von Wissenschaftlern des ISF München durchgeführt. Das Forschungsprojekt wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

26. Mai. 2017
von Andreas Boes
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25. Mai. 2017
von Tobias Kämpf und Kira Marrs
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Schnell im Netz, langsam auf der Straße

Die Goldgräberstimmung im Silicon Valley ist ungebremst. Es bleibt ein gigantischer Magnet für Unternehmen, Start-ups, kreative Köpfe und Risikokapital aus aller Welt. Von hier aus wollen sie die digitale Zukunft vorantreiben und den nächsten technologischen Megatrend – das „next big thing“ – auf den Weg bringen. Was könnte sie daran hindern? Es sind interessanterweise Probleme der alten Welt, der „old economy“, die sie bremsen und das Innovationscluster gefährden.

Herausforderung Nummer eins sind die galoppierenden Immobilienpreise und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Selbst für gutverdienende „Techies“ wird das immer mehr zum Problem. San Francisco konkurriert heute mit Manhattan um den ersten Platz für die teuersten Wohnungspreise in den Vereinigten Staaten. Zwischen 3000 und 4000 Dollar Miete für ein Einzimmerappartement sind keine Seltenheit. Viele befürchten, dass das Silicon Valley seine Anziehungskraft für kluge Köpfe in Zukunft verlieren könnte, wenn diese Entwicklung ungebremst anhält  – weil sie es sich schlichtweg nicht mehr leisten können, hier zu wohnen. Auch die Universitäten klagen darüber, dass die Leute nicht mehr herziehen wollen und investieren eigenständig verstärkt in den Wohnungsbau. Und spätestens wenn die IT-Spezialisten Familien gründen und Kinder bekommen, werden für sie die Mieten zum echten Problem. Mit zwei Kindern will man auch im Valley nicht mehr in einer WG wohnen. Das führt dazu, dass die Leute immer mehr in die Vorstädte ziehen. Aber auch hier werden sie von der Entwicklung eingeholt: Städte wie Oakland verzeichnen, neben einigen anderen, den höchsten Anstieg der Wohnungspreise in den Vereinigten Staaten.

Außerdem treffen die Menschen hier auf ein weiteres Problem der „old economy“: den Verkehr und den schlecht ausgebauten öffentlichen Nahverkehr. Im High-Tech-Zentrum der Welt bestreiten noch immer klapprige Dieselloks den Nahverkehr. Gerade weil der öffentliche Nahverkehr so nicht gerade attraktiv ist, ist der Stau zwischen Palo Alto und San Francisco legendär. Für die rund 30 Meilen kann man im Berufsverkehr schnell deutlich mehr als zwei Stunden brauchen. Der Problemdruck ist enorm, zahlreiche Initiativen wurden deshalb angestoßen. Aber selbst aus deutscher Perspektive (Hallo Berlin!) geht es nur im Schneckentempo voran. Die Unternehmen betreiben selbst schon eigene Buslinien, um ihre Beschäftigten von San Francisco ins Valley zu bringen.

© Team ISFSogar Meetings werden abgesagt, um den Gästen den ewigen Stau zu ersparen.

Es geht hier nicht um lästige Alltagsprobleme. Vielmehr wird hier ein zentrales Erfolgsgeheimnis des Innovationclusters Silicon Valley in Frage gestellt. Die Konzentration von innovativen Unternehmen, Universitäten und Talenten auf engstem Raum ist die Basis für die einmaligen Netzwerke des Valley, den permanenten Austausch und die offene Zirkulation von innovativen Ideen. Es hat uns überrascht, wie wichtig hierfür der persönliche Kontakt und spontane Treffen sind. Wenn heute jedoch schon 30 Meilen für viele wie ein unüberbrückbares Hindernis erscheinen, wird eine zentrale Lebensader des Valleys durchtrennt.

Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass sich heute viele Start-ups nicht mehr nur rund um Palo Alto, Mountain View und Cupertino ansiedeln, sondern in San Francisco selbst. Unsere Gesprächspartner erzählen uns, dass sie sich manchmal schon scheuen, Treffen und Meetings anzusetzen, weil sie niemandem den Stau und die „Anreise“ zumuten wollen. Vielleicht sollten sich die Vordenker des Valley nicht nur mit den neuesten so genannten Moonshot-Projekten beschäftigen, mit denen sie die Welt revolutionieren wollen, sondern mit der Elektrifizierung von Lokomotiven auch die Disruption des öffentlichen Nahverkehrs vorantreiben.

