Tour durchs Valley

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Wissenschaftler bloggen zu den Trends, Technologien und Menschen, die sie bestimmen, und den Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft

Pizza für die Programmierer

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Das Silicon Valley hat sich in den letzten Jahren von einer Oase der Kreativität zu einer regelrechten Innovationsmaschine gewandelt. Die Kulturen in den Unternehmen sind bei aller zur Schau getragenen Lässigkeit meist sehr auf Wettbewerb fokussiert. Dennoch verfügen die IT-Spezialisten hier über eine große Macht. Dies liegt an den Besonderheiten des Arbeitsmarktes. Die Strategien der Unternehmen zur Rekrutierung und Bindung von hochqualifizierten Mitarbeitern sind ein zentrales Thema. Das gilt besonders für die Berufsgruppen, die über die aktuell hoch bewerteten Qualifikationen verfügen: Datenspezialisten oder Experten für Künstliche Intelligenz werden gehandelt wie Profisportler und teilweise mit Handgeldern im siebenstelligen Bereich abgeworben.

Haben Unternehmen eine solche begehrte Fachkraft gefunden, machen sie fast alles, um die Person zu halten. Sie behandeln IT-Spezialisten wie Künstler. „Meine Diven können hier abends so viel Pizza auf unsere Kreditkarte bestellen, wie sie wollen. Hauptsache, sie fühlen sich wohl“, sagt zum Beispiel eine Managerin in einem unserer Forschungsinterviews.

© Picture AllianceWerden nicht nur mit Pizza vom Arbeitgeber gut versorgt: Junge IT-Talente

Die Besonderheiten des Arbeitsmarktes im Valley führen zu einem besonderen System der beruflichen Karriere. Die IT-Profis sind zwar fest beschäftigt, aber in ihrem Selbstverständnis nicht zuallererst Angestellte eines Unternehmens. Sie sind vor allem Teil eines professionellen Netzwerks – über Unternehmensgrenzen hinweg. Man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich. Beschäftigungsphasen bei einzelnen Arbeitgebern sind für sie Episoden einer „boundaryless career“, einer grenzenlosen Karriere.

Diese Art Karriere zu machen erreicht gerade durch die zunehmende Verbreitung von Open-Source-Technologien eine neue Stufe. Die Unternehmen gehen zunehmend dazu über, sich an Open-Source-Projekten zu beteiligen. Diese sind nach dem Allmende-Prinzip organisiert, das bedeutet, dass sich alle Nutzer frei bedienen können. Der Quellcode der Software wird offengelegt, so dass er von allen verwendet und weiterentwickelt werden kann.

Der aktuelle Siegeszug der Open Source-Bewegung verstärkt die Machtposition der Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt im Valley aus verschiedenen Gründen. Einmal nutzen die IT-Spezialisten diese Communities wie normale Beschäftigte eine berufsständische Organisation. Sie tauschen sich aus, helfen sich gegenseitig und erhöhen dadurch ihre Arbeitsmarktchancen. Zum zweiten nutzen die Entwickler ihre starke Position gegenüber den Unternehmen und verlangen, mit den neusten Open-Source-Technologien zu arbeiten.

Unisono hören wir insbesondere von den Chefs der Start-ups, dass sie ihre Mitarbeiter nur halten können, wenn sie in Open-Source-Umgebungen entwickeln können. Das hat einen interessanten Effekt. Die Open-Source-Entwickler machen wie Künstler ein kreatives Werk und sie möchten es ausstellen –  es für alle sichtbar in die Welt bringen. Dafür bieten die Projekte mit ihrem offenen Quellcode genau die richtige Bühne, so dass die ganze Welt die Genialität des Programmierers bewundern kann. So ähnlich wie sich „normale” Beschäftigte in Gewerkschaften zusammenschließen, um bei Löhnen und Arbeitsbedingungen mehr Verhandlungsmacht zu haben, nutzen diese IT-Experten ihre Open-Source-Projekte, um ihre Position im Arbeitsmarkt zu stärken. Erfüllt ein Unternehmen ihre Forderungen und Ansprüche nicht, können sie sehr leicht zu einem mit der gleichen Technologie wechseln. Die „Arbeitsproben“ aus der Open-Source-Welt sind die Visitenkarte und ihr Kapital auf dem Arbeitsmarkt.

So viel zur Schokoladenseite. Nicht ausgeblendet bleiben darf aber, dass das Funktionieren eines solchen Arbeitsmarktes auf Kompensation beruht. Zu nennen sind hier die Arbeitskräfte, die für begrenzte Zeit aus Indien oder anderen Ländern mit guter IT-Bildung ins Valley kommen und die Arbeitskräfte, die in Indien, China oder Kenia bleiben und über den Informationsraum in die globalen Wertschöpfungsketten der Unternehmen integriert werden. Sie bekommen deutlich niedrigere Gehälter als die IT-Gurus in Amerika. Und kompensieren dadurch die hohen Forderungen der wie Profisportler oder Künstler agierenden Fachkräfte im Valley. Ihre Handgelder müssen halt von irgendwem finanziert werden.

Die „Tour durchs Valley“ ist Teil des Verbundprojekts digit-DL und wird von Wissenschaftlern des ISF München durchgeführt. Das Forschungsprojekt wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.


1 Lesermeinung

  1. Parvus sagt:

    Disruptives Paradigma 2
    In Verbindung mit dem Artikel über die Pläne von Apple zur Entwicklung eines KI-Chips in der FAZ von heute kann man dem obigen Artikel sogar etwas Information abgewinnen. Im ersteren ist die Rede von einem Entwicklungsrückstand von Apple Siri im Vergleich zu Google Assistant, Amazon Alexa und Microsoft Cortana, der u.a. darauf zurückzuführen sei, dass Apple um seine Produkte gerne Geheimnisse macht, daher in Fachdiskussionen wenig präsent ist und es daher auch schwer hat, gute Entwickler zu finden. Das passt zu den etwas pauschalen Ausführungen im Artikel von Prof. Boes zur OpenSource-Affinität. Allerdings gewinnt man bei ihm den Eindruck (Stichwort: „Unisono“), dass alle Hersteller auf OpenSource setzen, was offenbar nicht der Fall ist.

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