Tour durchs Valley

Work-Life-Balance? Gibt’s gar nicht!

Das Silicon Valley lebt vom Nimbus der Kreativität. Entrepreneure aus aller Welt ziehen deshalb in die Bay Area. Die Leitidee der Kreativität geht in den meisten Unternehmen mit einem Konzept der Organisation von Arbeit einher, das am Selbstverständnis des kreativen Künstlers orientiert ist. Das ist bekannt. Daneben entwickelt sich aktuell aber ein neues Konzept. Es setzt auf die Verbindung eines neuen Typs der Industrialisierung mit einer konsequenten Vereinnahmung der Menschen. Wir vermuten, dass hier der neue Trend zu suchen ist.

Dieses Konzept verbindet die Leitidee der Kreativität nicht wie üblich mit Freiheit, sondern mit dem Paradigma der Produktivität. Das ist überraschend, denn Entwickler, so die häufig vorgetragene Klage von jungen Unternehmensgründern, reden nicht gerne über Produktivität. Und sie mögen es auch nicht, wenn ihre Produktivität gemessen wird.

Interessanterweise bemühen sich hier aber Vorreiter wie Google oder Facebook und in ihrem Gefolge viele andere Unternehmen um die Durchsetzung neuer Produktivitätskonzepte in der Arbeit der Kreativen.  Aufschlussreich fanden wir beispielsweise ein Start-up aus dem Open Source-Umfeld, dessen Konzept konsequent auf die Leitidee “Productivity makes you happy!” orientiert ist. Hier wird sogar der Biorythmus der Beschäftigten durch ein gemeinsames Treffen beim Frühstück um 8.15 Uhr synchronisiert, damit pünktlich um 9.00 Uhr der Arbeitstag mit einem Gong und einem anschließenden „Stand-up-Meeting“ beginnen kann. Er endet exakt um 18.00 Uhr. Mehr sei nicht produktiv. Um die Produktivität zu steigern wird jede Aufgabe konsequent zu zweit erfüllt. Pair-Programming wird dies genannt.

© APFrühstück in der Mitarbeiter-Cafeteria auf einem Google-Campus

Während dieses Unternehmen seine Arbeitsorganisation mit einer strikten Aufteilung des Arbeitstages verbindet, lehnen andere  gerade dies konsequent ab. Zugespitzt sagt einer unserer Interviewpartner aus einem führenden IT-Unternehmen: “Wir glauben nicht an Work-Life-Balance”.

Dieses Unternehmen stellt vielmehr die “Selbstverwirklichung” der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Zentrum. Es geht davon aus, dass die Menschen ihr Potential erst voll ausschöpfen, wenn sie sich innerhalb der Unternehmensziele verwirklichen können. Hier werden die Ziele für alle Mitarbeiter ausgehend von der Strategie entwickelt. Sie sind für alle im Unternehmen offen einsehbar. Um sicher zu stellen, dass sich die Beschäftigten bei ihrer Selbstverwirklichung nicht ablenken lassen, nutzt das Unternehmen die Leistungsdaten über seine Beschäftigten konsequent. Es verfolgt einen so genannten „HR People Analytics“-Ansatz und wertet Daten zu sämtlichen Leistungs- und Qualitätsdimensionen in der Arbeit, aber auch zum Kommunikationsverhalten kontinuierlich aus. So will es den Erfolg der Beschäftigten steigern. In diesem Konzept inszeniert sich das Unternehmen als Familie und die eigene Familie wiederum wird zum Teil des Unternehmens. Doch wie gelingt es, dass die Beschäftigten dabei nicht ausbrennen? „Wir behandeln unsere Leute wie Erwachsene“ war die Antwort. Gemeint ist, dass die Menschen selbst für ihr Leben verantwortlich sind.

Vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Arbeitsmarktes und der vergleichsweise starken Machtposition der IT-Beschäftigten überrascht es, wie gut es den Unternehmen gelingt, die Kreativen für ihre Produktivitätskonzepte zu gewinnen. Das liegt vermutlich auch daran, dass sie sich konsequent nur auf einen bestimmten Typus von Beschäftigten konzentrieren: meist junge Menschen, die sich aufgrund ihrer Lebenssituation voll auf die Arbeit konzentrieren können und sich nach der Uni im Job bewähren wollen. Dieses Konzept erfüllt ihre grundlegenden Bedürfnisse, wie Erfolg, Teil einer Gemeinschaft zu sein, Wissen zu teilen und zu lernen. Doch dies ist nur die eine Seite des Valleys: Menschen, die sich nicht vollkommen der Arbeit verschreiben können oder wollen, erleben diese Konzepte oft als vereinnahmend. Ein Interviewpartner beschreibt dies so: „The company owns you“ – „Das Unternehmen besitzt dich“. Denn die Mehrzahl der neuen Produktivitätskonzepte sind geradezu darauf angelegt, dass Menschen ihre Lebensplanung und die Familiengründung auf später verschieben, um sich voll und ganz dem Erfolg des gemeinsamen Projekts zu verschreiben.

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