Die „Tour durchs Valley“ ist Teil des Verbundprojekts digit-DL und wird von Wissenschaftlern des ISF München durchgeführt. Das Forschungsprojekt wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

25. Mai. 2017
von Tobias Kämpf und Kira Marrs
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24. Mai. 2017
von Andreas Boes
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Generalangriff auf den Kern der Industrie

Es gibt kaum einen Ort, der faszinierender ist wenn man sich mit der Zukunft der Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft beschäftigt: Im südlichen Teil der San Francisco Bay Area liegt das Tal der technischen Revolutionen – allseits bekannt als Silicon Valley. Wir, ein Wissenschaftlerteam vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München, haben uns jetzt abermals eingereiht in die lange Schlange der Silicon Valley-Wallfahrer. Zum dritten Mal nach 2008 und 2015 gehen wir auf Spurensuche nach den Geheimnissen dieses Technik-Tals.

© ISF München, Ingo CordesDas Team des ISF München

Beim ersten Besuch waren wir fasziniert von der kalifornischen Innovationskultur. Eine Mischung aus Lässigkeit, großem Selbstbewusstsein und Erfindergeist prägte seinerzeit die Unternehmen. Sieben Jahre später war die Welt des Silicon Valley schon eine ganz andere. Inzwischen ist das Valley zu einer hyperaktiven Innovationsmaschine geworden. Die ganze Region unternimmt einen Katapultstart in die digitale Gesellschaft. Tausende Start-up-Unternehmen fungieren hier als „Plankton“, als Nährboden, für ein Innovationssystem, das all seine Energie darauf richtet, ganze Märkte auf den Kopf zu stellen. Denn es geht in der Bay Area nicht einfach nur um Innovation, sondern vielmehr um die so genannte Disruption – das ist das aktuelle Trend-Wort hier schlechthin: Die Rede ist von der Verdrängung bisheriger Geschäftsmodelle, Produkte und Technologien. Wie eine Art Akt schöpferischer Zerstörung ist die Disruption zum innersten Prinzip der Innovationsmaschine Silicon Valley geworden.

Mittlerweile ist klar, worin ihr Erfolgsgeheimnis liegt. Die Giganten im Valley haben begriffen, worin das disruptive Potential der Digitalisierung besteht: Das Internet ist nicht einfach nur eine neue digitale Technologie. Es ist die Basis für einen globalen Informationsraum, einen neuartigen sozialen Handlungsraum für Gesellschaft und Wirtschaft. Die Ökonomie muss neu gedacht werden. Was aus Sicht der deutschen Unternehmen lange Zeit wie eine Spielerei erschien, hat sich mittlerweile als Generalangriff auf die industriellen Kernsektoren entpuppt.

Schon 2015 konnten wir diese disruptive Wucht der neuen Phase der Digitalisierung im Valley spüren. Es gab neue Trends wie das Cloud Computing, also die Bereitstellung von Software, Speicherplatz oder Rechenleistung über das Internet und das Internet der Dinge, also vernetzte Maschinen. Diese Trends lassen erahnen, wie grundlegend der Umbruch ist, der sich in Wirtschaft und Gesellschaften abzeichnet. Namhafte IT-Firmen wie Google, aber auch die deutsche SAP befinden sich in der Transformation zu „Cloud Companies“. Gleichzeitig machen neue Spieler wie Salesforce oder Netflix vor, dass die Cloud weit mehr als ist als ein Hostingkonzept, also mehr als die pure Bereitstellung von Software und ähnlichem. Sie begreifen die Cloud als Leitidee, um radikal neue Geschäftsmodelle umzusetzen, die datengetrieben und auf den Einzelkunden ausgerichtet sind.

An diesem neuen Paradigma setzt auch das Internet der Dinge an. Jenseits bloßer Vernetzung und Automatisierung von Fertigungsprozessen entsteht hier eine neue Sicht, wie Wertschöpfung über die Ebene der Informationen organisiert werden kann: fließend, als integriertes Gesamtsystem und über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg bis hin zum Konsumenten.

Aber bislang dominieren nicht die traditionellen Industrieunternehmen die Welt der Informationen, sondern die neuen Internet-Giganten aus dem Silicon Valley. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auch auf die europäische Wirtschaft. Die Karten werden neu gemischt. Ausgehend von der Cloud und dem Internet der Dinge wird aktuell die künstliche Intelligenz, also die Idee sich selbst optimierender Algorithmen, zum neuen Trend im Silicon Valley. Doch was bedeutet diese Entwicklung für die Menschen? Werden sie überflüssig? Der gesellschaftliche Sprengstoff dieser Innovationen liegt auf der Hand.

Die „Tour durchs Valley“ ist Teil des Verbundprojekts digit-DL und wird von Wissenschaftlern des ISF München durchgeführt. Das Forschungsprojekt wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren. Mitgeschrieben an dem aktuellen Beitrag haben Katrin Gül, Tobias Kämpf, Barbara Langes, Thomas Lühr, Kira Marrs, Elisabeth Vogl und Alexander Ziegler.

 

24. Mai. 2017
von Andreas Boes
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